Jeder fünfte Student ist psychisch labil
Über 20 Prozent der deutschen Hochschüler leiden unter Essstörungen oder Depressionen, viele greifen regelmäßig zur Flasche oder zum Joint. Das zeigt eine neue Untersuchung Kölner Forscher. Sie sehen einen engen Zusammenhang zwischen Drogenkonsum, seelischer Balance und Studienerfolg. Die Bundesbildungsministerin warnt: Ein Studium gefährdet die Gesundheit - mindestens das seelische Gleichgewicht. Das legt eine noch unveröffentlichte Studie der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen nahe, die gerade im Auftrag des Bildungsministeriums Drogenkonsum und suchtnahe Verhaltensweisen bei Studierenden untersucht.
| | | Joint-Raucherin: Viele Studenten sind mindestens Gelegenheitskiffer |
| | Das Hochschulmagazin "Unicum" veröffentlicht in der Septemberausgabe erste Ergebnisse: Demnach zeigen mehr als 20 Prozent der deutschen Studenten psychische Auffälligkeiten wie Suchtverhalten, Essstörungen oder Depressionen. Sie sagten, dass sie sich psychisch allenfalls mittelmäßig fühlen; zwei Prozent gaben an, ihnen gehe es schlecht. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch das Deutsche Studentenwerk bei seinen regelmäßigen Sozialerhebungen. Bei der aktuellen Studie wurden insgesamt rund 2500 Hochschüler aus Köln, Aachen und Paderborn befragt. Die Kölner Forscher wollen "in der Hochschullandschaft bessere Suchtprävention schaffen und somit die seelische und körperliche Gesundheit von Studierenden fördern", sagte Anne Pauly, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule. Vollrausch als Nebenfach Die Forscher hatten vermutet, dass Studenten besonders suchtanfällig sind. Sie nahmen den Konsum von Alkohol, Nikotin und Cannabis intensiv unter die Lupe, weil "Sucht und psychische Störungen eng zusammenhängen", so Anne Pauly. Beim Nikotin zeigte sich allerdings, dass Studenten etwas weniger rauchen als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung: Insgesamt 37 Prozent greifen täglich oder gelegentlich zur Zigarette, während sich 44 Prozent der männlichen und 33 Prozent der weiblichen Bundesbürger als Raucher bezeichnen. | | | US-Studenten: Berüchtigt für ihre Trinkspiele |
| | An Essstörungen leiden allerdings neun Prozent der Studentinnen - doppelt so viele wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Zudem sind viele Studenten Gelegenheitskiffer: 28 Prozent beschränken den Konsum auf weniger als 16 Mal pro Jahr, immerhin acht Prozent rauchen allerdings mehr als 40 Mal jährlich Cannabis. Beim Alkoholkonsum sind die Werte nicht so dramatisch wie bei amerikanischen Studenten, die sich vielfach nahezu systematisch um den Verstand saufen. Aber immerhin knapp jeder vierte deutsche Student neigt zum exzessiven Rauschtrinken mit über fünf Drinks in weniger als drei Stunden, und 15 Prozent der Männer haben im Monat vor der Befragung mindestens zehn Mal Alkohol getrunken. Studentinnen spülen sich weit seltener die Gehirnzellen weg: Nur sieben Prozent sind beim Kampftrinken am Start. Wegen Kater nicht zur Uni Mitunter hat übermäßiger Alkoholkonsum offenbar Auswirkungen auf das Studienverhalten. 16 Prozent der befragten Studierenden gaben zum Beispiel an, deshalb schon einmal zu spät zur Vorlesung gekommen zu sein, 20 Prozent waren schwer verkatert gar nicht erst hingegangen. Die psychologischen Beratungsstellen der Hochschulen seien nicht ausreichend auf die Suchtproblematik eingestellt, kritisiert Anne Pauly. | | | Grafik: Die Folgen von Haschisch-Konsum |
| | Rainer Holm-Hadulla, Leiter der psychotherapeutischen Stelle der Universität Heidelberg, sieht ebenfalls dringenden Handlungsbedarf. Vielfach seien seelische Störungen sogar die Ursache für einen Studienabbruch: "Es ist kein Einzelfall, dass begabte Studenten aus psychischen Gründen weit hinter ihren Möglichkeiten bleiben", sagte er gegenüber "Unicum", "wir verschleudern wertvolles Human Capital, wenn wir uns nicht stärker um die jungen Leute kümmern." Nach Auffassung von Holm-Hadulla verharmlosen junge Leute das Kiffen zu Unrecht: "Cannabis-Konsum führt zu Leistungsminderung und Konzentrationsschwäche." Mit Drogen gingen junge Leute in erster Linie Konflikten aus dem Weg. Welche Substanzen die Studenten konsumieren, hänge stark vom Studienfach ab, sagte Anne Pauly dem Studentenmagazin. Bei den Sozialwissenschaftlern sei es eher THC, bei Wirtschaftswissenschaftlern und Medizinern eher Alkohol. Bereits in der Juli-Ausgabe hatte das Hochschulmagazin berichtet, dass Kiffen unter Studenten immer mehr zum Trendsport werde - nach dem alten Motto "Am Morgen ein Joint, und der Tag ist dein Freund". Das Thema Drogenkonsum unter Studenten ist allerdings bisher kaum erforscht. Und so sind sich Forscher beispielsweise durchaus nicht einig, welche Zusammenhänge es zwischen Kiffen und Studienfach gibt. "Kiffen, Koksen und Klausuren" Insgesamt seien "in den letzten drei Jahren hohe Werte zu verzeichnen", sagt Arthur Kreuzer. Der Professor und Leiter des Instituts für Kriminologie an der Universität Gießen führt jedes Jahr eine Befragung unter den Erstsemestern in einer Delinquenzbefragung durch. Die jüngste Untersuchung, an der 90 Männer und 143 Frauen teilgenommen haben, belegt: "Fast alle sind schon einmal mit Drogen in Berührung gekommen, und fast die Hälfte hat selber Drogenerfahrung", so Kreuzer gegenüber SPIEGEL ONLINE. Vor allem mit Haschisch bedeutet das bei den Studenten. Denn der Konsum von legalen Drogen wie Alkohol sei zurückgegangen. "Die Studenten haben eine differenziertere Sicht auf die unterschiedlichen Drogen", sagt Kreuzer. Seiner Ansicht nach ist der Drogenkonsum durch alle Fachbereiche ungefähr gleich verbreitet. Studenten bestimmter Fächer hätten wohl andere Einstellungen, seien vielleicht etwas konservativer. In punkto Drogenkonsum seien die Studenten jedoch "sehr ähnlich". Zwei Tendenzen könnten festgestellt werden, meint Kreuzer: "Die Anteile der Nonkonformisten und der Traditionalisten nehmen zu." Anderer Meinung ist Theo Baumgärtner von der Hamburger Landesstelle gegen die Suchtgefahren. Er hat 1996 und 1997 an der Uni Leipzig den Drogenkonsum von Studenten untersucht; die Studie ist unter dem Titel "Kiffen, Koksen und Klausuren" als Buch erschienen. Er sieht Unterschiede zwischen den Fachrichtungen: "Sozialwissenschaftler konsumieren deutlich mehr Rauschmittel als Juristen und Wirtschaftswissenschaftler." Ludwig Kraus vom Münchener Institut für Therapieforschung kann "keine erschreckende" Zunahme von Drogenkonsum feststellen. Es gebe seit den neunziger Jahren einen allgemeinen Trend zum vermehrten Canabis-Konsum - durch das "liberale Klima in Europa", wie Kraus meint. Die Zahlen seien aber "völlig erwartungsgemäß". Wichtiger als Erhebungen zur "Lebenszeitprävalenz" (also zur Frage, wer in seinem Leben schon einmal Drogen zu sich genommen habe) sei zu fragen: Wer geht zum regelmäßigen Konsum über? | | | | SPIEGEL ONLINE ist nicht verantwortlich für die Inhalte externer Internetseiten.
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| | | Die Kölner Wissenschaftlerin Anne Pauly sieht noch erhebliche Lücken bei den Erkenntnissen zum Drogenkonsum im Campus-Dunstkreis. "Der Forschungsstand zur Suchtproblematik Studierender in Deutschland ist sehr lückenhaft", heißt es auch im Gutachten des Bundesbildungsministerium zur Bewilligung des Projekts. Und bei der Befragung waren nahezu alle Studenten dankbar, dass sich überhaupt "mal jemand um ihre Gesundheit und den Sozialraum Uni kümmert", so Pauly.
Von Reiner Kramer und Jochen Leffers Q: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,254757,00.html
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