AUTOREN UNTER GENERALVERDACHT

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neuester Beitrag: 25.04.21 10:12
eröffnet am: 09.04.02 18:33 von: antoinette Anzahl Beiträge: 14
neuester Beitrag: 25.04.21 10:12 von: Karolinaqdma Leser gesamt: 3882
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09.04.02 18:33
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1303 Postings, 8240 Tage antoinetteAUTOREN UNTER GENERALVERDACHT


          
LITERATURDEBATTE
§
Autoren unter Generalverdacht

Von Volker Hage

Kulturkritiker rüsten zu einer bizarren Literaturdebatte: Verharmlosen erfolgreiche Bücher wie Günter Grass' Novelle "Im Krebsgang" oder Bernhard Schlinks Roman "Der Vorleser" die Schuld der Deutschen an Holocaust und Zweitem Weltkrieg?

Schrille Alarmmeldungen kommen aus vielen Himmelsrichtungen: Von der Schweiz aus sieht die "Neue Zürcher Zeitung" ("NZZ") in Deutschland eine "neue Unbefangenheit der eigenen Geschichte gegenüber" walten. Anzeichen für eine solche "Transformation der Täter- in eine Opfergesellschaft" gebe es schon lange, jetzt aber drohe die Thematisierung deutschen Leidens - wie etwa in der Bestseller-Novelle "Im Krebsgang" von Günter Grass - das Leid der Holocaust-Opfer und -Überlebenden zu relativieren.
Aus Berlin meldet die "Süddeutsche Zeitung" ("SZ") nach einer Lesung des Schriftstellers Peter Schneider aus dessen neuem Prosawerk, dem Autor gehe es um die "Entlastung der Deutschen von ihrer Schuld".
Die in Hamburg erscheinende Zeitschrift "Mittelweg 36" bezichtigt den in Basel lebenden deutschen Autor Dieter Forte, er habe in einem Roman über den Bombenkrieg seinen Figuren einen kollektiven "Opferstatus" zuerkannt, um "Fragen der Schuld" abwehren zu können.
Am härtesten aber attackiert wiederum die "SZ" den Erfolgsautor Bernhard Schlink und dessen Roman "Der Vorleser". Der Mann wolle schlicht "mit der Vergangenheit aufräumen".
Sind neuerdings in der deutschen Literatur, klammheimlich oder schamlos offen, Verharmloser deutscher Schuld am Werk? Lügen Romane und Novellen Täter dreist zu Opfern um? Es scheint so, als hätten Kulturkritiker da unter dem Banner der politischen Korrektheit Stoff für eine aufregende Debatte angesammelt.
Da wird ausgerechnet dem Schriftsteller Grass, 74, seit vielen Jahren erklärter Gegner jeder CDU-Politik, in der "NZZ" nachgesagt, er knüpfe mit seiner Sicht der Dinge an Äußerungen des früheren Bundeskanzlers Konrad Adenauer über das Unglück der Deutschen an.
Noch spektakulärer ist der Angriff auf Schlinks Roman "Der Vorleser" (1995), das weltweit erfolgreichste Werk eines deutschen Literaten nach der "Blechtrommel" von Grass und Patrick Süskinds Roman "Das Parfum".
Selbst das notorisch an ausländischer Leseware desinteressierte US-Publikum fand Gefallen an der eigenwilligen Geschichte des jungen Helden Michael Berg und seiner älteren Geliebten Hanna Schmitz, die sich später als ehemalige KZ-Aufseherin entpuppt - in Deutschland ist das Buch mittlerweile Schullektüre, in Hollywood wird derzeit die Verfilmung vorbereitet. Sind Millionen Leser naiv einem beschönigenden Machwerk aufgesessen, müssen nun besorgte Eltern sich um die Lektüre ihrer Schulkinder sorgen, sollen die Filmbosse den Dreh besser abblasen?
Haarsträubende ideologische Mängel des Romans hat Willi Winkler im "SZ"-Feuilleton ausgemacht - er deckt das Buch mit Vokabeln wie "Holo-Kitsch", "treudeutsch" und "abscheulich" regelrecht ein.



Wohin Winklers Vorwurf zielt, macht sein Seitenhieb auf den Spielberg-Film "Schindlers Liste" deutlich, durch den man sich angeblich "sogar als Deutscher wieder besser fühlen" könne - unzulässigerweise, versteht sich. Ähnlich soll das wohl auch für Schlink gelten und seine Romanfiktion von dem jungen Jura-Studenten, der in der Angeklagten eines KZ-Prozesses plötzlich seine ehemalige Geliebte wiedererkennen muss. Weil er in ihr nicht allein die Schergin zu erblicken vermag, büßt er die Selbstgewissheit moralischer Überlegenheit gegenüber der Väter- und Tätergeneration ein.
Was Winkler in seiner Polemik an Argumenten fehlt, ersetzt er durch Rempeleien. Mit schulmeisterlicher Geste etwa gesteht er Schlink zu, er habe wohl "von den Verbrechen vor seiner Zeit gehört" - doch was habe er daraus gemacht? "Er schweigt nicht, sondern er schreibt darüber." Unerhört offenbar für einen Schriftsteller.
"Der Jurist Schlink nimmt sich das Recht heraus", so ein Vorwurf Winklers, "die Judenvernichtung an dem einen Musterfall zu erklären." Als ob Schlink, 57, der neben seiner literarischen Tätigkeit als Jura-Professor und Verfassungsrichter arbeitet, nicht genau wüsste, dass der Schriftsteller jeweils nur den Einzelfall verhandeln kann. Er soll die Absicht gehabt haben, ausgerechnet in einem Roman die Judenvernichtung zu "erklären"?
Der "SZ"-Artikel verweist auf eine "erregte Debatte", die auf der britischen Insel losgebrochen sei, schon mit der Unterzeile: "England begreift nicht mehr, was es an Bernhard Schlinks Bestseller ,Der Vorleser' fand." Tatsächlich ist die angebliche Debatte in England nur ein Vorwand für die eigene Attacke gegen Schlinks Buch: Der britische Disput wurde in vier Leserbriefen im "Times Literary Supplement" ("TLS") ausgetragen, die im März auf eine Rezension von Schlinks Erzählungsband "Flights of Love" ("Liebesfluchten") reagierten - der Roman "The Reader" war vom gleichen Blatt schon 1997 vorgestellt und damals als "unwiderstehlich" gelobt worden.
Auch jetzt wurde Schlink im "TLS" verteidigt (was die "Süddeutsche" unterschlägt), doch in der Tat: Drei Leser zeigen sich über den fast sieben Jahre alten Roman empört - darunter der Germanistik-Professor Jeremy Adler, Sohn eines Holocaust-Überlebenden und nun Hauptzeuge der Anklage. Genüsslich zitiert Winkler den Schlusssatz Adlers: "Es wirft ein trauriges Schlaglicht auf unsere verkehrte Welt, dass diesen Schundroman ausgerechnet ein deutscher Richter ausgebrütet hat."
Und aus einem anderen Leserbrief zitiert er: "Wenn Literatur irgendeine Bedeutung haben soll, dann ist darin kein Platz für den ,Vorleser'." Darum geht es Winkler: hinaus aus den heiligen Hallen der Literatur!
Ähnlich verdreht sind die "SZ"-Vorwürfe gegen Peter Schneider. Nach einer gemeinsamen Veranstaltung mit Bundeskanzler Gerhard Schröder in Berlin, wo er Ende Februar aus seinem Buch "Und wenn wir nur eine Stunde gewinnen ..." vortrug, hieß es, Schneider habe sich angestellt, "als hätte er eben erst vom Holocaust gehört".
Das genau recherchierte Buch beschreibt die Überlebensgeschichte des jüdischen Musikers Konrad Latte im Berlin der Nazi-Zeit, berichtet von einer der wenigen glücklichen Ausnahmen, an der immerhin rund 50 Helfer beteiligt waren - historisch belegt wie die Rettungsaktion des Deutschen Oskar Schindler.
"Ein ganz aufregendes neues Thema: Ein Jude überlebt die Nazi-Zeit", heißt es dazu höhnisch in der "SZ". "Ein Tatsachenbericht. Die eigentlichen Helden scheinen die Deutschen zu sein, die ihn verstecken." Die Tendenz des Artikels: Schneider, 61, wolle in den Deutschen keine Täter mehr sehen.
Der Angriff auf Dieter Forte in der Zeitschrift "Mittelweg 36", herausgegeben vom Hamburger Institut für Sozialforschung, einer Stiftung von Jan Philipp Reemtsma, ist da schon subtiler. In dem Beitrag zu der 1997 von W. G. Sebald (1944 bis 2001) ausgelösten Debatte über "Luftkrieg und Literatur" und dessen Frage, warum die deutsche Literatur das Thema der eigenen Leidenserfahrung im Zweiten Weltkrieg bislang kaum zur Sprache gebracht habe, wird Dieter Fortes bemerkenswerter autobiografischer Roman "Der Junge mit den blutigen Schuhen" (1995) einer ideologischen Nachprüfung unterzogen.


Forte erzählt von Todesangst und Traumatisierung in den Luftschutzkellern. Darf sich ein Kind in der Erinnerung als unschuldiges Opfer des Bombenkriegs sehen? Darf der Autor das regimekritische Milieu des Düsseldorfer Arbeiterviertels so schildern, wie es sich ihm dargestellt hat? Und von einem älteren jüdischen Handwerker erzählen, Opa Winter, der sich innerhalb der Nachbarschaft im "Quartier" sicher aufgehoben fühlt? Darf es heißen: "Es gab Heldentaten, von denen nie einer berichtet hat"?

Offenbar nicht. Der Zeitschriften-Autor Stephan Braese fährt schwere Geschütze politischer Besserwisserei gegen Fortes Werk auf: Die "Gestalt der Machthaber" bleibe im Roman unscharf, lautet noch der geringste Vorwurf. Vielmehr: Nicht nur dem Kind, auch der Familie und den Bewohnern des Viertels, erklärten Nazi-Gegnern, werde "Opferstatus" zugeschrieben.

Schlimmer noch sei Fortes Schilderung des Versuchs, "einen Juden zu retten": Die Darstellung der (angeblich) "einzigen im Roman gestalteten jüdischen Figur" lehnt Braese als "Stereotypisierung des verfolgten Juden" ab - da kann sich Forte, 66, lange auf die realen Vorbilder berufen und an einen Juden namens Sommer erinnern, dessen Leben er so beschrieben habe, "wie es nun einmal ablief, auf dass er nicht vergessen wird".

Für die Deutschen im Luftschutzkeller war eine antifaschistische Haltung (wie bei Forte beschrieben) nun einmal nicht typisch, also kann die ganze Perspektive nicht stimmen. So einfach ist das.

Forte aber kommt sich nun "wie ein gemaßregelter DDR-Autor" vor, einer, "der von der Partei gehörig belehrt wurde, dass er den Klassenfeind nicht, wie von der Partei formuliert, richtig beschrieben habe und sein Werk deshalb nichts taugen könne". Er empfindet die Rüge aus dem Hamburger Institut als "politischen Verweis", als Political Correctness "in ihrer peinlichsten Form".

Tatsächlich hat es seit den Tagen der DDR keine derart ideologischen Gutachten über deutsche Literatur gegeben. Damals schrieb die Partei der Arbeiterklasse den Schriftstellern eine historische und ideologische Perspektive zwingend vor: Vorbildliche Figuren und beispielhafte Handlungen waren gefordert, nicht eigenwillige Perspektiven, selbstbezogene Befindlichkeiten, subjektive Erinnerungen.

"Parteilichkeit und Volksverbundenheit" ließen nicht zu, dass etwa der zweite Teil eines Romans von Boris Djacenko ("Herz und Asche") publiziert wurde. Der Autor schildert darin, wie eine aus dem KZ befreite Frau von Russen vergewaltigt wird. Die DDR-Zensoren warfen dem Autor seinerzeit nicht nur "antisowjetische Tendenzen" vor, sondern sie taten sein Manuskript auch gleich als "historisch unwahr und künstlerisch unzulänglich" ab.

Auch heute werden politische und literaturkritische Verdammung gern verquickt, ob im Fall des "Vorlesers" oder der neuen Grass-Novelle "Im Krebsgang", die von der Versenkung des deutschen Flüchtlingsschiffs "Wilhelm Gustloff" im Januar 1945 mit rund 9000 überwiegend zivilen Opfern berichtet. Natürlich darf und muss es unterschiedliche Kritikermeinungen geben, auffällig bleibt doch die Kombination von politischem Unbehagen und der Behauptung der literarischen Unwürdigkeit des Gegenstands. Gegen lobende Rezensionen, unter anderem im SPIEGEL (6/2002), durchaus unter Hinweis auf die Brisanz des Themas, setzten die "SZ" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" rigorose Verrisse mit politisch-moralischer Argumentation.

 
AP

Peter Schneider (l.) mit Hans-Christoph Buch und Bundeskanzler Schröder im Februar 2002: Das penibel recherchierte Buch "Und wenn wir nur eine Stunde gewinnen..." schildert, wie ein jüdischer Musiker dank deutscher Helfer überlebt - eine unzulässige Verklärung?


Mit Literatur habe das nichts mehr zu tun, lautete der Schlusssatz der "SZ"-Kritik, die Novelle sei "literarisch und ästhetisch dürftig". In der "FAZ", die zunächst eine eher freundliche Kritik druckte, schmähte man das Grass-Werk nun als "eine bessere Handreichung für Volksschullehrer", bei der, so die rhetorische Leerformel, "der Spielraum für divergierende ästhetische Wertungen als besonders gering veranschlagt werden darf".

Keine Frage, dass solche Reaktionen - wie sie es selbst gegen die meisterhafte KZ-Kinosatire "Das Leben ist schön" des Italieners Roberto Benigni gab - auch mit dem immensen Publikumserfolg zu tun haben: Die Bücher von Grass und Schlink verkaufen sich bestens. Und literarischer Erfolg macht in Deutschland skeptisch.

Rund 30 Grass-Übersetzer sitzen derweil weltweit an der Arbeit. 23 von ihnen trafen sich gerade erst im Lübecker Buddenbrook-Haus mit dem Autor zur traditionellen Besprechungsrunde, darunter Boris Chlebnikow, der das Buch ins Russische überträgt. Er berichtete, wie in seiner Heimat dem Buch entgegengefiebert wird und dass auch dort schon eine Diskussion begonnen habe (ein Sowjet-U-Boot hatte die "Gustloff" torpediert). Grass hat ohnehin erst spät seine russischen Leser erreicht: Wie in der DDR waren seine Bücher lange Jahre in Moskau unerwünscht.

Doch ein weniger vom Erfolg verwöhnter Autor wie Dieter Forte fragt sich derzeit, ob es noch möglich ist, über "persönliche Verletzungen und Traumata" zu schreiben, ohne in die nun um sich greifende Täter-Opfer-Debatte verstrickt zu werden. Sind die ideologischen Mängelrügen erst der Anfang eines neuen Generalverdachts, unter den sich jene deutsche Literatur gestellt sieht, die aus dem Abstand eines halben Jahrhunderts heraus (und zum Teil schon aus zweiter Hand) die von den Deutschen ausgelöste Katastrophe des Weltkriegs neu erzählen möchte?

   
 IN SPIEGEL ONLINE
 
·  Titel: Die Deutschen als Opfer - Günter Grass erzählt vom tausendfachen Tod bei der Versenkung der "Wilhelm Gustloff" (04.02.2002)

·  Vergangenheitsbewältigung: Kempowski kritisiert den Grass-Hype (03.04.2002)

·  Nachkriegsliteratur: Günter Grass kritisiert "revanchistischen Unterton" (05.02.2002)

·  Der neue Grass: Rückwärts krebsen, um voranzukommen (04.02.2002)


 

Da klingt es schon fast bedenklich, wenn ein besonnener Kritiker wie Wolfgang Ignée in der "Stuttgarter Zeitung" erwähnt, dass eine "unbefangene jüngere Generation" inzwischen Abschied von der These der Kollektivschuld nehme und beginne, "die Historie differenzierter zu sehen".

Noch sind jüngere Autoren wie Marcel Beyer ("Flughunde"), Judith Kuckart, deren neuer Roman "Lenas Liebe" wie nebenbei von einem Ausflug nach Auschwitz erzählt, oder Tanja Dückers, die an einem Roman arbeitet, der ebenfalls vom "Gustloff"-Untergang handelt, nicht ins Visier der Correctness-Überwacher geraten. Hätte die aktuelle, bizarre Debatte nun vorauseilende Ängstlichkeit zur Folge: Es wäre ein Unglück für die Literatur.
 

09.04.02 18:38

1303 Postings, 8240 Tage antoinetteGrass-ein Hetzer?

09.04.02 18:40

44 Postings, 8047 Tage RammlerHallo Anton,

ich verstehe Dich ja meinst aber nicht wir könnten die Sache bei einer heißen Milch mal besprechen ?  

09.04.02 18:41

1303 Postings, 8240 Tage antoinettekeine MEINUNG?

ist das thema zu schwer für euch?  

09.04.02 18:43

44 Postings, 8047 Tage RammlerDoch Anton, laß uns die Sache intim klären !

ich will Dir ja nicht bei deiner ...arbeit helfen müßen :O)  

09.04.02 18:44

1303 Postings, 8240 Tage antoinettewer ist denn schon wieder rammler?

das THEMA ist wichtig und bedarf keines idiotischen kommentars; kann man hier denn nicht auch einmal vernünftig diskutieren?  

09.04.02 18:47

44 Postings, 8047 Tage RammlerAnton jetzt werd nicht gleich feucht, will Dir

doch blos damit sagen das hausaufgaben zu hause und nicht im Internet gemacht werden :o). Außerdem ahtten wir noch nicht das vergnügen !
Garantiert nicht.  

09.04.02 18:52

1303 Postings, 8240 Tage antoinetteauch das ist journalismus

 


DER SCHWANZ WEDELT MIT DEM HUND

Sind die Palästinenser schuld am Bau der israelischen Siedlungen?

Von Henryk M. Broder


Wenn Israelis über Gewalt in Nahost diskutiertem, gab es immer ein Argument, das alle anderen vom Tisch fegte: "Im Straßenverkehr kommen mehr Menschen ums Leben!" Henryk M. Broder erzählt bei SPIEGEL ONLINE, warum nun alles anders ist.

 
Wagte man zum Beispiel in einer Diskussion die Meinung, es sei vollkommen idiotisch, Soldaten für den Schutz isolierter Siedlungen wie Netzarim oder Kfar Darom im Gaza-Streifen zu opfern, kam sofort der Satz zurück: "Auf der Straße sterben noch mehr!" So absurd das Argument auch war, es hatte seine numerische Richtigkeit.
Bis vor kurzem. Zum ersten Mal sind im vergangenen März bei Anschlägen mehr Menschen ums Leben gekommen als bei Straßenunfällen. Die Terrorstatistik hat die Verkehrsstatistik überholt. Damit mag es zusammenhängen, dass viele Israelis den Ernst der Lage begreifen und die Frage stellen: Ab wann ging alles schief?

Warum ist die Euphorie, die nach dem Abkommen von Oslo alle erfasst hatte, so schnell verpufft? "Arafat hat es nie ernst gemeint", sagt Ari "er hat mit uns verhandelt und seinen Leuten erzählt, er macht es, um ganz Palästina zu befreien, nicht nur Gaza und die Westbank."

"Wir haben es nie ernst gemeint", sagt Dani, "wir haben die Palästinenser 35 Jahre lang betrogen und belogen, sie hingehalten und ihnen erzählt, wir wollten die Gebiete nicht annektieren, und dabei haben wir eine Siedlung nach der anderen gebaut."

"Die Palästinenser hätten längst ihren Staat, wenn sie dem ersten Camp-David-Abkommen zwischen Ägypten und Israel zugestimmt hätten", sagt Jigal, "stattdessen haben sie gejubelt, als Sadat ermordet wurde."

"Und wenn einer von uns Jizchak Rabin nicht ermordet hätte, wären wir heute besser dran!" ruft Gila, "dann wäre Netanjahu nie gewählt worden, der hat Oslo kaputt gemacht!"

"Du vergisst, warum Bibi 1996 gewählt wurde", sagt Adin, "weil es eine Serie von Terroranschlägen gegeben hat, die Palästinenser haben dafür gesorgt, dass er gewählt wurde."

"Niemand hat uns gezwungen, Bibi zu wählen und niemand hat uns gezwungen, Scharon zu wählen!", schreit Tamara, "wir sind für unsere falschen Entscheidungen selber verantwortlich!"


"Es wird keine Lösung geben, wenn wir die Siedlungen nicht räumen", sagt Joram, "es kann doch nicht sein, dass 200.000 Siedler über Krieg und Frieden entscheiden, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt."

"Es wird keine Lösung geben, wenn die Palästinenser nicht ihren Anspruch auf Rückkehr aufgeben", sagt Avram. "Sie würden es vielleicht tun, wenn wir anerkennen würden, dass wir sie vor 54 Jahren vertrieben haben", sagt Klara.

"Aber damals waren es 700.000, inzwischen sind es vier Millionen", sagt Dudu, "sollen wir das Land verlassen, damit vier Millionen Palästinenser zurückkehren können?"

Es ist eine typische israelische Debatte, über die Palästinenser - aber ohne sie. Seit 1967 haben die Israelis über eine Lösung des Konflikts am liebsten untereinander diskutiert, ab und zu gab es einen "israelisch-palästinensischen Dialog", dessen Teilnehmer von einer Deutschen Stiftung, Konrad Adenauer oder Friedrich Naumann, zu Konferenzen nach Europa geflogen wurden.

"Aber nach Oslo sah es anders aus", sagt Gila, "wir konnten nach Betlehem, Jericho und Ramallah fahren und die Palästinenser kamen zum Einkaufen nach Jerusalem und zum Baden an den Strand von Tel Aviv, es gab kaum Kontrollen und keine Überfälle."

Und sie erinnert sich, wie sie in einem Cafe am Manger Square in Betlehem, wo heute gekämpft wird, saß, einen Humus aß und wie Eine gemischte israelisch-palästinensische Patrouille vorbeiging. "Sie hatten die gleichen Uniformen an und man konnte die Israelis und die Palästinenser nicht auseinander halten."

"Wie lange ist das her?" fragt Joram. "Sieben, acht Jahre", antwortet Gila, "ich kann es kaum glauben, damals hätten wir den Palästinensern ein faires Angebot machen sollen, statt dessen haben wir weiter Siedlungen gebaut."

 

Har Homa zum Beispiel, im Süden von Jerusalem, dem letzten unbebauten Hügel zwischen dem palästinensischen Dorf Tsur Baher und Betlehem. "Stell dir vor, du bist ein Palästinenser, du lebst in Tsur Baher und du bekommst keine Erlaubnis, ein Haus zu bauen. Und du siehst, wie genau gegenüber eine neue Siedlung gebaut wird, wie würdest du dich fühlen?" "Ich würde mich trotzdem nicht in die Luft sprengen", sagt Dudu, "aber ich würde auch nicht nach Har Homa ziehen."

Inzwischen ist Har Homa fast fertig gebaut, nicht nur eine unnötige Provokation, auch ein Monument der Hässlichkeit mitten in der Wüste. Ein paar Kilometer weiter südlich wird die Siedlung Betar Illit ausgebaut. Hier ruhen die Bauarbeiten zurzeit, weil die palästinensischen Arbeiter aus den umkämpften Gebieten nicht zur Arbeit kommen können. Das bringt Joram auf einen Gedanken.

"Wenn die Palästinenser sich geweigert hätten, die Siedlungen zu bauen, gäbe es das Problem heute nicht." Und es geht weiter mit der Diskussion, warum die Palästinenser dafür verantwortlich sind, dass die Israelis so viele Siedlungen bauen konnten.


 

09.04.02 18:54

44 Postings, 8047 Tage RammlerWelcher Hund hat keinen Schwanz ?

09.04.02 18:57

1303 Postings, 8240 Tage antoinetteich gebe es auf: kann mir schon denken wer du bist

ich lasse mich nicht mehr auf so ein idiotisches spiel mit dir ein, andre  

09.04.02 18:57

9161 Postings, 8947 Tage hjw2"...neue Unbefangenheit der eigenen Geschichte

gegenüber..."

Na hoffentlich kommt sie bald. Kaum einer traut sich öffentlich die
perverse Politik der Israelis zu kritisieren, ohne Angst haben zu müssen ins antisemitische Abseits gestellt zu werden.

Sicherlich fühle ich Scham wegen unserer verhängnisvollen Nazivergangenheit,  gehe aber nicht schuld- und komplexbeladen durch die Welt.

Mehr Selbstbewusstsein bezüglich unserer Vergangenheit scheint mir mehr als überfällig...

mfg
hjw  

09.04.02 18:59

3286 Postings, 8150 Tage PRAWDA antoinette, die Frage ist doch lange hinlänglich

geklärt.

Auch der Mord an einem einzigen Menschen ist
verabscheuenswert
und bedarf keiner Relativierung.

Ich verstehe das Ganze nicht.
Haben wir in Deutschland keinen
anderen Diskussions- und Handlungsbedarf?

Grüße  

09.04.02 18:59

44 Postings, 8047 Tage Rammlermfg hjw ???? HJ weiblich ?

Hättest mal Grünen Salon gestern oder heute schaune sollen !!!! Bevor du dünnes laberst  

09.04.02 19:03

9161 Postings, 8947 Tage hjw2@rammler..leider nicht gesehen.. o.T.

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