Allen wird gegeben - nur uns nichtDie Armen sollen ein paar Euro weniger im Monat ausgeben müssen, sagt die SPD. Das wäre schön, aber es wird nicht wirklich helfen. Die Reichen sollen reich bleiben dürfen, sagt die FDP. Sonst gehen sie ins Ausland. Den Alten soll ihre Rente sicher sein, das wollen alle. Es wird nur bald kaum noch einer da sein, um sie zu bezahlen. Die Kranken sollen versorgt werden, am besten zum Nulltarif; aber es werden immer mehr, und sie leben immer länger. Die Kinder sollen schlanker werden; selbst da will die Regierung helfen mit Rat und Tat, man fasst es nicht! Die Umwelt muss gerettet werden; dafür gibt die Kanzlerin Milliarden. Dumm, dass das Ausland nicht auch so spendabel ist. Allen soll gegeben werden, wenigstens ein bisschen. Allen - nur nicht mir. Oder, wenn ich das dann mal klarstellen darf: nur nicht uns. Denn wir sind viele. Und wir nennen uns: die Mittelschicht. Die Sache ist einfach: Was anderen gegeben wird, fehlt mir. Es fehlen Geld und Ideen, es fehlt die Zuwendung. Ich vermisse mich in den Talkshows am Abend, und morgens vermisse ich mich in der "Presseschau". Auch in der "Tagesschau" ist von allen und jedem die Rede, nur nicht von mir. In der Mitte ist es am schönsten, sagt man. Aber das stimmt nicht mehr. In dieser Gesellschaft wird Politik an die Ränder gedacht. Und uns, mittendrin, kocht der Staat aus. Kein böser Wille, sondern die Unfähigkeit zur UmkehrDahinter steckt kein böser Wille der Regierenden - ja, wenn es so einfach wäre -, sondern die Unfähigkeit zur Umkehr. Die nächste Wahl wird keinen Wandel bringen, ob mit Merkel, Beck oder Steinmeier, und erst recht nicht mit Lafontaine. Es ist wie mit dem Frosch im Kochtopf: Langsam erwärmt sich das Wasser, und wenn es kocht, ist der Frosch tot. Wir, die Mittelschicht, sind allerdings schon krebsrot. Und steigen doch nicht aus. Wohin auch? Ein Wort zur Begrifflichkeit. Wir sind die Mitte in Deutschland, das schon, aber nicht unbedingt der vielzitierte "Mittelstand". Den immerhin hat die Politik als Thema erkannt, er ist fester Bestandteil jeder Rede. Der Mittelstand hat andere Sorgen als wir. Er leidet unter der Gewerbe- oder der Abgeltungssteuer, er kämpft um das Absetzen von Betriebsausgaben, und er muss dann in die Schweiz umziehen, um das eigene Unternehmen vor der Erbschaftsteuer zu retten. Mittelstand und MittelschichtDer Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, und endlich will der Staat ihm unter die Arme greifen, nachdem er sich zuvor vor allem um die großen Konzerne gesorgt hat. Die haben sich davon allerdings nicht beeinflussen lassen und strukturieren trotzdem munter um. Meistens "setzen" die großen Konzerne dabei Mitarbeiter "frei", oder sie "bauen Arbeitsplätze ab"; wenn’s gut geht, machen sie das "sozialverträglich". Der Mittelstand ist vergleichsweise näher an den Menschen; er kämpft um jeden Arbeitsplatz. Ein solcher Mittelständler ist mindestens selbständig und hat 30 Mitarbeiter oder 3000 und fünf Millionen Umsatz oder 500 Millionen. Alles sehr ehrenwert - aber das sind nicht wir. Der Mittelstand ist eine feste Größe. Je größer, desto fester. Wir dagegen, die Mittelschicht, sind allein, mit unseren Freunden, unserer Familie. Wir sind die kleinste gesellschaftliche Einheit, das macht uns so wichtig, aber auch sehr, sehr verletzlich. Auf der nächsten Seite: Im Herzen der Gesellschaft bröckelt es. Wir können uns und unseren Kindern nichts mehr aufbauen. Der Staat saugt uns den Lebensmut aus. Fortsetzung Artikel. Marc Beise SZ |