an denen sich Merkels Politik messen lassen muss, und eine Trennung von Außen-, Innen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik (alle übrigen Ressorts sind im Grunde ohnehin Unterabteilungen dieser Sachgebiete) würde dabei in die Irre führen. Die drei Dimensionen sind a) die ethische: Ihre Politik soll sich an Werten ausrichten. b) die historische: Ihre Politik soll unentwegt aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, und sie soll gutes historisches Erbe pflegen. c) eine geografische: Ihre Politik kann nur in einem begrenzten (nämlich europäischen) Raum wirken, oder sie wird wirkungslos.
Zu a) Werte sind ihrer fünf: Frieden, sozialer Ausgleich, Chancengleichkeit, Gleichberechtigung von Rassen und Geschlechtern und Rechtssicherheit. Religiöse Gleichberechtigung und "Freiheit" (ein sehr vielschichtiger und im Grunde nebulöser Begriff) verdienen nur dort Unterstützung, wo die fünf oben genannten werte nicht tangiert werden.
Zu b) Die Gründer der BRD (Adenauer, Heuss, Schumacher, Kalinke, Baumgartner, Blücher, Wehner, Reimann, Hellwege, Heile, Lüders etc.) hatten das GG und ganz bewusst eine parlamentarische Demokratie geschaffen als Reaktion auf die Instabilität und Infantilität des Volkes. Das Machtstreben Einzelner zu beschränken, den furchtbaren Rassismus und Antisemitismus zu unterbinden, dem Größenwahn eingebildeter Eliten vozubeugen und Deutschpreußische Hegemoniebestrebungen in Europa dauerhaft zu verhindern - das war ihr übereinstimmendes Ziel. Die "Westbindung" dagegen lediglich ein taktisches Element von beschränkter Dauer. Dass Deutschland (und mit ihm seine damals gar nicht und später nur für Verteidigungszwecke vorgesehene Armee) eine Instrument der inzwischen moralisch wie finanziell bankrotten USA werden, um deren globale Hegemonialansprüche gewaltsam durchzusetzen, war 1949 nicht absehbar. Wenn wir uns jetzt noch für Drohnen begeistern (ihre Entwicklung wie ihren Einsatz), fallen wir endgültig auf das Niveau der USA zurück. Immer mehr Tötung, immer mehr Unfrieden, immer mehr Mord möglich zu machen: Dem dient ja auch die Abschaffung der Wehrpflicht und der zunehmende soziale Komfort für die Offiziere. Von der Leyen erklärte ja bereits sinngemäß, Krieg müsse familienfreundlicher werden - für die deutschen Täter! An die Opfer hatte sie weniger gedacht.
zu c) Europa (namentlich die EU, aber auch andere europäische Staaten inbegriffen) ist der historische Raum, in dem wir wirken können bzw. in den wir hineinwirken. Nicht Afghanistan, die Antarktis oder die Galapagos-Inseln (die Merkel wahrscheinlich in der Ägäis verortet). Europa versteht sich als Wertegemeinschaft, die im Unterschied zur USA und zur NATO an rechtsstaatlichen Prinzipien orientiert ist oder zumindest sein sollte. Der Friedensnobelpreis war natürlich ein Witz. Wenn wir aus dem Konflikt um die Ukraine eine ehrliche Konsequenz und sogar einen Nutzen ziehen wollen, dann müssen wir zu einer europäischen Rechtsunion gelangen, die Russland integriert und die USA aus den hiesigen Angelegenheiten ausschließt.
Russen und EU haben weder Interesse an Krieg noch an Bürgerkrieg. Wir sind Nachbarn - streiten wir uns, freut sich der Dritte: die USA, die ohnehin sich bei den Flüchtlingen einen schlanken Fuß machen und einen Grexit als erste Bresche in der Mauer der verhassten Konkurrenzwährung Euro ansähen. Die Übernahme der Krim, so unblutig sie zum Glück weitestgehend verlaufen ist (ganz anders als der gut zweieinhalb Monate währende Krieg der NATO gegen Jugoslawien, bei dem etwas über 10.000 Personen ums Leben kamen und der Umwelt schwerster Schaden zugefügt wurde; ich habe Donau, bulgarische Obstplantagen in Kjostendil und mazedonische Weingebiete damals besichtigt - der Ernteausfall 1999 war ziemlich vollständig) - also die Annexion der Krim durch Russland war ebenso völkerrechtswidrig wie die gewaltsame Heraustrennung des Amselfeldes (mit dem witzigen Namen "Kosovo..." - was ein Adjektiv zu "kos" = "Amsel" bildet, also etwa mit "amsel-affin" oder "von der Amsel stammend" zu übersetzen wäre) aus dem damaligen Serbien. Das "Kosovo" ist kein unabhängiger Staat, sonder ein NATO-Protektorat und als solches ein weitgehend rechtsfreier Raum. Es ist bis heute nicht zur Ruhe gekommen, Serben und Zigeuner können sich - obgleich sie in Scharen aus den von nachströmenden Albanern besetzten Gebieten geflüchtet sind, auch in den kleinen serbischen Exklaven nicht sicher fühlen.
Weder die EU noch Russland können das eine anprangern und das andere gutheißen - bei allen Unterschieden im Detail. Beide völkerrechtswidrigen Grenzveränderungen sollten entweder akzeptiert oder rückgängig gemacht werden. Von gegenseitigen Sanktionen muss im Interesse der europäischen Völker Abstand genommen werden - sie liegen nur im Interesse der Gegner friedlicher europäischer Zivilgesellschaften. Europa den Europäern. Die USA sind daher als politischer Faktor in Europa vollkommen zu eliminieren. Sie mögen Polen oder den drei baltischen Zwergstaaten als militärische Garantiemacht für sichere Ostgrenzen Polens oder der baltischen Staaten mögen sie weiterhin willkommen sein. Aber auf dem politischen Sektor erweist sich die Mitwirkung der USA nirgends als konstruktiv, sondern zielt immer wieder auf die Verschärfung der Konflikte ab. Die Europäische Union und die Russische Föderation sollten sich danach in einer Rechtsunion dazu verpflichten, das Völkerrecht in Europa unter allen Umständen zu wahren und für alle Zeit auf Kriegshandlungen gegeneinander zu verzichten. Fazit und Tenor eines solchen Vertrags: In Europa gilt das Völkerrecht. Andere Staaten mögen es anderswo missachten, aber das darf kein Beispiel für uns sein. Selbstverständlich sollten alle anderen europäischen Staaten (also z.B. Norwegen, Weißrussland, Schweiz etc.) ebenfalls in dieses Abkommen einbezogen werden. Das autokratische Regime in Minsk muss sich dafür u.a. von der Todesstrafe verabschieden.
Fazit: Merkel verkennt die Lage. Welche der drei Dimensionen hat sie überhaupt noch im Blick? Anders als ihre drei Vorgänger Schmidt, Kohl und Schröder weiß sie augenscheinlich bis heute nicht, worüber sie spricht und wozu ein guter Staat gut sein kann.
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