Das Märchen von der "Volksmeinung"
Der Forscher glaubt, dass sich das Unterstützermilieu des neuen rechten Terrorismus im Netz formiert. "Das Internet dient zur Rekrutierung, das Internet ist praktisch ein paralleles Nachrichtenmedium, wo organisiert wird und sich Gemeinschaften bilden", sagt Zick. "Es ist eigentlich so, dass sie meinen, die Volksmeinung zu vollstrecken und ihre Community die Wahrheit gepachtet hat."
Der Wissenschaftler trifft mit seiner Analyse einen Punkt: Seit Jahren formiert sich in Deutschland eine Parallelgesellschaft. Viele Millionen Menschen haben sich von den öffentlichen Diskursen verabschiedet. Politiker sind in ihren Augen „Volksverräter“, Medien firmieren unter dem Label „Lügenpresse“.
Die neue Parallelgesellschaft hilft Protestparteien
Diese Menschen haben einen Anteil daran, dass in Deutschland immer wieder Protestparteien aufsteigen und wieder verglühen. Angefangen hatte es mit den rechten Parteien im Osten: Die beinahe zehn Prozent für die als offen staatsfeindlich bekannte NPD der der sächsischen Landtagswahl im Jahr 2004 waren ein erstes Indiz dafür.
Auch der Erfolg der Piratenpartei, so bitter es für einige netzidealistische Gründer auch sein mag, war zwischenzeitlich auf jene Wähler zurückzuführen, die „denen da oben“ eins auswischen wollten. Offenes Indiz dafür waren die internen Kämpfe gegen rechte Sektierer, etwa in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern, wo Amtsträger sich als ehemalige NPD-Mitglieder outeten.
Und dann kam schließlich die AfD. Sammelbecken jener, die dieses und jenes „ja wohl noch sagen dürfen“ wollen. Schon in ihrem Gründungsprogramm bekannte sich die Partei auch zu solchen Mitgliedern, die „unkonventionelle Meinungen“ vertreten wollen.
Eine offene Einladung für alle, die unzufrieden mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind. Das musste zum Schluss auch der Gründungsvorsitzende Bernd Lucke einsehen, als er seinen Parteiaustritt erklärte.
Parallelen zur Radikalisierung der RAF in den 60er- und 70er-Jahren
Ihre Informationen beziehen die Mitglieder der neuen deutschen Parallelgesellschaft aus so genannten „Alternativmedien“. Ein bewusster Euphemismus, mit dem sprachlich an die linke Untergrundkultur der 60er- und 70er-Jahre angeknüpft werden soll.
Portale wie „Netzplanet“ und „PI-News“ bereiten den ideologischen Boden für die rechte Gewalt. Sie reißen aus dem Zusammenhang und hetzen gegen Minderheiten. Argumentation ist dabei nicht vonnöten – denn wer solche Seiten ansteuert, will ohnehin nur seine eigenen Ressentiments bestärkt sehen.
Wenngleich es wenig Analogien zwischen dem neuen braunen Sumpf und der 68er-Bewegung als solcher gibt: Die Mechanismen der Radikalisierung in der rechten Szene weisen erstaunliche Ähnlichkeiten zur Entstehung des linken Terrors in den späten 60er-Jahren auf.
Als maßgeblich für die Entstehung der RAF gelten die Kaufhausbrände in München und Frankfurt im April 1968. Auch damals glaubten die Täter – unter ihnen die späteren RAF-Terroristen Andreas Baader und Gudrun Ensslin – sie handelten in einem nicht näher definierten Volkswillen.
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