Gentechnologie Dolly als Vorbote einer neuen Ära? Transgene Tiere als Arzneifabriken Von Theres Lüthi* In Zukunft sollen Nutztiere zur Arzneiproduktion eingesetzt werden: Es handelt sich dabei um gentechnisch veränderte Schafe, Ziegen und Kühe, die in ihrer Milch therapeutisch wichtige menschliche Proteine herstellen. Die schottische Firma PPL Therapeutics - Stammhaus des geklonten Schafes Dolly - hat sich auf das sogenannte «molecular pharming» spezialisiert. Das erste Produkt, das sie vermarkten will, ist ein Medikament gegen die Lungenkrankheit zystische Fibrose.
Mit Dolly ist es Wissenschaftern erstmals gelungen, von einem erwachsenen Schaf ein genetisch identisches Double herzustellen. Sieht man einmal von den ethischen Konsequenzen ab, so dürfte dieser technologische Durchbruch in erster Linie für die Pharmaproduktion weitreichende Folgen haben. Denn kombiniert mit der Technologie zur Herstellung von transgenen Tieren, liessen sich mit diesem Verfahren Medikamente billiger, schneller und in grossen Mengen herstellen.
Im harten Konkurrenzkampf der Pharmafirmen sucht man stets nach neuen Möglichkeiten, Arzneien kostengünstiger herzustellen. Wurden in der Biotechnologie zur Herstellung von Medikamenten zunächst gentechnisch veränderte Bakterienzellen gezüchtet, zeigte sich schon bald, dass der Einsatz von Bakterienzellen nicht für alle Fälle geeignet war. Denn Proteine werden in Bakterienzellen auf andere Weise verarbeitet als in Säugetierzellen. Dies hat zur Folge, dass ein von Bakterienzellen hergestelltes Protein im menschlichen Organismus möglicherweise nicht die erwünschte Wirkung zeitigt. Wissenschafter machten sich deshalb schon bald daran, auch Säugetierzellen in Gewebekultur zu züchten und gentechnisch zu manipulieren. Seit etwa Mitte der achtziger Jahre werden Medikamente auch aus Bioreaktoren mit Säugetierzellen gewonnen. Beispiele hierfür sind etwa das Erythropoetin, das die Produktion der roten Blutkörperchen reguliert, oder auch das Beta-Interferon, das heute bei Patienten mit multipler Sklerose eingesetzt wird.
Hohe Proteinmengen in der Milch Die logische Fortführung dieser biotechnologischen Entwicklung ist die Nutzung von Tieren als Arzneiproduzenten. Dabei genügt es im Prinzip, wenn nur bestimmte Zellen im Körper eines transgenen Tieres den erwünschten Wirkstoff herstellen. Geradezu für diesen Zweck gemacht zu sein scheinen die Zellen der Brustdrüse. Denn zum einen sind diese Zellen darauf angelegt, Proteine in grossen Mengen zu produzieren. Und zum anderen können diese Proteine mit der Milch abgesondert werden - sie sollten also mit relativ wenig Aufwand gewonnen werden können. Wie bisherige Erfahrungen deutlich machen, sind die mit dieser Methode erzielten Erträge beachtlich: Während sich aus den Säugetierzellen der mechanischen Bioreaktoren gewöhnlich nur einige Milligramm Protein pro Liter Flüssigkeit gewinnen lassen, können transgene Nutztiere mehrere Gramm Protein pro Liter Milch absondern. In den letzten Jahren ist es verschiedenen Forschergruppen gelungen, transgene Schafe, Ziegen und Kühe zu entwickeln, die in ihrem Erbgut mit einem menschlichen Gen ausgestattet sind. Damit das Tier das entsprechende Protein nur in den Euterzellen produziert, bedienen sie sich eines Tricks: Dazu wird das Gen an ein kurzes Stück DNA - Promotor genannt - angehängt. Promotoren sind gewebespezifisch und erteilen gewissermassen den Befehl, ein Gen nur in ganz bestimmten Zellen anzuschalten. Die Wissenschafter wählten einen Promotor, der nur in der Milchdrüse aktiviert wird. Somit kann weitgehend sichergestellt werden, dass das menschliche Gen nur in den Euterzellen angeschaltet und das dazugehörende Protein nur von diesen Zellen hergestellt wird.
Rosie und Tracy Eine Firma, die schon früh auf das sogenannte «molecular pharming» setzte, ist die vergangene Woche bekannt gewordene PPL Therapeutics, eine kleine Biotech-Firma nur wenige Kilometer von Edinburg entfernt. Bei PPL Therapeutics werden transgene Schafe, Ziegen, Kühe und seit kurzem auch Schweine gezüchtet. Nur wenige Wochen bevor Dolly Schlagzeilen machte, trat die Zweigstelle von PPL Therapeutics in Blacksburg, Virginia (USA), mit Rosie an die Öffentlichkeit. Rosie ist eine Kuh, die in ihrer Milch ein menschliches, in der Muttermilch reichlich vorkommendes Protein namens alpha-Lactalbumin herstellt. Auch die Kuh produziert eine ähnliches Protein, allerdings nur in geringen Mengen. Gemäss Angaben der Firma produziert Rosie heute 2,4 Gramm Protein pro Liter Milch. Pro Jahr dürfte sie etwa 10 000 Liter Milch liefern und damit beträchtliche Mengen des menschlichen Proteins. Laut Pressemitteilung plant die Firma, dieses Protein in der Geriatrie und Pädiatrie anzuwenden. So möchte man z. B. Milch für Frühgeborene mit diesem Protein anreichern. Einen höheren Bekanntheitsgrad als Rosie hat vor wenigen Jahren Tracy erlangt. Tracy ist ein Schaf, das mit jedem Liter Milch etwa 12 Gramm des Proteins alpha-1-Antitrypsin liefert. Wie PPL Therapeutics im Dezember meldete, hofft man dieses Protein eines Tages zur Behandlung der zystischen Fibrose einzusetzen, der häufigsten tödlich verlaufenden Erbkrankheit in Europa. Patienten mit dieser Krankheit leiden auf Grund eines Gendefekts häufig an Lungenentzündungen. Dabei werden grosse Mengen eines Enzyms namens Elastase freigesetzt, das allerdings auch das Lungengewebe angreift. alpha-1-Antitrypsin hemmt dieses Enzym. Es soll nun geprüft werden, ob das Protein den gewebeschädigenden Prozess hinauszögern kann.
alpha-1-Antitrypsin lässt sich heute in geringen Mengen aus dem menschlichen Blutplasma gewinnen. In Zukunft könnten Schafe wie Tracy aber sehr viel grössere Mengen des Proteins liefern. Die Phase I der klinischen Prüfung, bei der das Protein auf seine Nebenwirkungen hin untersucht wird, hat vor kurzem begonnen. Zusammen mit Antithrombin III, einer Substanz, die die amerikanische Molecular-pharming-Firma Genzyme in der Milch einer transgenen Ziege produzieren lässt, ist alpha-1-Antitrypsin somit das im klinischen Zulassungsprozedere am weitesten fortgeschrittene Produkt eines transgenen Tieres.
Schwierige Zulassung Der Weg eines transgenen Therapeutikums bis zur klinischen Zulassung gleicht heute allerdings einem Hürdenlauf. Denn bevor solche Proteine die Marktreife erlangen können, muss den Behörden bewiesen werden, dass das Produkt sicher, hochrein und stets von gleichbleibender Qualität ist. In dieser Hinsicht weisen die Bioreaktoren gegenüber den Nutztieren bedeutende Vorteile auf. Denn bei den Zellkulturen, die in jahrelanger Arbeit auf ihre Stabilität hin beobachtet worden sind, läuft die Proteinherstellung unter genau kontrollierten Bedingungen immer gleich ab. Wie Heike Volkmer von der ERA Consulting GmbH in Walsrode (BRD) auf Anfrage erklärte, steckt die neue Technologie heute dagegen noch in den Kinderschuhen. Laut Volkmer machten sich Firmen über die Zulassungsfähigkeit eines transgenen Produkts oft keine Gedanken. Gerade was die Konsistenz eines Produkts betrifft, wiesen die Molecular-pharming-Methoden noch beträchtliche Mängel auf. Nach Volkmer wird es vermutlich noch viele Jahre dauern, bis das erste transgene Therapeutikum den Zulassungsanforderungen genügen wird. Eine der Bedeutungen der neuen (Klonier-)Methode aus Schottland könnte nun auch darin liegen, diese Schwierigkeiten inskünftig umgehen zu können. Denn sollte es tatsächlich möglich sein, von einem erwachsenen Tier einen Klon herzustellen, hätten die Tierzüchter ein Verfahren in der Hand, mit dem sie Tiere mit kommerziell interessanten Eigenschaften womöglich nach Belieben vervielfältigen könnten. Nicht nur liessen sich die Arzneien schnell und in grossen Mengen produzieren, auch die gleichbleibende Qualität der Arznei wäre womöglich garantiert - und dies über Generationen hinweg. Es ist daher anzunehmen, dass es neben Dolly auch bald einen Klon von Rosie geben wird - es sei denn, das Verfahren liesse sich nicht bei Kühen anwenden.
Neue Zürcher Zeitung vom 5. März 1997
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