Früherer Aurubis-Vorstandschef rebelliert gegen Großaktionär Salzgitter Um die zahlreichen Personalwechsel bei Aurubis ist ein Streit entbrannt. Ein früherer Vorstandschef hat Strafanzeige gegen Aufsichtsräte eingereicht. 09.07.2019 - 03:56 Uhr
Düsseldorf, FrankfurtAls Jürgen Schachler im Herbst 2015 zum neuen Aurubis-Chef bestimmt wurde, gab es warme Worte. Er sei ein erfahrener Manager, lobte Aufsichtsrat Heinz Jörg Fuhrmann, Vorstandschef des Aurubis-Großaktionärs Salzgitter, und werde „den erfolgreichen Kurs mit eigenen Impulsen fortführen“.
Knapp vier Jahre später ist diese Beziehung zerbrochen. Zwei Wochen vor seinem Vertragsende wurde Schachler geschasst. Anlass ist die Modernisierung des Anlagenparks, mit der das Stammwerk im Hamburger Hafen und auch die Außenstellen in Belgien fit für die Zukunft gemacht werden sollten. Das Projekt wurde jäh gestoppt. Die Kosten, so der Vorwurf, seien aus dem Ruder gelaufen. Rund 30 Millionen Euro der geplanten Investitionssumme von 320 Millionen Euro sind versenkt.
Doch es geht um mehr als das verlorene Geld – es geht um die Zukunft von Aurubis, Europas größtem Kupferhersteller. Früher, als der Konzern mit seinen 7 000 Mitarbeitern noch Norddeutsche Affinerie hieß, da war er eine wahrnehmbare Größe. Die „Affi“, so der Volksmund, gehört zur Hansestadt wie der Hafen. Zu dieser Bedeutung trug auch Werner Marnette bei, der das Unternehmen in den Jahren 1994 bis 2007 geleitet hat.
Marnette ist ein Manager vom alten Schlag; einer der sich einmischt und sich auch vor einem handfesten Streit nicht drückt. Zwar wollte er sich nach seinem Abgang nicht über seine Nachfolger äußern. Aber jetzt mag er nicht mehr schweigen. Anlass ist das Modernisierungsprojekt mit dem sperrigen Namen „Future Complex Metallurgy“ (FCM), das zum Sturz von Schachler geführt hatte. Auf Betreiben des Aufsichtsrats wurde es beendet, also indirekt vom Großaktionär Salzgitter. Nicht nur die Mitarbeiter, auch Aktionäre und eben Ex-Chef Marnette reagierten auf das Aus geschockt. „Für den Standort Hamburg ist die Entscheidung, FCM zu beenden, tödlich“, sagte Marnette dem Handelsblatt. „Diese Investition zu stoppen ist, als würde man dem Unternehmen ein lebenswichtiges Organ einfach herausreißen.“
Zwar sei das Projekt FCM insgesamt nun abgeblasen worden, doch die Umsetzung von Teilprojekten stünde immer noch zur Debatte, heißt dazu bei Aurubis. Dass FCM nun nicht umgesetzt werde, habe mit deutlich gestiegenen Kosten zu tun, wegen derer sich das Projekt nicht mehr gerechnet habe, so eine Sprecherin. Einen Strategiewechsel bedeute der Schritt nicht.
Der neue Vorstandschef Roland Harings halte vielmehr weiterhin daran fest, Aurubis zum Multi-Metallkonzern umzubauen - und plane, auch am Standort Hamburg weiterhin zu investieren.
Doch der Stopp von FCM und der Rauswurf Schachlers sind für den ehemaligen Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein ein Desaster mehr, mit dem sein früheres Unternehmen ins Abseits geführt wird. Verantwortlich für den Absturz des Traditionskonzerns sind für ihn die Kontrolleure. Zu nachlässig agieren diese aus seiner Sicht.
Nach der Hauptversammlung des Kupferkonzerns im Februar hatte er deshalb Strafanzeige gegen Mitglieder des Aufsichtsrats gestellt, dem neben Fuhrmann der Vorsitzende Fritz Vahrenholt angehört. Beiden wirft er vor, seine Anträge gegen die Entlastung des Aufsichtsrats nicht vorher öffentlich gemacht zu haben. So will er Fuhrmann zwingen, seine Pläne für den Kupferproduzenten auf den Tisch zu legen. Salzgitter weist diesen Vorwurf zurück. Der Stahlhersteller ist seit einigen Jahren größter Teilhaber der Kupferhütte und hält nach eigenen Angaben 30 Prozent minus eine Aktie an dem Unternehmen. Schon länger wird Salzgitter ein Übernahmeinteresse nachgesagt, auch weil die Beteiligung der Aurubis in den vergangenen Jahren für konstante Mittelzuflüsse gesorgt hat. Mehr als 17 Millionen Euro Dividende flossen so nach dem vergangenen Geschäftsjahr von Hamburg nach Salzgitter.
Auch Marnette äußert den Verdacht, dass Aurubis eine Übernahme durch den Stahlkocher bevorstehen könnte. Er begründet seine Sicht damit, dass Salzgitter keinerlei andere Wachstumsoptionen für sein Kerngeschäft Stahlherstellung habe. Betrachtet man die Marktkapitalisierung der Salzgitter, so macht die 30-prozentige Beteiligung an dem Kupferkonzern knappt die Hälfte des gesamten Börsenwerts aus.
Kaum Synergien
Nach Ansicht von Analysten hat die Beteiligung jedoch vor allem einen finanziellen Hintergrund. So sagte Analyst Henning Breiter von der Privatbank Hauck & Aufhäuser: „Für den Stahlkonzern Salzgitter ist Aurubis als Finanzbeteiligung zu sehen. Echte Synergien gibt es kaum.“ Anfangs hatte Fuhrmann noch erklärt, dass es solche gebe. Nach einer ausgiebigen Prüfung hatte sich die Hoffnung auf Vorteile für beide Seiten in Luft aufgelöst.
Dennoch bleibt für Analyst Breiter ein Übernahmeangebot perspektivisch denkbar, da Aurubis bei aktueller Bewertung auch als Finanzinvestition hochgradig attraktiv sei.
Dies mag stimmen. Kupfer ist schließlich in vielen Produkten verbaut und wird mit der Elektrifizierung des Straßenverkehrs in den kommenden Jahren einen neuerlichen Nachfrageschub erfahren.
Diese Perspektive spiegelt sich aber nicht im Aktienkurs wider. Im Gegenteil: In den vergangenen zwölf Monaten hat das Papier mehr als ein Drittel seines Werts verloren. Dafür verantwortlich sind auch die zahlreichen Personalwechsel, von denen die Demission Schachlers nur der jüngste war. „Fünf Wechsel im Vorstandsvorsitz seit 2011 lassen Zweifel an der ordnungs- und pflichtgemäßen Tätigkeit des Aufsichtsrats entstehen“, klagt Marnette.
Welche Wirrungen sich abgespielt haben, zeigt sich an Bernd Drouven. Der war von 2008 bis 2012 Chef von Aurubis. Laut informierten Kreisen hatte er sein Amt nach einem Streit mit Fuhrmann aufgeben müssen, weil die Kosten für eine Übernahme aus dem Ufer liefen. Offensichtlich vertrugen sich die Männer aber, denn Drouven zog bald in den Aufsichtsrat von Aurubis. 2014 übernahm dann für ein Jahr vorübergehend den Vorstandsvorsitz erneut. Heute ist er im Aufsichtsrat von Salzgitter. Drouven zähle zu den Vertrauten von Fuhrmann, sagte ein Insider.
Nach dem plötzlich Rauswurf von Schachler hat nun sein Stellvertreter Roland Harings die Leitung übernommen. Er muss eine Reihe von Aufgaben bewältigen. So muss er eine Lösung für die Walzproduktsparte finden. Deren Verkauf an die Wieland-Gruppe hatte die EU-Kommission im Februar verboten, da die Preise für Kupfer aus Sicht der Kartellhüter durch die Decke geschossen wären. Ein Grund für das Scheitern sei gewesen, dass der Deal nicht gründlich genug vorbereitet worden sei, sagen Insider.
Das Veto aus Brüssel, die vielen Chefwechsel und die Ungewissheit, wohin Aurubis strategisch steuert, haben den Aktienkurs in den Keller getrieben. Für Salzgitter berge dies eine interessante Option: „Wenn Fuhrmann Aurubis übernehmen will, dann ist der Preis attraktiv“, hieß es in Konzernkreisen.
Das Engagement ließ sich der Stahlhersteller zuletzt einiges kosten. Ende 2018 stockte Salzgitter seinen Anteil an Aurubis von 16 auf 25 Prozent auf, nachdem der Anteil zuvor wegen des Umtauschs einer fällig gewordenen Wandelanleihe spürbar gesunken war. Rund 375 Millionen Euro investierte Fuhrmann in die Aufstockung, und damit rund 40 Prozent des Free Cashflows des Unternehmens. Für Marnette ist damit klar: „Die Salzgitter AG plant eine Übernahme der Aurubis.“
Doch zu einem solch klaren Kurs bekennt sich Salzgitter nicht. So heißt es aus dem Unternehmen, es gebe keinen Vorstandsbeschluss, den Kupferhersteller zu übernehmen. Für die Zukunft seien theoretisch alle Optionen offen. Offiziell wird das Engagement bei Salzgitter zwar auch als finanziell, aber primär strategisch motiviert bezeichnet.
Fuhrmann ließ im Jahr 2015 in einem Interview verlauten, dass er eine Fusion grundsätzlich für denkbar halte: „Ich kann mir gut vorstellen, dass eines Tages aus Aurubis und Salzgitter ein Konzern wird.“
https://www.handelsblatt.com/unternehmen/...-salzgitter/24535688.html
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