Du alter SPD-Hasser?
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8. Mai Kundgebung Wir stehen heute hier vor dem Willy-Brandt-Haus, weil die SPD dort um 18 Uhr ihre Wahlkampfveranstaltung "Nation, Patriotismus, Demokratische Kultur in Deutschland 2002" abhalten wird. Wir fordern die Auflösung dieser Veranstaltung.
Nicht genug, dass diese Veranstaltung überhaupt stattfindet, nein, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands wählte ausgerechnet den 8. Mai, um mit dem Nationaldichter Martin Walser vaterländische Treueschwüre auzutauschen.
Franz Müntefering, Generalsekretär der SPD verteidigte die heutige Veranstaltung mit dem Bekenntnis, obwohl der 8. Mai ein wichtiger Termin in der deutschen Geschichte sei, müsse sich dadurch niemand belastet fühlen. Deutschland sei nach 10 Jahren Wiedervereinigung ein normales, europäisches Land geworden und in diesem Zusammenhang sei es "notwendig" über Nation und Patriotismus zu sprechen.
Müntefering steht damit nicht alleine. Die Sueddeutsche Zeitung von heute hält alle Anschuldigungen gegenüber Schröder und Walser für "Unsinn". Dafür werden die Kritiker Walsers in seinem eigenen Jargon der "Gesinnungshygiene" bezichtigt. Ungeachtet breiter Proteste von linker und bürgerlicher Seite schreibt die Suedeutsche dass allen voran mal wieder der Zentralrat der Juden steht, aus dem die "Sehnsucht nach Begrenzung der Meinungsfreiheit" spreche. Dabei gehe es doch auf der Veranstaltung nur um "gewöhnliche Kategorien der politischen Debatte". Die heutige Ausgabe des grünen Regierungsblattes taz feiert das rotgrüne Geschichtsentsorgungsprojekt als "Nation ohne Skandal". Mit der heutigen Veranstaltung habe der Kanzler die bisherige Interpretation des Kriegsendes als Niederlage zu einem "positiven Anknüpfungspunkt des deutschen Selbstverständnisses" gemacht. Spätestens seit dem Afghanistaneinsatz habe man endlich bewiesen, dass der Verweis "auf die NS-Vergangenheit als moralischer Wegweiser für die Tagespolitik" nicht mehr nötig sei.
Das sehen wir anders!!!
Der 8. Mai ist der Tag, an dem sich die Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands und die Befreiung der wenigen überlebenden jüdischen und nichtjüdischen Opfer aus den Konzentrationslagern zum 57sten Mal jährt. Die Wahl dieses Datums für eine Veranstaltung, in deren Ankündigungstext unübersehbar der Satz prangt: "Wir in Deutschland - das sagen wir heute mit Stolz auf unser Land", stellt einen Affront gegen die Opfer der Shoah dar, deren Vernichtung durch das antisemitische deutsche Mordkollektiv nur von aussen durch die Alliierten militärisch gestoppt werden konnte.
Dafür und für nichts anderes steht der 8. Mai.
Bundeskanzler Gerhard Schröder verkündete bereits am 10.11. 1998 in seiner Antrittsregierungserklärung: "Was ich hier formuliere, ist das Selbstbewußtsein einer erwachsenen Nation, die sich niemandem über-, aber auch niemandem unterlegen fühlen muß, die sich der Geschichte und ihrer Verantwortung stellt, aber bei aller Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen, doch nach vorne blickt..." Zum Ende seiner ersten 4 Kanzlerjahre treffen der Kanzler und sein Dichter am 8. Mai erneut zusammen, um die rot-grünen Erfolge in Sachen Entsorgung der Geschichte des Landes der Täter zu feiern. Schließlich soll es doch laut Einladungstext ein kritisches Gespräch über die Verantwortung der Deutschen werden. Die Einladung droht, "als eine normale Nation" wolle "Deutschland seiner veränderten Rolle in Europa und in der Welt gerecht werden".
In der Konsequenz deutscher Normalisierungsbestrebungen wird der 8. Mai erneut zu einem Tag erklärt, an dem das wiedererstarkte Deutschland seine machtpolitischen Ansprüche formulieren kann. Mit "Nie wieder Auschwitz" wurde die deutsche Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien und damit der erste deutsche Angriffskrieg seit 1945 begründet. Für die rotgrüne Regierung besteht die Lehre aus der nationalsozialistischen Vergangenheit darin, deutsche Experten in die Welt zu schicken, die für die frühzeitige Diagnose faschistischer Regime und leidender Völker sorgen. In dieser Konsequenz erfolgte dann auch der Mazedonieneinsatz für Ruhe und Ordnung im europäischen Hinterland und die Beteiligung am Antiterrorkampf in Afghanistan, am Horn von Afrika und anderswo. Die ultimative Normalisierung als Befreiung der Deutschen von Auschwitz ist im Zeichen weltpolitischer Souveränität wohl erst dann erreicht, wenn deutsche Soldaten ihre Gewehre wieder auf Juden und Jüdinnen richten können – etwa als Teil einer sogenannten internationalen Friedenstruppe im Nahen Osten. Es war Gerhard Schröder, der mit diesem Vorschlag anläßlich der jüngsten Eskalation des Nahostkonfliktes vorpreschte. Angesichts der heutigen Veranstaltung fragt man sich, ob es wohl Zufall war, dass Schröder seinen ersten Vorstoß in Richtung Bundeswehrbeteiligung an einer internationalen Truppe in Israel ausgerechnet am Jom-Hashoa, dem offiziellen israelischen Gedenktag für die Opfer des Holocaust ausgeprochen hat - vor einer Kommandeurstagung der Bundeswehr. Schröders Vorstoß entsprach ganz dem Geist dieser heutigen Veranstaltung und wurde von dem Antisemitismusforscher Wolfgang Benz als "Entsorgung der Geschichte" kritisiert. Es herrsche der Glaube, so Benz, "man habe sich genug mit der deutschen Geschichte auseinandergesetzt und nach einer gewissen Demut sei das aus der Welt".
Zur Bekräftigung der aggressiven Erinnerungsabwehr im Dienste der deutschen Normalisierung hat sich Schröder heute zwei Prototypen für gesundes deutsches Volksempfinden aufs Podium geladen, deren Verdienste um die antisemitische Aufladung des deutschen Normalisierungsdiskurses über jeden Zweifel erhaben sind.
Der deutsche Nationaldichter Martin Walser hielt bekanntlich 1998 anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels eine deutsch-nationale und antisemitische Rede, für die er damals von der versammelten deutschen Elite einschliesslich des Kanzlers Schröder mit Standing Ovations bedacht wurde. Wie versteinert sitzen blieben nur der damalige Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis und seine Frau Ida Bubis. Bubis kritisierte Walsers Rede in der Folge scharf und bezeichnete diesen wiederholt als geistigen Brandstifter. Damit bezog sich Bubis nicht nur auf Walsers paranoische Klagen über die angeblich gegen das deutsche Volk gerichtete "Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken", bei der Auschwitz von "Meinungssoldaten" "mit vorgehaltener Moralpistole" als "Drohroutine", "Moralkeule", und "Dauerrepräsentation unserer Schande" benutzt würde. Walser fragte selbst "vor Kühnheit zitternd" im Gestus der verfolgten Unschuld: "Aber in welchen Verdacht gerät man, wenn man sagt, die Deutschen seien jetzt ein normales Volk?" In der weiteren Debatte um seine Rede bekräftigte Walser seine geschichtsrevisionistischen Thesen mehrfach und wurde dabei nicht zuletzt von SPD-Politikern wie Klaus von Dohnany mit weiteren antisemitischen Invektiven unterstützt.
Wenn der deutsche Nationaldichter Walser sich heute "über ein Geschichtsgefühl" auslässt, so möchte man sich seine neuerlichen Antworten auf seine eigenen Fragen garnicht erst vorstellen - geschweige denn sie den Überlebenden des Holocaust und ihren Nachkommen zumuten. Der andere Sekundant, welcher das Gespräch zwischen Walser und Schröder "moderieren" soll, hatte erst jüngst sein antisemitisches Coming-Out lutherisch inspirierter Art. In der ZEIT-Ausgabe zum 9. November 2001, dem Datum der Reichspogromnacht, schwallte und walserte Christoph Dieckmann von der "Schicksaldämmerung der deutschen Gegenwart", und klagte, dass "Linke, Liberale, Christen, Pazifisten das deutsche Feld so völlig brach" liegen ließen. Die Gründe dafür sind Dieckmann ein "Auschwitz-Reflex, das eingezeugte Niewieder"; die Ursachen für deutschen Nationalismus findet er bei den Juden: "Aber wirkt nicht die Geschichte des christlich verbrämten Nationalismus wie eine Kopie des jüdischen Volkserwählungsglaubens?" fragte er. Und nachdem er so die Ursache aller nationalistischen Übel bei den Juden geortet hatte, konnte Dieckmann das antisemitische Bild vom ewigen Juden als Bild des ewigen Besatzers weiterspinnen: "War nicht das Volk Israel, dem Gott seine Gebote offenbarte, unterwegs nach einem verheißenen Land, in dem aber längst andere Menschen lebten? Hält Israel nicht bis heute fremde Erde und büßt dafür mit Tod und tötet jeden Tag? Wir registrieren das ohne deutschen Kommentar, als Gebiete unsere Geschichte uns zu schweigen, als rechtfertige Auschwitz Israels Palästinapolitik. Israels Erwählungshybris ist ein Fluch."
Mit solchen infamen Fragen, auf die ihm Martin Walser sicher einige einverständige Antworten geben kann, schloss Dieckmann den Kreis zwischen dem immer noch virulenten, christlich tradiertem Antisemitismus, deutschem Geschichtsrevisionismus und den derzeit grassierenden antisemitisch begründeten Ressentiments gegen Israel. All das hat ihn offenbar in den Augen der Veranstalter zur Moderation des Gespräches zwischen Walser und Schröder qualifiziert.
Zum Schluss nochmals eine Erinnerung:
Nicht weit entfernt von hier befindet sich das Gelände, auf welchem nach langer Debatte nun das Holocaust-Mahnmal errichtet wird. Martin Walser hatte den Entwurf in seiner Rede als "fussballfeldgroßen Albtraum" denunziert, Gerhard Schröder hatte bedauernd festgestellt, dass das Mahnmal "besonders nach der Walser-Debatte (...) nicht mehr" abgelehnt werden könne, und sich dann, ganz im Sinn einer Entsorgung der Geschichte durch ihre Musealisierung, ein Mahnmal gewünscht, zu dem "die Leute gern hingehen".
Lange vor der von rot-grün in die Tat umgesetzten Normalisierung, nämlich 1994 anläßlich der ersten Diskussionen um die Errichtung einer zentralen Holocaust-Gedenkstätte durch die Deutschen, hatte Eike Geisel bereits mit hellsichtiger Klarheit festgehalten, was die SPD mit ihrer heutigen Veranstaltung nachhaltig bestätigt: "Auschwitz," so schrieb Eike Geisel damals, "war also doch noch gut ausgegangen. Dieser Unort war nicht das Massengrab nationaler Aufgaben und Verpflichtungen gewesen, vielmehr hatte dort die von Juden geschaukelte Wiege eines ganz besonderen Gemeinschaftsgefühls gestanden. (...) So ist aus der Asche der Ermordeten der Stoff geworden, mit dem sich der neue Nationalismus das gute Gewissen macht, jetzt können die Landsleute statt Menschen Deutsche sein."
Dies lässt sich heute bruchlos übertragen auf die von der SPD hier vollzogene Umdeutung des 8. Mai vom Tag der Befreiung der Opfer des Nationalsozialismus zum Tag der Befreiung der Deutschen von der Last ihrer Geschichte.
Deshalb heisst die zum 8. Mai einzig angebrachten Parole:
Deutschland, halts Maul!
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