Autor: Dr. Carsten Schmidt für wallstreet:online. Bereits im Frühjahr hatte die Bundesvereinigung Bauwirtschaft für 2019 ein Umsatzwachstum von vier Prozent prognostiziert. Bei der Herbstpressekonferenz am 12. November 2019 dann die Überraschung: Umsatzwachstum von fünf Prozent. Die Baubranche bleibt der Wachstumstreiber der Volkswirtschaft. Die wallstreet:online-Redaktion hat bei Branchenexperten nach ihren Erfahrungen und Anlageprofis nach Investmentchancen gefragt. Hier nun alles, was Stockpicker für ihr Depot über die deutsche Bauwirtschaft wissen müssen. Fachkräftemangel und Kapazitätsengpässe, dies seien die großen Herausforderungen der Bauwirtschaft über 2019 hinaus, so Marcus Nachbauer, Vorsitzender der Bundesvereinigung Bauwirtschaft. Deutschlandweit bleibt die Neubautätigkeit nach wie vor der Wachstumstreiber der Branche. Geringe Finanzierungskosten und hohe Beschäftigung sorgten für eine stabile Nachfrage nach Wohnraum, so Nachbauer. Einen neuen Auftragsimpuls erwarte man im Bereich staatliche Infrastrukturen. Die Deutsche Bahn werde in den nächsten Jahren Bauprojekte aus Bundesmitteln in Milliarden-Höhe umsetzen. Nach langen Jahren der Investitionszurückhaltung sei die Bundesregierung nun zu Investitionen bereit, so Nachbauer. Somit könnten öffentliche Aufträge die Verlangsamung aus dem privatwirtschaftlichen Sektor kompensieren. Gleichzeitig gebe es neue Herausforderungen. Die Einführung des Berliner Mietendeckels könnte erhebliche Auswirkungen auf die Branche haben. Schon jetzt beobachte man, dass Investoren skeptischer werden und Wohnungsbaugesellschaften Handwerkeraufträge stornieren. Die Bauwirtschaft erfährt weiterhin goldene Jahre, Claus Michelsen (DIW) Im Gespräch mit der wallstreet:online-Redaktion sagte Claus Michelsen, Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik am DIW Berlin: Die Umsätze entwickeln sich sehr gut, die Auftragsbücher sind weiterhin prall gefüllt. Nach Jahren der Zurückhaltung fragt auch der Staat deutlich mehr Bauleistungen nach. Insgesamt eröffnet dies Preissetzungsspielräume bei den Unternehmen, die rege genutzt werden. Die Preise für Bauleistungen steigen so stark wie seit Jahren nicht mehr beobachtet. Für 2020 sieht Michelsen viel Licht aber auch einen Schatten. Während die öffentliche Hand zusätzliche Investitionen angekündigt habe, rechne man beim privaten Wohnungsbau mit einer gewissen Beruhigung. Auf die Frage nach den größten Gefahren für die Baubranche antwortete Michelsen: Momentan leidet die Bauwirtschaft unter Nachwuchsmangel, der zuletzt durch Arbeiter aus dem Ausland kompensiert wurde. Allmählich wird es aber schwer, zusätzliches Personal aus anderen Ländern zu gewinnen. Verschärft wird die Lage noch durch die anstehende Pensionierungswelle und den demografischen Wandel. Auf der Nachfrageseite ist es vor allem die öffentliche Hand, die in der Vergangenheit zu sehr nach dem Prinzip stop-and-go investiert hat. Eine stetige Investitionstätigkeit ist auch für die Branche insgesamt wichtig, damit Geschäftsmodelle planbar bleiben. Mögliche Bremsklötze könnten aber gelöst werden. Die Geldpolitik ist absehbar expansiv und dürfte auch in den kommenden Jahren stützend wirken, so Michelsen. Bauunternehmen sind aus der Dotcom-Krise gut auf einen Abschwung vorbereitet Ralph Henger, Senior Economist für Finanz- und Immobilienmärkte beim IW Köln, sagte gegenüber wallstreet:online: Die größte Gefahr resultiert langfristig in dem Aufbau von Überkapazitäten, die dann über einen mittel- bis langfristigen Zeitraum die gesamte Auftragslage massiv dämpft. Die Bauunternehmen haben jedoch genau dieses Problem nach den Erfahrungen z.B. aus der Dotcom-Krise im Blick. Hengers Ausblick für 2020: Die Bauwirtschaft kann mit relativ stabiler hoher Nachfrage rechnen, insbesondere im Wohnsegment. In den meisten Ballungszentren bestehen hohe Wohnungsbedarfe, die erst durch eine hohe Bautätigkeit über einen Zeitraum mehrerer Jahre befriedigt werden kann. Wir erwarten insgesamt keine schnelle, sondern nur eine langsame Konjunkturabkühlung. Die langfristig niedrigen Zinsen dürften die Nachfrage nach Wohnimmobilien hoch halten, so der Immobilienexperte. Niedrige Zinsen treiben die Baubranche an Stefan Kipar, Leiter Volkswirtschaft bei der BayernLB, sagte gegenüber der wallstreet:online-Redaktion, dass die Nachfrage nach Wohnungen in den Ballungszonen auch in Zukunft anhalten werde. Das stützt die Auftragslage der Bauwirtschaft, so Kipar. Gleichzeitig führe die schwächere Konjunktur aber zu geringeren Bauaufträgen aus der Wirtschaft. Insgesamt bleiben mit dem dauerhaft niedrigen Zinsniveau aber die Rahmenbedingungen für Bauinvestitionen weiterhin günstig. Eine Zinswende ist aktuell nicht absehbar, so der BayernLB-Volkswirt. Thomas Peiß, Analyst der Research-Abteilung der BayernLB im Bereich Länderrisiko und Branchenanalyse, antwortete auf die Frage nach den größten Gefahren für die deutsche Bauwirtschaft gegenüber wallstreet:online: Große Gefahren liegen in einer weiteren Verschärfung der Bauvorschriften (u.a. Brandschutz) was die ohnehin hohen Baukosten für Wohnungen weiter anschieben würde. Regelungen wie Mietpreisdeckel, Mietpreisbremse und Diskussionen über Enteignungen senden negative Signale für mögliche Investoren in Mietwohnungen. Des Weiteren sorgen zunehmende Bürgerproteste und Initiativen gegen stärkere neue Wohnbauten (Verdichtung) sowie gegen neue Infrastruktur- und Gewerbebauten für zunehmende Probleme. Trotzdem lautet sein Fazit: Wir erwarten für 2019 ein Plus beim Bauvolumen von knapp ein Prozent und für 2020 einen leichten Rückgang des Bauvolumens auf hohem Niveau, so Peiß. Auf dem Prüfstand: Dreigespann aus Baubranche, Immobilienmarkt und Aktien Volker Glaser, Chefredakteur der Vorstandswoche, sagte gegenüber wallstreet:online: Läuft es bei Immobilien rund, geht es der Bauwirtschaft nicht schlecht. Zudem gibts immer wieder Sonderthemen, die den Sektor positiv beeinflussen. Beispielsweise energetisches Wohnen und sogar verpflichtende Maßnahmen, um Häuser energiefreundlicher zu machen, sowie allgemeine Renovierungen. Beim Thema Bau-Aktien ist Glaser vorsichtig. Er sagte: In den Indizes gibt es wenig Aktien, die zu dieser Branche passen. Hochtief und HeidelbergCement sind mir viel zu international. Ein Tipp für Stockpicker hat Glaser dann doch: Ein Kauf ist die Aktie von Sto, die zudem sehr preiswert ist. Auch Steico gefällt mir weiterhin gut, auch wenn die Aktie schon sehr gut gelaufen ist. Auch die Aktie von Hornbach könnte laut Glaser vom Branchenhoch profitieren. Mit Blick auf die jüngsten Verordnungen zu Ölheizungen sagte Glaser: Und wenn endlich die alten Dreckschleudern, Öltanks, aus Häusern entfernt werden, dann wird Centrotec stark profitieren. Last but not least ist Helma Eigenheimbau eine tolle Aktie, die sehr günstig bewertet ist. Das ist zwar nicht klassisch Bauwirtschaft, aber kann dennoch in Sachen Neubauten von Häusern hier in dieser Branche inkludiert werden. Hochtief, Steico & Sto: Aktienauswahl mit Hürden Für Anleger ist das Spielfeld Bauwirtschaft nicht ganz so einfach, wie Christoph Karl von unserer Partnerredaktion Smart Investor verrät. Für Anleger stellt sich das Problem, dass es kaum investierbare Player gibt, die tatsächlich einen Fokus auf Deutschland haben. Hochtief erbringt zum Beispiel weniger als fünf Prozent seiner Bauleistung in Deutschland, ist dafür aber im großen Stil in Asien und den USA tätig oder am Mautstraßenbetreiber Abertis beteiligt. Karl führt weiter aus: Gleiches gilt auch für einen Nebenwert wie Bauer. Das Unternehmen ist im Spezialtiefbau tätig, erzielt aber weniger als 30 Prozent des Umsatzes hierzulande. Karl sieht aber auch Investitionschancen: Interessant für Anleger könnten allerdings Unternehmen wie Steico oder Sto sein, die als Zulieferer von wichtigen Baumaterialien unmittelbar vom Bauboom in Deutschland profitieren, so Karl. Und bei den Aktientiteln gibt es für Karl einen Favoriten: Interessant ist auch eine Aktie wie Helma Eigenheimbau, die als Entwickler von Eigenheimen von der hohen Nachfrage nach Wohnraum profitiert. Peter-Thilo Hasler, Gründer und Research Analyst der Sphene Capital GmbH, ist auch ein Fan von Sto. Er sagte exklusiv gegenüber wallstreet:online: Unter den Bautiteln empfehle ich die Sto Vz. Das 1955 gegründete Unternehmen ist einer der weltweit größten Produzenten von Fassadensystemen, insbesondere von Wärmedämmsystemen. Daneben bietet das mittelständische Familienunternehmen eine breite Produktpalette rund um den Hausbau an, darunter Putze und Farben, und zwar sowohl für den Außen- als auch für den Innenbereich von Gebäuden. Alle Produkte werden von dem schwäbischen Unternehmen selbst produziert und vertrieben. Was für Hasler noch für Sto spricht ist stichhaltig. Sto ist nicht nur auf Europa fokussiert, sondern mit einer Vielzahl an Produktionsstätten und Vertriebsfirmen in Asien, Nord- und Südamerika ein weltweit agierender Player. Überdies wird das ohnehin hohe organische Wachstum durch vereinzelte Zukäufe nochmals deutlich beschleunigt. Die Dividendenrendite liegt bei knapp vier Prozent, das KGV für das folgende Geschäftsjahr bei gerade einmal 10,5, so Hasler. Gefahren: Immobilienblase und heftige Bauchlandung der Baubranche Deutlich gestiegene Mieten und Immobilienpreise in den Top-Metropolen sorgen seit einigen Jahren für Spekulationen über eine Blase am Immobilienmarkt. Christoph Karl meinte: Die größte Gefahr für die Branche dürfte sicherlich ein abruptes Ende des Immobilienbooms in Deutschland darstellen. Denn je nachdem wie heftig dieser ausfallen würde, könnten in den letzten Jahren Überkapazitäten aufgebaut worden sein. Angesichts der strukturellen Knappheit an Wohnraum deutet vieles jedoch eher auf eine weiche Landung hin. Auch die Mietpreisbremse und ähnliche Verordnungen könnte die Branche erheblich unter Druck setzen. Volker Glaser meinte: Störend für den Sektor ist indes der Irrsinn mit der Mietpreisbremse in Berlin. Das ist absurd. Als Eigentümer würde ich keine nennenswerten Investitionen tätigen hinsichtlich Renovierungen oder auch energetischem Wohnen, wenn ich daraus keinen Vorteil habe. Verbreitet sich das auf das gesamte Deutschland, dann sehe ich eher sehr schwarz. Hier drohen ähnliche Zustände wie teilweise in südeuropäischen Ländern, deren Bauten oftmals total verfallen aussehen. Michael Weniger, Vorstandsvorsitzender von Project Immobilien, sagte gegenüber wallstreet:online: Als größte Herausforderungen der deutschen Bauwirtschaft lassen sich die Wohnungsknappheit, welcher wir [Project Immobilien] mit Neubauprojekten begegnen, sowie der Berliner Mietendeckel ausmachen. Durch den zu erwarteten Qualitätsverlust im Mietbestand wächst in diesem Zusammenhang der Wunsch nach Eigentum. Als Kapitalanlage steigt die Nachfrage im Hinblick auf erzielbare Renditen nach Neubauten, die vom Mietendeckel unberührt bleiben. Fazit Die Aktien-Favoriten unserer Experten im Bereich Bauwirtschaft sind: Sto und Steico. Daneben traut man auch Hornbach, Helma Eigenheimbau, HeidelbergCement und Centrotec einiges zu. Eher schwierig zu bewerten sind die großen Player, wie Hochtief, die einen erheblichen Anteil ihres Gewinns mit Aufträgen aus dem Ausland einfahren.
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