...ist es eigentlich für viele so schwer, folgendes zu erkennen und gedanklich zu differenzieren:
Die Juden sind im Nationalsozialismus als bisher einziges Volk in der Historie der Menschheit zur Zielscheibe einer rassenideologisch betriebenen "systematischen, industriellen Vernichtung" geworden. Es gab viele Völker in der Menschheitsgeschichte, die vertrieben und ermordet worden. Aber: der industrielle Aspekt bei der Vernichtung des jüdischen Volkes markiert ein geschichtliches Novum. Hier wurde versucht, ein Volk systematisch und mit minutiösen industriellen Methoden auszulöschen. Diese existenzielle Grunderfahrung hat sich in das kollektive Gedächtnis der Israelis eingebrannt - wen kann dies wundern? - und überlagert bis heute jede politische Debatte, die auch nur peripher die Existenz des israelischen Staates betrifft. Natürlich sind auch andere Gruppen, wie die Homosexuellen, Roma und Sinti usw. Opfer der Repression geworden. Die Rassenideologie der Nazis hatte aber als Hauptfeind das "internationale Judentum".
Zugespitzt: Während wir in Deutschland unsere nationale Identität nach dem 2. Weltkrieg über eine Ideologie des Wirtschaftswachstums versucht haben wiederzuerlangen ("Wirtschaftswunder" als Grundfeste der deutschen Identität) und das "Glück" unserer Nation ständig im BIP messen, überlagert die grundsätzliche Existenzfrage alle politischen Diskurse in Israel. Was für uns die Wohlstandsfrage ist, ist für die Israelis die Existenzfrage. Das zu verstehen, bedeutet freilich nicht, die konkrete Politik Israels kritiklos hinzunehmen. Aber es ist einfach notwendig, diese beiden Ebenen zu trennen, um den Kontext zu berücksichtigen, aus dem heraus Israel seine konkrete Politik betreibt. Ebenso gilt es den historischen Kontext der Palästinenser zu berücksichtigen - keine Frage. Aber beide Seiten müssen erkennen, dass ein Weg zum Frieden nur über die wechselseitige Erkenntnis laufen kann, anzuerkennen, dass es beiden Seiten im Kern um ihr Existenzrecht geht. Und dieses Existenzrecht kann nur über den Modus einer friedlichen Koexistenz verwirklicht werden - für beide.
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