Eine Insel sieht rot
Von Matthias Matussek, London
Mit wütender Bissigkeit und unverhohlenem Hohn kommentiert die englische Presse die Wahl eines Deutschen zum Papst. Die Schlagworte der Stunde sind "Hitler" und "Panzerkardinal" - oder schlicht "Rottweiler". Kurz: Die englischen Blätter berichten nicht, sie schäumen vor Wut.
Britisches Boulevardblatt "Sun": Zwei Fliegen mit einer Klappe Großbildansicht DPA Britisches Boulevardblatt "Sun": Zwei Fliegen mit einer Klappe London - Kaum eine britische Zeitung verzichtet an diesem Morgen auf das Foto, das Joseph Ratzinger, den neuen Papst, als Hitlerjungen zeigt. Wer nur flüchtige Blicke auf die Londoner Kioske wirft, könnte meinen, eine Art Mobilmachung stehe kurz bevor. Tatsächlich geht es hier nicht um Frömmigkeit, sondern um Macht. Und besonders um einen Deutschen.
Normalerweise hat man auf der Insel ein eher pragmatisches Verhältnis zur Religion. Man darf nicht vergessen, dass man sich vor ein paar Jahrhunderten eine eigene Kirche leistete, weil man mit den katholischen Ehe-Regeln nicht einverstanden war.
Nun ist Katholizismus seit Neuestem "in". Eltern konvertieren in Scharen - weil sie ihren Kindern dadurch Zugang zu den begehrten katholischen Schulen ermöglichen. Es ist eine recht kühle Kosten-Nutzen-Analyse, die das spirituell wohl unmusikalischste Volk auf Gottes Erden im Umgang mit Religionen anstellt.
Doch an diesem Tag kocht die Volksseele über, eben weil die Kirche als Machtinstrument wahrgenommen wird - und das wird nun von einem Deutschen besetzt.
"Das Papsttum", erinnert der Kommentator des bürgerlichen "Daily Telegraph" seine Leser in Mittelengland, ist von "entscheidender geostrategischer" Bedeutung, es habe schließlich "das Sowjet-Imperium zu Fall" gebracht. Aufgemacht ist die Titelseite mit dem Spruch: "Gottes Rottweiler wird Papst".
Britische Tageszeitungen: "Hitler", "Rottweiler", "Panzerkardinal" Großbildansicht AP Britische Tageszeitungen: "Hitler", "Rottweiler", "Panzerkardinal" Das Boulevardblatt "Sun" kommt umstandsloser zur Sache. Die Zeile "Vom Hitler-Jungen zum Papa Ratzi" schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie erinnert an diesen anderen mächtigen Deutschen, der die Phantasien der Insel noch heute fasziniert wie kein zweiter. Und sie macht den Papst lächerlich.
Über die Papst-Meldung haben die Blattmacher ein Foto des jungen liebestollen Prinzen "Hakenkreuz" Harry gestellt, der seiner Freundin für den Hüttenurlaub jede Menge Liebe verspricht, und illustrieren so genau das, was Ratzinger in seiner Predigt zum "Relativismus der Moderne" ausgeführt hat.
Der "Daily Mirror" findet Geschmack an der optischen Vermischung von "Panzerkardinal" und "Hitlerjunge" und "Nazisympathisanten" auf einer Doppelseite. Er berichtet aus einem Weimar-Inferno-Deutschland, dass die "TV-Anstalten ihre Nachrichtensendungen freigeräumt hätten von Aufständen über Arbeitslosigkeit und Verbrechen", um über diese Wahl zu berichten.
Natürlich trottet der hässliche Deutsche als Rottweiler auch hier durch die Seiten, und die segnend erhobenen Arme des Papstes lassen viel Spielraum für Deutungen und Assoziationen zu.
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Mit Ratzingers Theologie setzt sich kaum einer auseinander. Bis auf den "Independent". Die Zeitung, Hitlerjunge auf dem Titel, tut es gleich über die ersten fünf Seiten mit einem nicht abreißenden Sündenregister. Er schildert Ratzingers Inthronisierung als geschickt eingefädelten macchiavelistischen Coup nach Muster der Kreml-Nachfolgen. Ratzinger habe die "Tagesordnungen des Konklaves bestimmt", er habe Kontakte zur Presse "eingeschränkt" und die entscheidenden Predigten gehalten - eine kalt orchestriertes Machtmanöver durch "den Deutschen".
Viele, so der "Independent", der sonst nicht gerade besessen ist von religiösen Fragen, hätten die Verkündung des neuen Papstes als "Schlag in die Magengrube" empfunden. Stellvertretend schlägt er nun zurück.
Nicht immer wird da standsicher argumentiert. Was die Kapitalismus-Kritik der katholischen Kirche angeht, ist sie offenbar für Linke sehr verwirrend. So tut der "Independent", was viele kirchenferne Kritiker in diesen Tagen tun: Er kontrastiert den Reaktionär Ratzinger am polnischen Vorgänger, der plötzlich weit nach links außen rückt.
Ratzingers Kampf gegen den Marxismus, so der "Independent", sei "weit über den von Papst Johannes Paul II. hinausgegangen, der als Pole doch Sympathie gehabt" habe. Das allerdings ist neu: Dass Papst Paul Johannes II. Sympathie für den Marxismus gehabt hätte, weil er den Kapitalismus so sehr verachtete? So etwas können nur Leute schreiben, die sich erst seit vorgestern in die katholische Materie einlesen mussten.
Ratzinger, heißt es, habe die Befreiungstheologie "ausgerottet". Dieses Trauer-Tremolo über die Befreiungstheologie, die von Rom fertiggemacht worden sei, ist der letzte Schrei auf dem gegenwärtigen Theorie-Markt. Er ist natürlich ein rein taktischer, nichts als ein kirchenkritisches Manöver: Knapp 20 Jahre nachdem auch die letzten Intellektuellen den Marxismus als blutig-totalitären Irrweg der Aufklärung abgehalftert haben, wird er von liberalen Kommentatoren wie im "Independent" sympathisierend wieder entdeckt - weil ihn Ratzinger und die katholische Amtskirche verdammt haben.
Jedem, der die Bergpredigt kennt, müsste klar sein, dass die Kirche den bewaffneten Kampf um ein Paradies auf Erden nicht führen kann und führen will. Aber ihre Armen-Priester, ihre Ordensschwestern, tun in jeder Sekunde überall auf der Welt mehr gegen Armut und Verzweiflung als die Kommentatoren des "Independent" und anderer professioneller Kirchenkritiker.
Anders, als es jetzt dargestellt wird, sind die lateinamerikanischen Kirchen in moraltheologischen und politischen Fragen absolut konform mit Rom. Ihre Enttäuschung über die Papstwahl hat nichts mit der Befreiungstheologie oder anderen Reformisten zu tun. Sie rührt allein daher, dass sie keinen Lokalmatador gewinnen sahen.
Zum Thema Kirchenkritik, findet die Londoner "Times", könne man einer katholischen Kirche, die nicht an ihrer Selbstabschaffung arbeitet, kaum verdenken, dass sie einem ihrer Theologen die Lehrerlaubnis entzieht, der im Prinzip sagt, alle Religionen meinten das Gleiche. Jeder Karnickelzüchterverein hat seine Statuten und schließt nun mal diejenigen aus, die nur noch über Wellensittiche reden wollen.
Der Kommentator der "Times" hatte nach einem Gespräch mit dem Amtskirchenkritiker Hans Küng über Ratzinger den "Eindruck, dass es Küng war, der der Versuchung erlag, alles besser zu wissen", während sich Ratzinger der Autorität der katholischen Kirche beugte. Die "Times" ist es dann auch, als einzig, die in Ratzinger einen interessanten Neuanfang sieht. Er sei der "beste Mann für den Job".
Das Papsttum, schreibt Kommentator Daniel Johnson, sei die älteste und erfolgreichste Institution der Erde. Und sie sei es, weil sie sich nicht dem Zeitgeist gebeugt habe. Sie sei ein notwendiges Bollwerk gegen den Ausverkauf im Jahrmarkt der schnell wechselnden Moden und Heilslehren.
Interessanterweise kommt auch der "Times"-Leitartikler auf Ratzingers Jugend zu sprechen. Aber anders. Er sieht sie nicht als dunkle Bürde, sondern als Vorteil: "Ratzinger wurde in die Weimarer Republik hineingeboren, die zusammenbrach, weil sie ihren moralischen Relativismus extrem auslebte und schließlich vor den säkularen Ideologien von rechts und links kapitulierte."
Er wuchs auf im Dritten Reich, und hat so die mörderischen und zersetzenden Wirkungen einer politischen Religion kennen gelernt. Kurz: Ratzinger ist nicht trotz, sondern wegen seiner deutschen Biografie geeignet als Wächter und Verkünder des Glaubens.
Das ist, auf der Insel, an diesem Tag eine interessante und überraschend sympathisierende Lesart dieser Biografie und dieser Wahl. Dieses Ereignisses eines deutschen Papstes.
SPIEGEL-Online
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