Schlaflose Investmentbanker in Moskau[Von ftd.de, 21:39, 29.11.04] Wen kümmert der Fall Yukos? Der Boom am Aktienmarkt, lukrative Anleihe-Emissionen und die Neuordnung der früheren Staatswirtschaft locken Investmentbanker zu Hunderten nach Russland.Blau leuchtet der Schriftzug der Citibank auf den Dächern der Stalinbauten - dort, wo einst in roten Lettern der Sieg des Kommunismus bejubelt wurde. Werbebanner mit dem Logo des US-Finanzkonzerns wehen über dem achtspurigen Gartenring. Und an der Stirnseite eines Plattenbaus verkündet eine riesige Tafel: "The Citi never sleeps". Das weltgrößte Geldinstitut macht sich in Moskau breit. Seit Januar hat die Citibank in der russischen Hauptstadt sieben neue Filialen eröffnet. Doch nur die Hälfte der rund 600 Mitarbeiter beschäftigen sich mit Sparbüchern, Kreditkarten und Autodarlehen. Die restlichen 300 Banker kümmern sich ums ganz große Geschäft: um Fusionen, Börsengänge, Bond-Emissionen. "Russland ist ein riesiger und faszinierender Markt", sagt Mark Robinson, der neue Präsident der Citigroup in Russland, der in einem renovierten Bürgerhaus aus dem 19. Jahrhunderts residiert. Investmentbanken bauen Präsenz in Moskau massiv aus Während Kremlchef Wladimir Putin den Ölkonzern Yukos zerschlägt und den Energiesektor stärker an den Staat binden will, zieht es immer mehr Investmentbanken nach Russland. Deutsche Bank und Morgan Stanley, UBS Brunswick und JP Morgan, Credit Suisse First Boston und Goldman Sachs, Merrill Lynch und Citibank - sie alle bauen ihre Präsenz in Moskau zurzeit massiv aus. "Sie fliegen wie die Motten zum Licht", sagt der renommierte Wirtschaftsjournalist Andrej Kolesnikow. Dabei haben sich die Banker schon einmal die Flügel verbrannt. "Wir haben die Krise von 1998 nicht vergessen", sagt Alex Rodzianko, Chef der Deutschen Bank in Moskau. Damals brach der Markt für Staatsanleihen zusammen, der Rubel wurde um 75 Prozent abgewertet. Viele westliche Banken erlitten herbe Verluste, verkleinerten ihre Niederlassungen oder zogen sich ganz aus dem Land zurück. Und heute? "Russland ist zu groß, als dass man es ignorieren könnte", sagt Rodzianko. Ihre Verluste hat die Deutsche Bank längst wettgemacht. Das Institut beschäftigt heute mehr als 120 Mitarbeiter im Kerngeschäft. Weitere 120 Experten entwickeln spezielle IT-Anwendungen. Hohe Profite erwartet Andere ziehen mit: Goldman Sachs und Merrill Lynch, die sich vor sechs Jahren aus Moskau verabschiedet hatten, kehrten 2004 zurück. Credit Suisse First Boston (CSFB), einer der größten Verlierer der damaligen Krise, beschäftigt wieder 95 Mitarbeiter. Morgan Stanley hat angekündigt, 40 neue Leute in Moskau einzustellen. "Die Wirtschaft boomt, der Konsum wächst, das politische Regime ist stabil, die Kreditratings verbessern sich", sagt Rair Simonyan, Statthalter von Morgan Stanley in Moskau. "Wir können es uns nicht leisten, in Russland nicht dabei zu sein." Die Institute versprechen sich von ihrem Engagement hohe Profite, denn ihr Expertenwissen stößt auf große Nachfrage. Russische Firmen sind zunehmend an Börsengängen interessiert. Die Zahl der Unternehmen, die an der Moskauer Börse gehandelt werden, hat sich in zwei Jahren auf 70 verdoppelt. Mehrere Konzerne streben überdies Notierungen im Ausland an. So platzierte die Stahlgruppe Mechel Ende Oktober zehn Prozent ihrer Aktien für 290 Mio. $ in New York. Bei der Emission von Anleihen ist das Know-how der Investmentbanker ebenfalls gefragt. Dieses Jahr begeben russische Firmen und der Staat in Euro notierte Bonds im Wert von 7,6 Mrd. $. Die geplante vorzeitige Tilgung von Staatsschulden in Höhe von zunächst 10 Mrd. Euro hebt das Ansehen Russlands als Emittent weiter. "Für uns ist Russland kein Emerging Market mehr", sagt Miklos Komos, Chef von JP Morgan in Moskau. "Das Geschäft ist zivilisierter geworden" Zugleich wächst das Interesse ausländischer Investoren am russischen Aktienmarkt. Der Wert des Börsenindex RTS hat sich in den vergangenen Jahren verfünffacht. "Wir müssen in Russland präsent sein, denn das wird von unseren Kunden erwartet", sagt der örtliche Morgan-Stanley-Chef Simonyan. Dieses Jahr könnten sich Portfolio-Investitionen (meist ausländischer Provenienz) auf bis zu 10 Mrd. $ summieren - 6 Mrd. $ mehr als 2003. Gefragt sind Papiere der Gas- und Ölkonzerne wie Gasprom und Lukoil, der Metallbranche (Norilsk Nikel, Sewerstal) sowie der Telekom-Unternehmen (MTS, Rostelekom). Um den wachsenden Bedarf an Finanzdienstleistungen decken zu können, hat sich die Deutsche Bank im Januar für 70 Mio. $ bei der russischen Investmentbank UFG eingekauft, die einen großen Teil des Aktienhandels im Land kontrolliert. Die Wildwest-Stimmung der ersten Jahre ist verflogen. "Das Geschäft ist zivilisierter geworden", sagt CSFB-Russland-Chefin Diana Gindin. "Es gibt einige erstklassige Unternehmen - nicht nur unter den Förderfirmen, sondern auch in der Brauereibranche und im Einzelhandel." Viele Unternehmen seien transparenter geworden. Wer Anleihen platzieren oder an die Börse gehen will, muss Einblick in seine Bücher gewähren. Rasante Entwicklung Die Investmentbanken versuchen mit der rasanten Entwicklung Schritt zu halten, heuern Experten an, ziehen in repräsentative Räumlichkeiten. "Unser größtes Problem ist ein neues Bürogebäude", klagt Alex Rodzianko. Das jetzige Büro des Deutschbankers in einem Gebäude eines früheren sowjetischen Instituts, ist spartanisch eingerichtet: Auf dem einfachen Schreibtisch stehen nur Computer und Telefon. Mehr Glanz und Gloria gibt es vorerst nicht. "Der Boom führt dazu, dass gute Flächen in Moskau extrem knapp und teuer sind", sagt Rodzianko. Trotzdem sind Jobs bei den Banken aus dem Westen begehrt. Rodzianko arbeitete nach seinem Studium als Dolmetscher bei den Start-2-Verhandlungen zwischen dem russischen KP-Chef Leonid Breschnew und dem US-Präsidenten Jimmy Carter. Viele sagten ihm eine steile Diplomatenkarriere voraus. Doch er entschied sich dafür, im Auftrag der Deutschen Bank den russischen Markt zu bearbeiten. "Das war spannender", sagt er. Rodzianko konnte den größten russischen Mobilfunkanbieter MTS sowie die Energiekonzerne Gasprom und Lukoil für die Deutsche Bank als Kunden gewinnen. Zuletzt bereitete er für das Bundesfinanzministerium den Verkauf russischer Staatsschulden vor. Investmentbanker kaum beeindruckt von Kreml-Kurs Von der Kampagne des Kreml gegen Yukos lassen sich die Investmentbanker kaum beeindrucken. Der Eigner des Konzerns, Michail Chodorkowskij, sitzt wegen angeblicher Steuerhinterziehung seit mehr als einem Jahr im Gefängnis. Die Fördertochter Yuganskneftegas soll nun zur Tilgung der ausstehenden Steuerschuld verkauft werden. "Wenn Yukos ein Einzelfall bleibt, gibt es keine Probleme", meint Rodzianko. "Wenn die Fälle von Steuerhinterziehung aber zu einer Breitseite gegen den Kapitalismus genutzt werden, dann haben wir eine Katastrophe." Die Finanzexperten neigen dazu, die spektakuläre Zerschlagung des Energiekonzerns durch den Präsidenten als Ausnahme zu betrachten. Putin hat Ende November führenden russischen Industriellen noch einmal versichert, dass die Privatisierung von Firmen nicht rückgängig gemacht und der Staat das Privateigentum schützen werde. Allerdings müssten die Unternehmen ihre Steuern ordnungsgemäß zahlen. Die Herren des Geldes haben sich mit dem Kreml-Kurs arrangiert. Den Versuch Putins, die Kontrolle des Staates über die russischen Energieressourcen zu verstärken, registrieren sie ebenfalls gelassen: "In fast allen Öl exportierenden Ländern wird der Sektor vom Staat kontrolliert", sagt Rodzianko. Ära der Oligarchen ist zu Ende Dem Geschäft mit Firmenzusammenschlüssen und -übernahmen (M&A) scheint Putins Vorstoß jedenfalls nicht zu schaden. Allein 2003 summierten sich die Transaktionen unter russischer Beteiligung auf mehr als 28 Mrd. Euro - nicht zuletzt wegen des Einstiegs der britischen BP beim russischen Ölkonzern TNK. Dieses Jahr lief ebenfalls glänzend: Im September kaufte der US-Konzern PhilipsConoco 7,59 Prozent der Lukoil-Aktien für 1,9 Mrd. $. Und der französische Energiekonzern Total zahlte 1 Mrd. $ für 25 Prozent des russischen Gasförderers Novatek. Weitere Deals werden geprüft, darunter eine Beteiligung des deutschen Eon-Konzerns an Yuganskneftegas. Während internationale Unternehmen in Russland einkaufen, expandieren immer mehr russische Konzerne im Ausland: Lukoil kauft Tankstellen und Raffinerien in Mitteleuropa und in den USA, Sewerstal übernimmt eine US-Stahlgruppe, Rusal erwirbt Bauxit-Minen in Guinea. Kaum ein Deal, der ohne die Mithilfe der Investmentbanker in Moskau abgeschlossen wird. Die Ära, in denen allein Oligarchen vom Schlage Roman Abramowitschs zugetraut wurde, im Ausland dreistellige Millionenbeträge auszugeben, ist nach Ansicht des Wirtschaftsjournalisten Kolesnikow zu Ende: "Russische Eigner sind nicht nur an Fußballclubs wie Chelsea interessiert." Alle Rechte vorbehalten. © FTD
|