Unter die Räder gekommen
Chaos bei den Mitteldeutschen Fahrradwerken (Mifa): Falsche Bilanzen, ein erkrankter Vorstand, flüchtende Anleger. Eine Hoffnung für den Konzern aus Sachsen-Anhalt ist ein geplanter Deal mit einem Investor aus Indien.
Michael Brächer, Christoph Kapalschinski | Frankfurt, Düsseldorf | Donnerstag, 20. März 2014, 20:00 Uhr
Verrechnen kann sich jeder. Aber dass in der Kasse plötzlich mehrere Millionen fehlen, kommt im Wirtschaftsleben selten vor. Die Mitteldeutschen Fahrradwerke (Mifa) aus Sachsen-Anhalt haben das Kunststück vollbracht: Am Donnerstag gab das Unternehmen bekannt, dass 2013 voraussichtlich ein Verlust von 15 Millionen Euro angefallen sei – was wegen Fehlbuchungen zunächst nicht aufgefallen sei. Anleger traten nach der Hiobsbotschaft die Flucht an, die Kurse von Aktie und Anleihe gingen in die Knie (siehe Grafik).
Die Pflichtmitteilung von Mifa zeigt ein Unternehmen im Chaos: Ein Softwarefehler sei Ursache dafür, dass der Materialaufwand in den Abschlüssen für das zweite und dritte Quartal falsch ausgewiesen worden sei. Zudem habe das Unternehmen den Umsatz zu optimistisch prognostiziert. Obendrein sei der Großaktionär und Alleinvorstand Peter Wicht schwer erkrankt. Daher sei der Vorstand am Donnerstagmorgen um den – weithin unbekannten – Berater Hans-Peter Barth erweitert worden.
An solch eine Häufung von Missgeschicken zu glauben fällt schwer. „Die Pressemitteilung zeigt: Bei Mifa brennt es lichterloh“, sagte ein Fondsmanager dem Handelsblatt. Größtes Problem: Banken und Anleihegläubiger könnten jetzt wahrscheinlich wegen des möglichen Bruchs von Kreditbedingungen ihr Geld zurückverlangen. Wenn es dem 59-jährigen Neuvorstand Barth nicht gelingen sollte, die Geldgeber zu besänftigen, droht Mifa eine hochgefährliche Finanzlücke.
Das Debakel trifft auch Prominenz, denn zu den Mifa-Großaktionären zählt ebenfalls der Multimillionär Carsten Maschmeyer. Der AWD-Gründer steht derzeit ohnehin in den Schlagzeilen, weil er beim Bankhaus Sarasin in umstrittene Geschäfte investiert haben soll. Maschmeyer bestreitet, von diesen Geschäften gewusst zu haben, und sieht sich als Opfer einer „vorsätzlichen Täuschung“. Jetzt droht mit Mifa auch noch eines seiner Investments baden zu gehen.
Maschmeyer hielt zuletzt rund 20 Prozent der Mifa-Aktien. Weitere acht Prozent hält eine familiennahe Vermögensverwaltung. Zur Lage bei Mifa wollte Maschmeyer sich nicht äußern. In seinem Umfeld hieß es, er wolle langfristig bei Mifa investiert bleiben und glaube weiterhin an den Erfolg des Unternehmens.
Im Geschäftsjahr 2012 hatte Mifa noch einen moderaten Verlust von rund einer Million Euro ausgewiesen.
Im vergangenen Sommer sammelten die Sangerhausener dann per Mittelstandsanleihe insgesamt 25 Millionen Euro ein. Bei Investoren kam der Minibond gut an. Schließlich hieß es im Anleiheprospekt, allein im ersten Halbjahr 2013 seien 3,5 Millionen Euro Gewinn angefallen.
Doch dabei hat sich Mifa offenbar verrechnet: Nun ist von einem Verlust von 15 Millionen Euro die Rede. Ursache soll sein, dass der Umsatz hinter den eigenen Erwartungen deutlich zurückblieb. „Fehlbuchungen in dieser Größenordnung können für ein mittelständisches Unternehmen schnell zur Existenzbedrohung werden“, sagte ein Fondsmanager.
Vorstand Barth erklärte, das Warenwirtschaftssystem und die Finanzsoftware seien falsch verknüpft worden: Lagerbestände, die Zulieferern gehörten, seien fälschlicherweise als Aktiv-Posten in der Mifa-Bilanz verbucht worden. Daher seien Verluste, die mit dem bröckelnden Umsatz anfielen, in der Bilanz verdeckt gewesen.
Heinz Steffen vom Analysehaus Fairesearch vermutet, dass hinter den Softwareproblemen Managementfehler stehen: Mifa-Chef Wicht war seit 2004 alleiniger Vorstand des Unternehmens – für Steffen ein Unding. „Ein börsennotiertes Unternehmen dieser Größenordnung kann man nicht mehr als Einzelperson führen. Dafür sind die Anforderungen an das Management einfach zu hoch. Es braucht dringend einen Finanzvorstand, der die Zahlen stets im Blick hat.“
Jetzt droht der Fahrradhersteller die Kreditbedingungen für Bankenkredite und die Mittelstandsanleihe zu reißen. Denn Anleger haben ein Sonderkündigungsrecht unter anderem, wenn die Eigenkapitalquote unter 25 Prozent rutscht. Angesichts der hohen Verluste dürfte diese Quote schwer zu halten sein. Das Dilemma: Machen Anleger von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch, dann bedeutet das für die Firma eine zusätzliche Belastung.
Jetzt sollen die Anleger womöglich ihre eigenen Rechte beschneiden: Mifa kündigte an, gegebenenfalls eine Gläubigerversammlung einzuberufen. Da die Anleihe privat platziert worden sei, seien viele Anleger bekannt und würden bereits informiert, sagte der neue Vorstand Barth dem Handelsblatt.
„Mifa muss nun bei den Investoren von Anleihe und Aktie alle Fakten auf den Tisch legen, damit gemeinsam ein Weg aus der schwierigen Lage gefunden werden kann“, fordert Analyst Steffen. Mit den drei Banken, die Kredite geben, will sich Barth bald ebenso einigen wie mit den Anlegern. „Ich bin sehr optimistisch, dass unsere Finanzierungspartner uns weiter unterstützen werden“, sagte er. Sein Lockmittel: Nach jetzigem Stand sei die erste Zinszahlung für die Anleihe im August gesichert.
Die Gläubiger will Mifa bis dahin mit einem heldenhaften Investor aus Indien besänftigen: In der vergangenen Woche habe der weltgrößte Fahrradbauer Hero Cycles aus Indien einen Vorvertrag für einen Einstieg mit 15 Millionen Euro unterzeichnet. Zu dem Zeitpunkt seien die Inder bereits über die Schwierigkeiten informiert gewesen. Die Inder ließen am Donnerstag Anfragen zu der Vereinbarung unbeantwortet.
Die Euphorie der Anleger dürfte sich dabei in Grenzen halten. „Den Deal mit Hero verspricht das Mifa-Management schon seit Monaten, ohne zu liefern“, sagte ein Fondsmanager.
Schließlich hatte Mifa schon im Juli 2013 durchblicken lassen, dass Verhandlungen mit Hero liefen. Zuletzt hatte Hero-Chef Brijmohan Lall Munjal im Oktober 2013 angekündigt, er wolle Anteile an einer deutschen Marke kaufen, um Erfahrungen zu sammeln und um seine indischen Fahrräder besser in Westeuropa vermarkten zu können. Ob die Rechnung aufgeht, bleibt abzuwarten.
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