Nicht nur BP hat marode Rohre: Alte Anlagen, ausgebeutete Ölfelder und die Suche nach neuen Quellen beflügeln das Geschäft der Bohrfirmen und Öl-Dienstleister
von Hans Sedlmaier
Es herrscht tote Hose in Deadhorse, Prudhoe Bay, Alaska. Zwar dreht sich hier wie immer alles ums Öl. Doch das droht nun aus durchgerosteten Pipeline-Rohren auszulaufen, und deshalb hat Bob Malone, Chef von British Petroleum in den USA, das gesamte Ölfeld vor einer Woche stillgelegt. Prudhoe Bay ist BP-Land – spätestens seit 1977 die 1250 Kilometer lange Alaska-Pipeline ihren Betrieb aufnahm. Ein Zehntel seiner gesamten Ölförderung bezieht BP aus der Prudhoe Bay, acht Prozent der amerikanischen Ölproduktion kommen aus dem gefrorenen Tundra-Boden. Außer mehreren hundert Ölarbeitern sieht man hier oben, an der Nordspitze Alaskas, nur noch ein paar Touristen, die den 660 Kilometer langen James Dalton Highway bis Deadhorse geschafft haben. Der ist erst seit 1994 für die Allgemeinheit geöffnet und besteht größtenteils aus Kies, Felsbrocken und Schlaglöchern. BP hatte hier immer alles unter Kontrolle: Auf einer zweistündigen Bustour können Besucher zwar die Förderanlagen und Container-Camps anschauen – durchs Busfenster. Aussteigen ist nicht vorgesehen. Doch seit einer Woche hat BP die Kontrolle verloren. Weil man die drei Jahrzehnte alte Transit-Pipeline seit 14 Jahren nicht mehr gereinigt hatte, müssen nun vielleicht 40 Kilometer – innen von Schwefelsäure und außen von Rost – zerfressene Pipeline-Rohre komplett erneuert werden. Der Auftrag an US Steel und Nippon Steel ist bereits erteilt worden. Hundert Millionen Dollar kostet die Kompletterneuerung, dazu kommt der Gewinnausfall aufgrund der gestoppten Produktion. Bis Februar werden die Arbeiten mindestens dauern. Ein Desaster für den Ölmulti, der sich in Image-Kampagnen gern als umweltbewußter Öko-Konzern zeigte.
Doch die Pipeline-Panne wird wohl kein Einzelfall bleiben: „Was bei BP passiert ist, kann noch öfter vorkommen“, sagt etwa Ute Speidel, Managerin des dit-Energiefonds und eine der besten Kennerinnen der Branche. Es ist kein Geheimnis, dass BP ein Viertel seines Öls in Westsibirien fördert, wo das 69000 Kilometer lange Leitungsnetz immer löchriger wird. Die Umweltorganisation Greenpeace schätzt, dass jährlich bis zu 20 Millionen Tonnen Öl aus den Rohren tropft und versickert – auch hier akuter Handlungsbedarf. Nicht nur BP hat zu lange gewartet und muß nun massiv in seine Infrastruktur investieren. Auch die anderen Öl- und Gaskonzernen haben jahrelang teure Investitionen hinausgeschoben. Davon profitieren neben Stahlkonzernen, die Rohre liefern, auch Pipeline-Bauer wie die italienische Saipem. Ölservice-Firmen wie Halliburton, Schlumberger und Baker Hughes sind Allrounder, andere sind dagegen hochspezialisiert. Diese Dienstleister übernehmen die Suche nach Öl oder Gas vor Ort, Geo-Spezialunternehmen fahnden zuvor mit neuester Satellitentechnik und Computerprogrammen nach unentdeckten Ressourcen. Wieder andere bauen Ölplattformen auf hoher See oder sind Experten im Heraufholen des Schwarzen Goldes aus immer größeren Tiefen. Vor allem die reinen Bohrfirmen sind ausgebucht wie selten zuvor. Die Miete für eine große Öl- oder Gasbohranlage auf hoher See beträgt derzeit bis zu 500000 Dollar – am Tag. Noch vor zwei Jahren lagen die Kosten bei 200000 Dollar. Nicht immer läuft es so gut für Ölbohrer. Wenn die Ölmultis keine Notwendigkeit sehen, Aufträge zu vergeben, müssen sie lange Durststrecken durchstehen und machen oft fünf oder sechs Jahre lang Miese. Das ist jetzt anders: „Die Investitionen sind in den vergangenen drei Jahren um etwa 70 Prozent gestiegen“, schätzt Pierre Martin, Fondsmanager bei DWS. Derzeit verdienen die Ölbohrer richtig gut. „Die Gewinnmargen liegen bei sechzig oder gar siebzig Prozent“, weiß Martin. Noch vor zwei Jahren kalkulierten die Konzerne für langfristige Infrastrukturinvestitionen mit einem durchschnittlichen Ölpreis von 20 Dollar pro Barrel (159 Liter). Bei diesem Ölpreis lohnt sich zum Beispiel der Bau einer neuen Ölraffinerie – eine Milliardeninvestition – erst nach mehreren Jahrzehnten. Deswegen wurde in den USA seit 1976 keine neue Raffinerie mehr gebaut. Auch jetzt zögern die Konzerne mit der Planung einer neuen Raffinerie.
Mittlerweile haben die Ölfirmen zwar erkannt, dass ihre Rechnung falsch war und legen für ihre internen Kalkulationen einen durchschnittlichen Ölpreis von 40 Dollar zugrunde. Doch auch der scheint viel zu niedrig. Der Ölpreis steigt seit Jahren an und ist nicht mehr weit von der 80-Dollar-Marke entfernt. Experten schließen einen dreistelligen Ölpreis schon länger nicht mehr aus. Erst vor wenigen Tagen hat Johannes Benigni, Geschäftsführer des internationalen Ölberaters PVM, die Gefahrenlage so zusammengefasst: „Wir hatten bisher noch keinen schweren Hurrikan, und die Entscheidung über das iranische Atomprogramm und Sanktionen ist auch noch nicht gefallen.“ Bei einem Lieferstopp der Mullahs in Teheran werde wohl auch Venezuelas Staats-Chef Hugo Sanchez den Ölhahn ein wenig zudrehen. „Unter die 50-Dollar-Marke wird der Ölpreis nicht mehr fallen“, ist sich Benigni sicher. Je höher der Ölpreis steigt, desto mehr Aufträge werden die Energieriesen an Bohr- und Ausrüstungsfirmen vergeben. „Es wird durchaus investiert. Aber das sind oft Aufwendungen für die Instandsetzung und Instandhaltung der alten Anlagen“, sagt Sandra Ebner, Fondsmanagerin der Deka Bank. Dazu kommt: Der Ölhunger der vergangenen Jahre – vor allem in Asien – war einfach zu groß. Aufgrund der hohen Nachfrage mussten die Multis ihre nachgewiesenen Reserven anzapfen. Jetzt sind die Kapazitätsgrenzen erreicht, und neue Funde oder eine verbesserte Ausbeute alter Felder gleichen daher gerade mal die geschwundenen Reserven aus. So fehlt auf absehrbare Zeit ein Puffer, der dringend nötig wäre, um den Ölpreis zu stabilisieren. Ute Speidel sieht daher sowohl bei reinen Bohrfirmen als auch bei Serviceunternehmen „immer noch viel Potenzial nach oben“. Der Grund ist für sie klar: Weil die Reserven der Ölfirmen ersetzt werden müssen, „muss die Branche noch stärker investieren“.
Es gibt noch weitere Gründe, warum Ausrüstungsfirmen auch künftig neue Aufträge bekommen werden, erläutert Deka-Expertin Sandra Ebner: „Die derzeit getätigten Investitionen bringen oft nicht die ursprünglich geplanten Ergebnisse, weil die Kosten unerwartet stark gestiegen sind.“ Dafür gibt es mehrere Ursachen: Zum einen sind die Stahlpreise nach oben geklettert. Zum anderen haben aber auch die Arbeitskosten deutlich zugenommen. Denn das knappe, gut ausgebildete Personal hat jüngst deutliche Gehaltssteigerungen durchgedrückt. Aufgrund der Ölsuche unter immer schwierigeren Bedingungen reicht auch das alte Equipment oft nicht mehr aus: Neues Spezialgerät muss für teures Geld angefertigt werden. Aus das verzögert – und verteuert – die Suche. Daher werden die Ölkonzerne in den kommenden Jahren notgedrungen noch deutlich mehr Aufträge an die Dienstleister und Bohrunternehmen vergeben müssen. In diesem Jahr haben 300 von Lehman Brothers befragte Ölfirmen bereits ihre Investitionen um ein Fünftel auf insgesamt 261 Milliarden Dollar erhöht – ein Trend, der anhalten und den Dienstleistern weiter nutzen wird.
Quelle: EuramS 13.08.2006
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