SPIEGEL-Online 06.03.04
PROTESTBRIEF
Chefredakteure gegen Schröder
Die Freiheit der Berichterstattung sei in Frage gestellt, protestieren "Bild" und "Stern" in einem Brief an die Bundespressekonferenz. Sie reagierten damit auf die Ankündigung des Regierungssprechers Bela Anda, möglicherweise Journalisten ihrer Redaktionen nicht mehr auf Auslandsreisen mitzunehmen.
Schröder auf Besuch beim amerikanischen Präsidenten Bush: Kein Platz für Springer-Presse in der Kanzlermaschine
Berlin - Der Streit zwischen Gerhard Schröder und "Bild" eskalierte einige Tage vor der Kanzlerreise in die Türkei: Den Chefredaktionen einiger Springer-Blätter flatterte ein Fax auf den Tisch. Inhalt: Leider gebe es im Flieger nach Ankara nun doch keinen Platz mehr für die Reporter des Boulevard-Blattes.
Selbstverständlich sei dies aber keine Strafaktion wegen der Art der Berichterstattung, hieß es aus dem Kanzleramt. Das gleiche Spiel beim Flug zu US-Präsident Bush: Sorry, leider schon alles voll.
Keine Interviews für "Bild"
In der Fernsehsendung "Monitor" am Donnerstagabend lüftete Regierungssprecher Anda ein offene Geheimnis: Eine Zusammenarbeit mit der "Bild"-Zeitung werde es nicht mehr geben. Da es nicht den Hauch einer fairen Berichterstattung gebe, wolle der Kanzler keine Interviews mehr mit der "Bild"-Zeitung. Und ob die "Bild"-Reporter wieder mit auf Kanzlerreise dürften, sei eine offene Frage, erklärte Anda in der Sendung.
Während der Kanzler sich einer schäbigen Hetzkampagne ausgesetzt sieht, finden Kai Diekmann, Chefredakteur der "Bild"-Zeitung und Thomas Osterkorn, Chef beim "Stern" ihre Artikel alle im Rahmen einer kritischen Berichterstattung.
Protestbrief gegen Schröder
Dementsprechend fahren die ausgeladenen Journalisten schwere Geschütze auf: In einem am Freitag verbreiteten Brief an den Vorsitzenden der Bundespressekonferenz Werner Gößling, werfen sie Bela Anda vor, mit seinen Äußerungen "nicht nur seine Kompetenzen als Beamter überschritten, sondern zugleich die Freiheit der Berichterstattung in Frage gestellt zu haben".
Regierungsprecher Bela Anda: Zusammenarbeit mit der "Bild"-Zeitung wird es nicht mehr geben
Anda dementierte umgehend: "Von einem Boykott kann keine Rede sein." Jedem Korrespondenten stehe der Zugang zu offenen Presseterminen frei. Außerdem habe ein Springer-Mann an einem Termin Schröders in den USA teilgenommen und ein Büroleiter der "Bild am Sonntag" sei an Bord der Kanzlermaschine gewesen - einen Anspruch auf Mitreise könne es aber schon aus Platzgründen nicht geben.
Kollegen unterstützen "Stern" und "Bild"
Die Chefredaktionen von "Bild" und "Stern" bekommen derweil Unterstützung von Kollegen, denen der Ärger des Kanzlers gar nicht gilt: Auch der Chefredakteur des "Tagesspiegel", Giovanni di Lorenzo und seine Kollegen, Bascha Mika von der "Tageszeitung", Uwe Vorkötter von der "Berliner Zeitung" und Christoph Keese von der "Financial Times Deutschland" unterzeichneten den Brief.
Der Brief ist nur der jüngste Ausdruck eines seit Wochen offen ausgetragenen Streits zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder, Anda und den beiden Blättern "Stern" und "Bild".
Für Ärger im Kanzleramt sorgte etwa die "Stern"-Titelgeschichte mit der Zeile "Dead Gerd Walking". Besonders aufgeregt hat den Kanzler, dass auch seine Frau und seine Tochter in "Bild"-Artikeln herhalten mussten für vordergründig mitfühlende Berichte: "Wie hält sie das nur aus?" fragte "Bild" vor kurzem scheinheilig.
Vorwurf der Hetzkampagne trifft nicht zu
"Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann: schäbige Berichterstattung?
So polemisch die Kritik von "Bild" und "Stern" in den letzten Wochen auch ausfiel, im Vergleich mit linksliberalen Medien kommt der Kanzler offenbar noch besser weg. Denn laut einer aktuellen Studie des Bonner Forschungsinstituts "Medien Tenor" trifft der Kampagnen-Vorwurf des Kanzlers gegen die "Bild"-Zeitung nicht zu. Sowohl in der Berichterstattung im Jahr 2003 als auch jetzt - nach vollzogenem Führungswechsel in der SPD - bewerteten die beiden Springer-Blätter Gerhard Schröder weniger kritisch als linksliberale Leitmedien, sagt "Medien Tenor". Deutlich positiver als von "Bild" und "Welt" werde der Kanzler nur noch von TV-Journalisten dargestellt, behaupten die Autoren der Untersuchung.
Im vergangenen Jahr wertete das Institut alle 127.827 Aussagen über Gerhard Schröder in 33 meinungsführenden Medien aus. "Dabei zeigte sich, dass selbst die vom Kanzler-Vertrauten Michael Naumann herausgegebene "Zeit" insgesamt kritischer über Gerhard Schröder berichte als die "Bild"-Zeitung", sagt Markus Rettich, Politikchef beim "Medien Tenor". Selbst die "Welt" habe kaum negativer über den Kanzler geschrieben als die "Zeit".
Auch die aktuelle Analyse der Berichterstattung über die personellen Veränderungen an der SPD-Spitze seit vergangener Woche decke dieses Ergebnis. Die Auswertung der insgesamt erfassten 2112 Aussagen über Schröder bringen ein ähnliches Resultat: Der Bundeskanzler wird in "Bild" insgesamt besser bewertet als in der "Frankfurter Rundschau".
Der Grund für den Streit mit "Bild" und "Stern" könnte ein anderer sein: Durch einen gemeinsamen Feind die eigenen Reihen in der Partei zu schließen. Ob das gelingt, ist jedoch ungewiss.
Alexander Bürgin
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