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Dresdens Apokalypse
Von Markus Becker und Jule Lutteroth
Vor 60 Jahren wurde Dresden von alliierten Bombern eingeäschert. SPIEGEL ONLINE zeigt bisher unveröffentlichte Luftbilder der Stadt nach dem letzten Angriff des Krieges. Die unvorstellbare Zerstörung wurde allein möglich durch eine wissenschaftlich ausgeklügelte Methode der Brandlegung: den Feuersturm.
Es war ein Zufall, der die britischen Militärs auf die Idee für die Angriffsmethode brachte, die in ihrer Vernichtungskraft nur von der Atombombe übertroffen wurde. Bei Luftangriffen hatte sich Erstaunliches gezeigt: Kleine Brandstäbe, die eigentlich Bombenziele ausleuchten sollten, können unter den passenden Bedingungen eine viel größere Zerstörungskraft entfalten als die schwersten damals verfügbaren Sprengbomben.
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Um den Zufallsfund in ein effizientes Mittel der Kriegsführung zu verwandeln, führten Briten und Amerikaner aufwendige Experimente durch. Am Ende besaßen sie ein Werkzeug, das in Städten wie Hamburg und Dresden mehrere zehntausend Menschen auf einen Schlag töten konnte.
Die Aerial Reconnaissance Archives an der englischen Keele University haben SPIEGEL ONLINE bisher unveröffentlichte Luftbilder zur Verfügung gestellt, die das völlig zerstörte Dresden am 18. April 1945 zeigen. Einen Tag zuvor hatte die US-Luftwaffe den letzten großen Angriff auf die Stadt geflogen. Die Fotos gehören zu einer Sammlung, die das britische Verteidigungsministerium der Universität in den vergangenen sechs Monaten zur Verfügung stellte. "Wir werden in den kommenden Monaten sechs Millionen Bilder auswerten", sagt Allan Willians, Chef der Digitalisierung bei den Archiven.
Der Untergang Dresdens stand am Ende einer Reihe von Versuchen und Bombardements, bei denen das tödliche System Feuersturm immer weiter verfeinert wurde. Sowohl die Briten als auch die Amerikaner bauten deutsche Häuser und ganze Siedlungen inklusive einer möglichst detailgetreuen Inneneinrichtung nach, um die Brennbarkeit der Behausungen so realistisch wie möglich zu gestalten.
Star-Architekt kopierte deutsche Häuser
Die US-Regierung beauftragte eigens den aus Deutschland emigrierten Architekten Erich Mendelsohn, Kopien von Berliner Mietskasernen aufzubauen. Mendelsohn, zu seinen Zeiten einer der weltweit Größten seines Fachs, ließ im Mai 1943 auf dem geheimen Dugway Proving Ground in der Wüste von Utah verblüffend genaue Duplikate der deutschen Häuser errichten - bis hin zur spezifischen Dichte des Bauholzes und originalgetreuen Stoffen für Gardinen und Bettwäsche.
Bomben auf das Reich: Tote bei Luftangriffen auf Deutschland
Die Briten hatten ihre Feuerwaffe zuvor bereits in der Praxis getestet. In der Nacht zum 29. März 1942 setzten 234 Bomber mit 25.000 Brandstäben die militärisch bedeutungslose Altstadt von Lübeck in Brand und töteten mehr als 300 Menschen. Arthur Harris, Chef des britischen Bomberkommandos, hatte Lübeck mit seinem verschachtelten historischen Stadtkern als ideales Ziel ausgemacht. "Eher wie ein Feueranzünder denn als menschliche Behausung" sei die Stadt gebaut.
Im Laufe der Versuche und Bombenangriffe entwickelten die Briten eine raffinierte Kombination unterschiedlicher Waffen, die den Feuersturm entfachen sollte:
* Zuerst sprengen riesige Luftminen, sogenannte Blockbuster, Dächer, Fenster und Brandmauern weg. * Anschließend regnen Abertausende kleiner Brandstäbe und Phosphorbomben in die abgedeckten Häuser und verursachen zahlreiche Brände, die durch die Zugluft kräftig angefacht werden. * In nachfolgenden Angriffswellen werfen die Besatzungen der britischen Lancaster-Bomber, die das Rückgrat der nächtlichen Flächenbombardements bilden, Spreng- und Splitterbomben ab - mit dem erklärten Ziel, Feuerwehr- und Rettungstrupps zu treffen und Wasserleitungen zu zerstören.
* Die zahlreichen Einzelbrände vereinigen sich ungehindert zu einem riesigen Flächenbrand. Eine gewaltige Heißluftsäule reißt in orkanartigen Stürmen Tausende Tonnen Umgebungsluft in die Straßen der brennenden Stadtgebiete. In dem Glutofen herrschen Temperaturen, die den Asphalt schmelzen lassen. Fliehende Menschen werden von den Stürmen ins Feuer geweht. Tausende andere, die etwa in Kellern Schutz suchen, sterben an Hitzschlag, Überdruck, Verbrennungen oder Kohlenmonoxidvergiftung.
Trotz aller Experimente erwies sich die Entfesselung des Feuersturms als komplizierter Akt. Bereits im November 1941 hatte Luftmarschall Harris unter dem Deckwort "Unison" (Gleichklang) 19 deutsche Städte auf ihre Entflammbarkeit prüfen lassen. In Hamburg, Wuppertal, Pforzheim, Kassel und einem Dutzend anderer Städte gelang den Briten der Feuersturm, im weitläufiger gebauten Berlin mit seinen weitgehend steinernen Bauten blieb er dagegen aus.
1100 Bomber ließen Dresden untergehen
In Dresden erreichte der Brandbombenkrieg seinen letzten Höhepunkt. 770 britische Lancaster-Bomber und 330 amerikanische "Fliegende Festungen" vom Typ B-17 warfen mehr als 3100 Tonnen Luftminen, Spreng- und Brandbomben auf die Stadt, die mit Zehntausenden Flüchtlingen aus Ostdeutschland überfüllt war. Bis zu 35.000 Menschen starben während des Angriffs am 13. und 14. Februar 1945. Genauere Schätzungen sind schwierig: Da die Beerdigung aller Toten unmöglich war, errichteten Bergungskommandos Scheiterhaufen.
Für Dresden war der Krieg damit noch nicht vorbei. Am 17. April 1945 begann kurz vor 13 Uhr der größte amerikanische Luftangriff auf die geschundene Stadt. Allerdings galt die Attacke diesmal nicht der Zivilbevölkerung, sondern den Gleisanlagen. Die Amerikaner warfen innerhalb von 84 Minuten mehr als 1500 Tonnen Sprengbomben und die vergleichsweise geringe Menge von 164 Brandbomben ab.
Am Ende waren sowohl der Rangierbahnhof Neustadt als auch der Altstädter, der Haupt- und der Friedrichstädter Bahnhof zerstört. Erst mit diesem Angriff, bei dem noch einmal 450 Menschen starben, hatten die Alliierten ihr schon vor dem Feuersturm vom Februar anvisiertes Ziel erreicht: Dresden war als Knotenpunkt des Eisenbahnverkehrs nicht mehr brauchbar.
MfG kiiwii
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