Wirtschaftsnobelpreises 2005 (und gebürtiger Frankfurter), zum Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn, insbesondere den Plästinensern:
Der Kriegsökonom
Krieg ist das Thema seines Lebens. In Israel erforscht er die Ökonomie der Konflikte. Er glaubt an gezielte Tötungen und an Gott
Von Winand von Petersdorff
Wie friedlich es hier ist. Der Mensch, den die Deutschen 1938 aus Frankfurt vertrieben, dessen Angehörige sie verfolgt und ermordet haben, sitzt auf diesem gepunkteten Sofa seiner Hotelsuite in der Burg Rheinfels und lacht. Er zürnt, denkt, schweigt, erklärt, und einmal weint er. Dann sagt er Sätze wie: "Tötet die Führer der Terroristen." In Israel, seiner Heimat, ist Krieg, über dem Rhein in St. Goar reißen die Wolken auf.
Deutscher als hier kann Deutschland nicht sein. Einige hundert Meter tiefer bahnt sich der Rhein seinen Weg. Der Loreley-Felsen wacht unweit über den deutschen Strom, die Freilichtbühne nebenan haben die Nazis 1939 errichtet als Thingstätte des neuen Menschen. Im Sommer werden Max Raabe hier singen und der Schlagersänger Dieter Thomas Kuhn. Ein langer Güterzug rumpelt durchs Tal.
Robert John Ysrael Aumann, der Träger des Wirtschaftsnobelpreises, ist ein Spezialist für Krieg und Frieden. Seine spieltheoretischen Arbeiten über die Dynamik und Lösung von Konflikten begründen einen Teil seines wissenschaftlichen Ruhms. Der Krieg ist das Thema seines Lebens. Er wird ihn nie mehr loslassen.
1956 hatte der Wissenschaftler seine Übergangsheimat Vereinigte Staaten verlassen, um sich in Israel niederzulassen, das seit Jahrzehnten um sein Überleben kämpft. 1967 vor dem Sechs-Tage-Krieg, als die Existenz des jungen Landes auf dem Spiel stand, überlegte er, ob er mit seiner Familien weggehen muss wie schon einmal. Er blieb. Warum? "Ich bin einfach geblieben." Die Achseln zucken, er lehnt sich zurück. "Es hat etwas mit meiner Identität zu tun." Tränen schießen ihm in die Augen, ganz kurz.
"Natürlich ist Krieg das Thema meines Lebens", sagt er fast unwirsch. Er hat seinen ältesten Sohn Schlomo, einen Panzerschützen der israelischen Armee, 1982 im Libanon-Konflikt verloren, einer der vielen Enkel ist jetzt Offizier der israelischen Armee, wenn auch nicht bei der kämpfenden Truppe.
100 Jahre Krieg titelte der "Economist" über den Dauerkonflikt zwischen Juden und Arabern in Israel. Aumann findet diese Darstellung treffend. "War and Peace" war der Titel seiner Vorlesung anlässlich der Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises im Dezember 2005.
Der Text ist die Frucht kalten Denkens eines der größten lebenden Spieltheoretikers. Seine erste verstörende Botschaft: "Auch wenn es schmerzt, Krieg kann rational sein." Die gegenteilige Sichtweise versperrt den Zugang zu Lösungen, glaubt Aumann. Wer Krieg als irrational abtut, seine Entfesselung als Werk von Verrückten betrachtet, kommt seinen Ursachen nicht näher.
Aumann liefert stattdessen eine ökonomische Analyse: Kriege sind Spiele, in denen Menschen, geleitet durch die Aussicht auf Belohnungen, auf komplizierte Weise interagieren, um ihren unterschiedlichen Zielen zu folgen. Sie kalkulieren die Kosten und Nutzen ihrer Aktivitäten und wählen die Nützlichste.
Eine wichtige Ursache von Kriegen ist die Ungewissheit über das, was die andere Seite will und welchen Preis sie dafür zu zahlen bereit ist. Die naheliegende Lösung zur Vermeidung von Kriegen, die Abrüstung, ist in diesem Bild die falsche Wahl. Denn sie senkt für Gegner die Kosten und Risiken eines Krieges und transportiert gleichzeitig die Botschaft, dass Menschen auf vieles zu verzichten bereit sind, um einen Krieg zu verhindern. Genau dieses Verhalten erhöht die Kriegsgefahr. "Wenn du Frieden willst, sei für den Krieg bereit", sagt dieser herzliche Mann, sucht nach der lateinischen Wendung und findet sie nicht.
Der "kalte Krieg" hat den "heißen Krieg" verhindert, glaubt Aumann fest. Jahrzehnte flogen amerikanische Bomber mit Nuklearwaffen an Bord, um bei einem Atombombenangriff zurückschlagen zu können. Abschreckung funktioniert, Beschwichtigung nicht, glaubt der Wissenschaftler.
Das ist nicht nur blanke Theorie für ihn, sondern erlebte Praxis. 1938 war das Jahr, in dem Robert Aumann als Achtjähriger mit seiner Familie Frankfurt Richtung New York verließ - wenige Wochen vor der Reichspogromnacht 1938 war aber auch das Jahr, in dem der britische Premierminister Neville Chamberlain dem Münchner Abkommen zustimmte und damit faktisch die Annektion des Sudetenlandes durch Deutschland akzeptierte. Er habe "Peace for our time", verkündet Chamberlain danach in einer berühmten Ansprache. Aumann zitiert die Worte heute mit Verachtung. Die Beschwichtigungspolitik der Engländer ermutigte Deutschland zur Aggression, glaubt der Wissenschaftler. Die Nazis waren danach nicht mehr zu bremsen. Deutschland hat die Welt angegriffen.
Aumann hat eine Tochter, die nicht versteht, wie er nach Deutschland fliegen kann. Das hat sie ihm vor seinem Abflug gesagt. Der Wissenschaftler kommt gelegentlich hierher, nicht oft. Er besucht Kongresse der Mathematiker und Ökonomen. Er hält Vorträge über Spieltheorie, diesmal an der privaten Wirtschaftshochschule WHU in Vallendar auf Einladung von Studenten als Hauptredner der Veranstaltung.
Urlaub allerdings würde Aumann im Land seiner Väter nie machen, das käme ihm wohl doch obszön vor. Der Aufenthalt muss durch Arbeit legitimiert werden. Als die Universität Bonn ihm die Ehrendoktorwürde angetragen hatte, rang er mit sich, ob er annehmen sollte. Mit deutschen Kollegen über Spieltheorie forschen, das ist eine Sache. Eine Ehrung durch eine deutsche Universität, das ist eine ganz andere. Er hat den Ehrendoktor schließlich akzeptiert, um seinen deutschen Kollegen nicht "ins Gesicht zu schlagen".
Ein einziges Mal nur, Mitte der fünfziger Jahre, durchstreifte er Frankfurt auf der Suche nach seinem Elternhaus. Es stand an der Bockenheimer Anlage unweit der Alten Oper. Die feinen Leute wohnten hier. Die Aumanns waren erfolgreiche Textilgroßhändler. Das Elternhaus war zerstört, ein neues hässliches Gebäude stand stattdessen da. Es wird wohl noch stehen, wie man Frankfurt so kennt.
Ein paar Erinnerungsfetzen sind geblieben. Seinen Struwwelpeter und seinen Suppenkasper kennt er und den deutschen Satz: "Ordnung ist das halbe Leben", den er lustvoll in Absurde lenkt: Unordnung müsse dann wohl die andere Hälfte des Lebens sein. Vier deutsche Wörter allerdings vergisst er nicht mehr. Sie standen auf braunen Aufklebern in Frankfurter Geschäften: "Juden sind hier unerwünscht." Die Nazis hatten sie verteilt. Robert Aumanns Familie hat fast zu spät die Konsequenz gezogen.
Er ist nicht bitter. Er ist so freundlich, warmherzig, dass es fast weh tut. Er backt gerne Kuchen, fährt mit seiner großen Familie jedes Jahr Ski, wirkt völlig frei von Dünkel. Und gleichzeitig ist er ein scharfer Denker, der kühl die Rationalität von Racheakten erklärt. Kurzfristig mögen Racheaktionen etwa in militärischen Auseinandersetzungen destruktiv sein. Doch langfristig kann Rache rational sein: "Wenn man sich rächt, wird sich der andere beim nächsten Treffen hüten, dir in den Magen zu treten."
Aumanns Arbeiten und die seiner Kollegen haben schon in den fünfziger Jahren die amerikanische Außenpolitik beeinflusst. Henry Kissinger, Außenminister und Sicherheitsberater verschiedener amerikanischer Regierungen, sprach 1961 auf einem von Aumann organisierten Kongress zur Spieltheorie. Es ist eine Denkweise für Falken, die sich fürs Schlimmste wappnen.
Hat sie Israel geholfen? Hilft sie jetzt im Krieg mit den arabischen Palästinensern? Aumann geht mit seiner Regierung unbarmherzig ins Gericht. Sie hat jüdische Siedlungen räumen lassen, das wird er ihr nicht verzeihen. Zorn bricht aus dem Wissenschaftler heraus, als er davon erzählt. "Deutsche, Spanier, Russen haben Juden vertrieben. Dass einmal Juden Juden vertreiben würden, das ist unglaublich." Familien seinen zerstört worden, viele lebten drei Jahre nach der Räumung in Provisorien, viele hätten keine Arbeit.
Zweifelsohne hat die Räumung der Siedlungen für den orthodoxen Juden Robert Aumann eine religiöse Dimension. Aber sie lässt sich auch mit seinen Modellen bearbeiten. In der Sprache der Spieltheorie hat seine Regierung durch den Abzug vor allem die Hamas für ihre Attentate und Raketen-Angriffe belohnt. Die Folge ist nicht, wie erhofft, der Friede, sondern zwangsläufig die Eskalation der Gewalt, die in den Krieg mündet.
Und Robert Aumanns Weg zum Frieden? "Wir bleiben hier." Das ist die erste Botschaft. Nicht alle Araber hätten sie schon verinnerlicht. Und das wird noch viel Zeit in Anspruch nehmen. "Gebt den Arabern Arbeit, Essen, Gesundheitsvorsorge. Gebt ihnen ein eigenes Straßensystem, damit sie nicht durch israelische Checkpoints müssen. Aber tötet ihre militanten Führer." Es wird Jahre dauern.
Ob er den Frieden noch erleben wird? Er sagt es nicht. Vorausgesetzt, seine spieltheoretischen Modelle bilden die Realität des Nahen Osten ab, kann der 78 Jahre alte Mann nicht mehr damit rechnen, den Frieden auf Erden zu finden.
Der Mensch Die Karriere
Robert John Ysrael Aumann wurde 1930 in Frankfurt als Sohn des Textilhändlers Moses Aumann geboren. Kurz vor der Reichspogromnacht floh seine Familie nach New York. Aumann liebäugelte mit der Idee, Rabbi zu werden, entschied sich dann aber für die Wissenschaftler-Laufbahn. Er studierte Mathematik. 1956 siedelte er mit seiner ersten Frau Ester nach Israel über. Er hatte fünf Kinder und zahlreiche Enkel und Urenkel, sein Sohn Schlomo fiel 1982 im Libanon-Konflikt. Zu Aumanns Hobbys gehören Skifahren, Kochen und Backen. In seiner Wohnung mitten in Jerusalem steht noch ein Konzertflügel, den seine Familie vor den Nazis gerettet hat.
Er war erst 22 Jahre alt, als er den Masterabschluss der amerikanischen Eliteuniversität MIT in Mathematik in der Tasche hatte. Drei Jahre später, 1955, wurde er mit einer Arbeit über Knotentheorie promoviert. 1956 bekam er einen Lehrauftrag der Hebräischen Universität von Jerusalem. Seit 1968 ist er dort ordentlicher Professor. Er ist führendes Mitglied des interdisziplinären "Zentrums für die Erforschung der Rationalität" der Universität, wo er immer noch forscht und publiziert. Im Jahr 2005 wurde Aumann zusammen mit dem Amerikaner Thomas Schelling mit dem Wirtschaftsnobelpreis (Ehrenpreis zum Andenken an Alfred Nobel) ausgezeichnet.
Er besucht Kongresse in Deutschland. Urlaub würde er hier aber nie wieder machen.
"Auch wenn es schmerzt, Krieg kann rational sein", sagt der Wissenschaftler.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.01.2009, Nr. 3 / Seite 42
http://www.faz.net/p/...5653caf2c92f988b4e~ATpl~Ecommon~Scontent.html ----------- MfG kiiwii
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