Erbitterter Dreikampf der Billigflieger
Der Wettbewerb setzt Air Berlin zu. Eine Exklusivstudie zeigt: Die Fluggesellschaft kann nur überleben, wenn der Ausbau des Langstreckengeschäfts gelingt.
Stansted ist das Grauen für alle, die früh ins Flugzeug müssen. Dann sind nächtliche Taxifahrten fällig, denn die Terminals liegen gut 60 Kilometer nordöstlich der Londoner City. Ähnlich unlustige Gefühle verbinden Manager von Lufthansa bis Air France-KLM mit Stansted. Von hier aus eroberte der irische Preisbrecher Ryanair ab 1997 Europa. Drei Jahre später landete fast jede europäische Billiglinie in Stansted, das bunte Allerlei der Logos auf den Maschinen war das Symbol für den Boom der Flug-Discounter.
Heute zeigt der Flugplatz wieder einen Trend. Die Vielfalt ist dahin, nur noch drei Billigflieger besetzen in großem Stil die Terminals: Ryanair (blau), Easyjet (orange) und mit einigem Abstand Air Berlin (rot). „Alle anderen spielen mindestens eine Liga darunter und können wohl nicht mehr aufsteigen“, sagt Chris Avery, Luftfahrtexperte der Investmentbank JP Morgan. In keiner anderen Branche mussten in den vergangenen Jahren so viele Unternehmen aufgeben oder wurden übernommen. Nun beginnt der harte Endkampf der drei Großen.
Wer hat die besten Chancen, die solidesten Finanzen, das cleverste Geschäftsmodell? Wer hat das beste Produkt und wer die geringsten betrieblichen Reibungsverluste? Gemeinsam mit der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton hat die WirtschaftsWoche die drei Billigmarktführer auf Herz und Nieren durchleuchtet und in insgesamt 22 Kriterien bewertet.
Air Berlin muss ihre Komplexität in den Griff kriegen
Die günstigsten Chancen, so das Ergebnis, hat Ryanair, gefolgt von Easyjet und Air Berlin. Ryanair ist am besten finanziert und muss mit seinem spartanischen Service an abgelegenen Flughäfen kaum Konkurrenz fürchten. An zweiter Stelle landet Easyjet. Die Linie verdient zwar weniger Geld als der irische Rivale, hat sich aber mit etwas besserem Service geschickt einen Platz zwischen Ryanair und Klassikern wie Lufthansa erkämpft. Für Air Berlin bleibt nur Rang drei. Das Unternehmen hat zwar den besten Service des Trios, doch es verdient daran im Vergleich zur Konkurrenz wenig, muss eine Reihe von Übernahmen verdauen und hat die meiste Konkurrenz. „Das Unternehmen hat letztlich nur dann eine sichere Chance“, sagt Jürgen Ringbeck, Flugexperte von Booz Allen Hamilton und Mitautor der Studie, „wenn es seine Komplexität und das Kostenmanagement in den Griff bekommt.“ Zudem müsse der Ausbau des Langstreckengeschäft gelingen.
Finanzen. Die größten Unterschiede zwischen den drei Linien zeigen die Bilanzen. „Nur wer hier stark ist und hohe Erträge hat, kann steigende Kosten wegstecken, mögliche Krisen abfedern sowie Flugzeuge oder auch andere Unternehmen kaufen, wenn die Gelegenheit günstig ist“, sagt Ringbeck.
Ryanair liegt unangefochten an der Spitze. Die Linie hat ein sehr hohes Eigenkapital, das gut 40 Prozent der Bilanzsumme ausmacht. Von jedem Euro Umsatz bleibt ihr ein Gewinn von rund 20 Prozent — eine gute Quote im Vergleich zu anderen Industriezweigen und schlicht sensationell für die Flugbranche. Selbst im Boomjahr 2007 hat die Konkurrenz, inklusive Air France und Lufthansa, im Durchschnitt weniger als fünf Prozent verdient.
Easyjet folgt zwar mit deutlichem Abstand, dürfte aber bald aufholen. Schon heute haben sie ebenso viel Eigenkapital wie Ryanair und eine extrem hohe stille Reserve in Form von Flugzeugbestellungen. Beide Linien haben in der Krise nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 im großen Stil Maschinen geordert. „Die bekamen die wohl besten Preise, die es je gab“, sagt JP-Morgan-Analyst Avery. Schätzungen reichen bis hin zu Rabatten von mehr als 50 Prozent vom Listenpreis.
Seitdem sind die Flugzeugpreise kräftig gestiegen. Konsequenz: Bei rund sieben Millionen Euro dürfte die Differenz zwischen den Preisen liegen, die Ryanair und Easyjet für ein neues Flugzeug bezahlen und denen, die sie bei einem Weiterverkauf an eine andere Fluglinie bekämen. Da beide jeweils mehr als 100 feste Bestellungen und gut 100 Optionen haben, verfügen sie unter dem Strich über eine stille Reserve von mehr als einer Milliarde Euro
Air Berlin beteuert, zu ähnlichen Konditionen gekauft zu haben. Doch das sieht ein Airbus-Manager anders. „Ich fürchte, deren Vorteil beträgt wohl bestenfalls ein Drittel der Summe“ — ein gewaltiger Nachteil. Im Augenblick vermeidet die Linie zwar Strecken, die auch von Easyjet und Ryanair bedient werden. Seit der Übernahme der DBA ist der Wettbewerber vor allem die Deutsche Lufthansa, die Air Berlin aber noch kaum zugesetzt hat.
Doch das wird sich ändern. „Da es in Europa fast keine lukrativen Strecken ohne Billigangebot gibt, müssen sich die Marktführer bei ihrer weiteren Expansion zwangsläufig immer öfter in die Quere kommen“, sagt Berater Ringbeck. „Und gegen die deutlich höhere Finanzkraft von Easyjet und Ryanair tut sich Air Berlin in der jetzigen Verfassung sehr schwer.“
Operative Effizienz. Den deutlichen Vorsprung bei der Rendite verdankt Ryanair einer sehr effizienten Arbeitsweise. Booz Allen und WirtschaftsWoche haben die Betriebskosten der drei Kontrahenten auf eine vergleichbare Streckenlänge umgerechnet. Danach kostet es den irischen Preisbrecher durchschnittlich 3,6 Cent, einen Passagier einen Kilometer weit zu fliegen. Air Berlin muss dafür gut 70 Prozent mehr ausgeben. Das führt Air-Berlin-Chef Joachim Hunold vor allem darauf zurück, dass seine irischen Rivalen auf den meisten Flughäfen quasi gratis landen. Doch die Booz-Allen-Studie zeigt, dass dies den Ryanair-Vorsprung nur zu einem Teil erklärt. „Auch ohne die Flughafen-Gebühren fliegt Ryanair noch um ein Drittel günstiger als Air Berlin“, sagt Berater Ringbeck.
Weil in die Ryanair-Boeings mehr Leute passen als in die Flugzeuge von Air Berlin, sinken die Kosten pro Passagier entsprechend. Auch die Verwaltung der Iren ist besser, indem sie sich auf die stetige Verbesserung des Geschäftsmodells konzentrieren kann, während Air Berlin nach den Übernahmen von Germania, DBA, LTU und wohl bald auch der Condor vor allem integrieren muss.
Vom reinen Billigflieger über eine Urlaubslinie bis zum Langstreckengeschäft — alle drei haben so unterschiedliche Geschäftsmodelle wie Arbeitsabläufe und Firmenkulturen. Ryanair betreibt eine Einheitsflotte. Easyjet fliegt zwei, Air Berlin hingegen sieben Flugzeugtypen. Das treibt die Kosten, denn die Air-Berlin-Flieger sind meist wesentlich älter und durstiger. Jeder Typ erfordert auch eine eigene Organisation mit eigener Wartung – ein für Fluglinien teures Betriebsmodell.
Hinzu kommt, dass Air Berlin an einer im Konkurrenzvergleich geringeren Auslastung der Flugzeuge leidet; sie befördert rund fünf Prozent weniger zahlende Passagiere als Ryanair und Easyjet. Weil jeder Euro, den diese fehlenden Kunden für Tickets oder Extras an Bord ausgeben würden, größtenteils in den Gewinn ginge, verdient Air Berlin — auf die angebotene Kapazität gerechnet — nur ein Zehntel von Easyjet und Ryanair. Auch wenn Air Berlin, wie versprochen, seine Erträge steigert und die Margen der Billigflieger in absehbarer Zeit ein wenig näher zusammenrücken – die Spitzenposition von Ryanair und auch der zweite Rang von Easyjet ist für die Deutschen fast uneinnehmbar.
Die größten Fortschritte dürfte es noch bei Easyjet geben. Dort reorganisiert Andy Harrison, der vor gut zwei Jahren den Chefposten übernahm, das Unternehmen von Grund auf. Analyst Avery erwartet, dass es Harrison gelingen wird, die Umsatzrendite „bald von 8 auf rund 14 Prozent zu steigern“. Ryanair werde angesichts steigender Kosten statt auf 20 künftig nur noch auf gut 15 Prozent Umsatzrendite kommen.
Für einen Großteil der Erträge sollen dabei Geschäftsreisende sorgen, die extrem kurzfristig buchen und in der Regel für fast jeden Preis fliegen müssen. Die Obergrenze setzen etablierte Linien wie Lufthansa. Sie befördern kurzentschlossene Passagiere meist zu Höchstpreisen („Full Fare“), die innerhalb Deutschlands in der Economy Class bei gut 400 Euro und in Europa bei über 1300 Euro liegen. Bisher ist bei den Billigfliegern bestenfalls jeder Fünfte dienstlich unterwegs, während Anzugträger bei Lufthansa & Co. fast die Hälfte ausmachen.
Produktqualität: Damit mehr lukrative Kunden billig buchen, wollen alle drei Linien ihr Produkt verbessern. Die besten Voraussetzungen bringt Air Berlin mit. Die Booz-Allen-Studie gibt ihr die besten Noten beim Service. Als Einzige verlangen die Deutschen an Bord kein Geld für Essen und Trinken; Tageszeitungen sind ebenfalls gratis. Nur Air Berlin offeriert ein Vielfliegerprogramm und die Möglichkeit, am Flughafen auch am Automaten einzuchecken. Meist starten sie von großen gut erreichbaren Flughäfen wie Düsseldorf, München oder Berlin-Tegel, während Easyjet neben Großairports wie Hamburg, Amsterdam und Paris-Charles de Gaulle auch fliegerische Zweitligisten wie Dortmund ansteuert. Ryanair hingegen fliegt nur auf den Britischen Inseln zu größeren Landeplätzen wie Dublin oder Liverpool, auf dem Kontinent landen die Iren dagegen fast ausschließlich auf Provinzpisten wie Hahn, Weeze oder Girona im Hinterland von Barcelona.
Dennoch bleibt, gemäß der Studie, der Produkt-Vorsprung von Air Berlin am Ende relativ gering. Denn für Geschäftsreisende zählen nicht nur kurze Wege, Preis und kostenlose Mahlzeiten, sondern auch ein dichter Flugplan. Hier hat Ryanair Vorteile, weil die Linie mehr als doppelt so viele Ziele und Regionen verbindet wie Air Berlin und an ihren Hauptflughäfen wie London-Stansted ein dichtes Netz sowie viel Platz zum Expandieren hat.
Wachstumspotenzial: Aus Sicht der Booz-Allen-Studie hat Ryanair die besten Zukunftschancen. Zwar haben alle drei Linien genug Flugzeuge bestellt, um im Europaverkehr zu wachsen. Aber es wird immer schwerer, die Maschinen auch gewinnbringend einzusetzen.
Am leichtesten tut sich Ryanair. Die Linie ist in ihrem Geschäft schwer angreifbar, vor allem im Verkehr nach Irland, London und in die europäische Provinz. „Kein Unternehmen weltweit beherrscht das Billigmodell in der spartanischsten Variante besser und hat mehr Erfahrung, die Kosten immer weiter zu drücken“, sagt Analyst Avery.
Weil Ryanair nicht nur die niedrigsten Kosten, sondern europaweit auch die stärkste Marke hat, operiert die Linie auch relativ gut auf den Wachstumsmärkten in Osteuropa oder Nordafrika.
Easyjet und Air Berlin hingegen bekommen in ihren Kernmärkten eher Probleme. Mit dem Ansatz, den Kunden etwas mehr Service zu bieten, setzen sie sich zwar von Ryanair ab. Doch je mehr Großflughäfen sie ansteuern, umso mehr werden sich die Netzwerklinien wehren.
Dass Easyjet am Ende dabei besser abschneiden dürfte als Air Berlin, erklärt die Booz-Allen-Studie damit, dass die Briten dank ihrer soliden Finanzen dem Wettbewerb wesentlich besser gewachsen sind. Gleichzeitig ist die Linie mit den schreiend orangeroten Fliegern in den europäischen Wachstumsmärkten deutlich bekannter als Air Berlin, die außerhalb Deutschlands und Spaniens eher zu den Exoten zählt.
Den Nachteil kann Air Berlin jedoch wettmachen, wenn sie ihr Langstreckengeschäft erfolgreich ausbaut. Hier könnte Air Berlin ihren Platz mit einer Struktur finden, die im Vergleich zu den bisherigen Marktführern im Interkontinentalgeschäft schlanker ist. Voraussetzung ist freilich die Vereinigung der inklusive Condor dann insgesamt fünf Air-Berlin-Plattformen. „Die Integration und der Aufbau einer europaweiten Marke wird ein harter Job“, sagt Analyst Avery.
Derzeit sind die Anzeichen nicht gut. Bei der LTU etwa ist von einer Integration derzeit wenig zu spüren, besonders nicht, wenn sich die Piloten am Düsseldorfer Flughafen in den intern „Schlachthaus“ genannten Räumen auf ihre Flüge vorbereiten. „Wir haben allmählich das Gefühl, dass uns Herr Hunold durch billigere Neulinge ersetzen will“, sagt einer der Piloten.
Das Problem sollte Hunold rasch klären. In Asien gibt es eine Reihe neuer Konkurrenten wie Air Asia X, Oasis oder Jetstar, die auch auf der Langstrecke Billigflüge anbieten. Ob es in Europa den Low-Cost-Airlines gelingt, den etablierten Linien diese wichtigste Einnahmequelle streitig zu machen, ist laut Berater Ringbeck zwar noch völlig offen: „Doch mit diesem Schritt beginnen die Low-Cost-Airlines ein völlig neues Spiel.“
Und auch das fände wohl zuerst in London-Stansted statt.
Quelle: http://www.wiwo.de/unternehmer-maerkte/...der-billigflieger-267793/2/
|