Agrarfinanzierung, Kuh auf Kredit

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20752 Postings, 7454 Tage permanentAgrarfinanzierung, Kuh auf Kredit

Das sind zielgruppengerechte Lösungen. Leider findet man die in der Finanzbranche viel zu selten.

HANDELSBLATT, Mittwoch, 15. August 2007, 15:00 Uhr

Agrarfinanzierung

Kuh auf KreditVon Anke Brillen

Nicht erst, seit der Milchpreis anzieht, ist die Finanzierung von Bauern ein Milliardengeschäft. Doch Landwirte haben es schwer, qualifizierte Kreditberater zu finden, die die betriebswirtschaftlichen Daten eines Bauernhofes deuten können. Erst jetzt entdecken einige Banken die speziellen Bedürfnisse der Landwirte.



Kuh auf einer Weide: Kaum ein Landwirt kann den Neubau eines Stalls heute noch aus Eigenmitteln finanzieren. Foto: dpa
Bild vergrößernKuh auf einer Weide: Kaum ein Landwirt kann den Neubau eines Stalls heute noch aus Eigenmitteln finanzieren. Foto: dpa

FRANKFURT. Landwirt Hermann Heilker aus Wietmarschen hat glückliche Kühe. Seine 50 Tiere werden in einem hochmodernen Boxenlaufstall gehalten, die Nachzucht in einem Offenfrontstall. „Früher wurde einfach nur angebaut und diese Maßnahme mit Eigenmitteln finanziert“, sagt Heilker. Wenn heute aber eine Betriebserweiterung ansteht, werden gleich größere strategische Schritte geplant. „Der Neubau eines Boxenlaufstalls kostet 5 000 Euro je Kuhplatz – macht bei 50 Kühen 250 000 Euro. Das kann der Betrieb nicht allein finanzieren. Dazu braucht es ein Finanzierungskonzept.“

Einige Banken haben die speziellen Bedürfnisse der Landwirte entdeckt. Die Kreissparkasse Grafschaft Bentheim zu Nordhorn etwa ist ein Vorreiter und hat 1988 ein eigenes Agrarfinanzierungscenter eingerichtet. Alle Mitarbeiter stammen aus der Landwirtschaft und sind bei ihren Finanzierungsgesprächen mit Milchviehhaltung, Schweine- und Geflügelproduktion sowie dem Ackerbau vertraut.

Nicht von ungefähr kam man gerade hier auf die Idee, sich spezieller um die Agrarfinanzierung zu kümmern. Die Grafschaft ist ein landwirtschaftliches Ballungszentrum: Rund 1 700 Betriebe inklusive Zulieferer und Weiterverarbeitung setzen jährlich 600 Mill. Euro um. Lange war deren Finanzierung fest in den Händen der Volks- und Raiffeisenbanken. Mit der Einstellung von Agraringenieur Claus Stopka baute die Sparkasse ihr Center auf, das heute 1 000 Kunden zählt.

Finanziert wird alles von der lebenden Kuh, bis zum Stall; sogar die begehrten Milchquoten können über Kredite gekauft werden. 71 Mill. Euro werden jährlich in Material, Dienstleistungen, Projekte und Anlagen investiert. Pro Betrieb beträgt die Investitionssumme zwischen 20 000 und 70 000 Euro.

Kredit ist das Finanzierungsinstrument Nummer eins der Bauern, weil es unschlagbar günstig ist. „Die Refinanzierung übernimmt oft die Landwirtschaftliche Rentenbank“, erklärt Stopka. Diese ist eine öffentliche Fördereinrichtung, die sich über günstige Rentenanleihen auf dem Kapitalmarkt finanziert. Im Gegensatz zur KfW, die mit Haushaltsmitteln des Bundes gegründet wurde, begann die Rentenbank als Selbsthilfeeinrichtung. Die Landwirte brachten das Eigenkapital selbst ein und profitieren davon bis heute. Hinzu kommt, dass Landwirte für die Aufnahme von Krediten gute Sicherheiten bieten. „Landwirtschaftliche Betriebe weisen im Durchschnitt eine Eigenkapitalquote von 80 Prozent auf“, sagt Karin Gress, Sprecherin der Landwirtschaftlichen Rentenbank. Gefragt seien vor allem langfristige Finanzierungen.

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Lesen Sie weiter auf Seite 2: Das größte Risiko der Bauern ist die Natur.

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Kurzfristige Finanzierungsinstrumente wie Leasing oder Forfaitierung – der Forderungsverkauf an Banken – werden dagegen in der Regel nicht in Anspruch genommen. Ihr Cash Flow ist stabil: Molkereien überweisen zwei Mal im Monat, Schlachtereien bei Lieferung. Zahlungsausfälle seien extrem selten, so Stopka. „Die Bauern können ihre Ware immer in der produzierten Menge absetzen, allerdings nicht immer zum erhofften Preis. So kann ein Ferkel 58 Euro und dann wieder nur 28 Euro bringen.“

Doch das größte Risiko ist die Natur. So hat die Rentenbank allein wegen des Sturms Kyrill Liquiditätshilfedarlehen in Höhe von 30 Mill. Euro ausgegeben. Um künftig konkurrenzfähig zu bleiben, brauchten Landwirte zudem für weitere Investitionen öffentliche Mittel, meint Gress. 2006 erreichten deutsche Agrarexporte ein Rekordhoch von 40 Mrd. Euro. Die gestiegene Nachfrage ist auch bei Bauer Heilker angelangt. Im letzten Monat bekam er 30 statt 28 Cent für den Liter Milch. Da lassen sich Ställe einfacher abbezahlen.


Finanzen auf dem Bauernhof

Milliardenmarkt...: Bundesweit liegt in der Land- und Forstwirtschaft ein Kreditvolumen von 32 Mrd. Euro. Sparkassen und Landesbanken halten mit etwa 10,6 Mrd. Euro ein Drittel Marktanteil. Dabei haben es Landwirte schwer, qualifizierte Kreditberater zu finden, die die betriebswirtschaftlichen Daten eines Bauernhofes deuten können.

 

... im Umbruch:

Wie kaum eine andere Branche hat sich die Landwirtschaft gewandelt. Mit Hilfe von Satelliten werden Felder kartiert, Computer ermitteln präzise die Ertragswerte der Ernte und speichern die Informationen teilflächengenau. Unternehmerisches Denken und ein Händchen für Investitionen spielt eine zentrale Rolle in einer überdurchschnittlich kapitalintensiven Branche, in der ein Arbeitsplatz 2005 mit 295 000 Euro rund doppelt so viel wie im produzierenden Gewerbe kostete.

 

In Europa wird derzeit alle zwei Minuten ein Bauernhof aufgegeben. Immer weniger Landwirte werden deshalb immer größere Flächen zu bewirtschaften und zu finanzieren haben.

 

15.08.07 17:49

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