SPD: Ende eines Imperiums Von Wulf Schmiese
21. Juni 2004 Die gefährlichste Zeit für eine schlechte Regierung ist gekommen, wenn sie beginnt, sich selbst zu reformieren." So urteilte Alexis de Tocqueville über Ludwig XVI., einen König mit gewinnenden menschlichen, aber keinen staatsmännischen Eigenschaften, dessen Reformversuche zwar intensiv, jedoch zu spät kamen und zum Fall des Ancien regime führten.
Zweihundert Jahre nach der Französischen Revolution erwies sich die Analyse abermals als richtig, diesmal in Osteuropa. Der Reformer Gorbatschow hatte sein Imperium modernisieren, nicht liquidieren wollen. Sein Umbau, planlos und halbherzig, führte binnen eines Jahrfünfts zum Einsturz des sowjetischen Reiches. Erst fiel die Partei, dann deren Welt zusammen.
Die SPD liegt in Scherben
Jetzt hat Gerhard Schröder diesen Punkt erreicht. Die Wahlen vom Sonntag signalisieren mehr als das drohende Ende seiner Regierung: Die SPD liegt in Scherben. In einigen ostdeutschen Wahlkreisen ist sie kaum mehr als eine Splitterpartei, einstellig ihr Stimmenanteil, zuweilen kleiner als der der FDP. Kein Sozialdemokrat wagt noch, das Desaster als nötiges Reformopfer zu bemänteln oder als Folge des drückenden Konjunkturklimas zu deuten.
Die Führung weiß: Diese Reformen und diese SPD nötigen einander; und nun ist die Partei zerbrochen. Gäbe es ein Zurück zur alten Sozialstaatspartei, wie es die Linke und die Gewerkschaften beharrlich fordern, dann gingen Müntefering und Schröder diesen Weg. So, wie sie es vor der Bundestagswahl 2002 getan hatten, als sie um eine "zweite Chance" flehten. Von der neuen Mitte kommend, hatten sie noch einmal die alte eingesammelt, ihr Milieu zurückgelockt mit authentischem Sozialdemokratismus gegen wettbewerbliche Anpassungszwänge. Mit der Agenda 2010 suchte Schröder dann wieder, gehetzt von der wirtschaftlichen Lage Deutschlands, die andere Seite zu überzeugen und verlor durch sein Hin und Her beide Teile der Sozialdemokratie. Nun kittet es die Partei nicht mehr, bei der vor einem Jahr eingeschlagenen Richtung, rhetorisch zumindest, zu bleiben.
Einstige Supermacht ohne Selbstbewußtsein
Das Lob der Wirtschaft, teils auch der Opposition, nützt Schröder so wenig, wie der Jubel des Westens Gorbatschow hat helfen können. Mit der SPD als Supermacht, die immer etwa ähnlich stark war wie die andere große Volkspartei, scheint es vorbei zu sein. Wahl für Wahl und Umfrage für Umfrage haben das deutlich gemacht. So hatte sich kein Genosse den "Dritten Weg" vorgestellt, der vor genau fünf Jahren erstmals im Schröder/Blair-Papier als gehbar zwischen altem Sozialstaat und Neoliberalismus verheißen wurde. Der Begriff verschwand aus der sozialdemokratischen Terminologie, anfangs, weil er dann doch nicht mehr in die Strategie paßte, später, weil niemand mehr an einen solchen Weg glaubte.
Die SPD hat ihr Selbstbewußtsein verloren - und damit ihr Sendungsbewußtsein, was sie der Union Jahrzehnte hindurch überlegen machte. Das Personal ist nicht nur alt geworden, sondern verzagt, verunsichert und kleinmütig. Eingetreten waren die noch immer führenden Sozialdemokraten vor drei Jahrzehnten, weil sie Mitbestimmung forderten, Wirtschaftsdemokratie in der Industrie wollten und Lenkung durch staatliche Rahmenplanung. Gesetze gegen Gen-Nahrung und dicke Kinder, Verordnung von Eliteuniversitäten und Lehrstellenpflicht für Unternehmen, das sind die Überbleibsel solcher Visionen eines regelnden Staates.
Vor allem kämpfte die Partei 140 Jahre lang für einen robusten Sozialstaat, der immer weiter auszubauen sei. In Ostdeutschland gab sich die SPD in Konkurrenz zur PDS besonders lautstark als Wahrerin sozialer Besitzstände und hielt sich damit im Brandenburg Manfred Stolpes und Regine Hildebrandts bis heute an der Macht. Nun sagt sie, der Abbau des Sozialstaats sei nur Teil des Umbaus. Doch an den künftigen Ausbau glauben Müntefering und Schröder sowenig wie ihre zu Nichtwählern gewordenen einstigen Anhänger. Die Vorstellungswelt der SPD ist in der Realität untergegangen wie das Sowjetreich in der globalen Marktwirtschaft.
Eine Systemkrise
Das breite Siegergrinsen, mit dem der CDU-Generalsekretär am vergangenen Sonntag grimassierte, paßt hier jedoch nicht. Denn der CDU geht es nur relativ gut. Von einer Systemkrise sprechen selbst Konservative, ahnend, daß die vermeintliche Stärke der Union ohne ernstzunehmende Konkurrenz durch die SPD nicht lange währen wird. Acht Prozent und mehr haben auch die CDU - und die CSU - am Wahltag verloren.
Diese ersten Risse zeigen, daß auch die Union zu zerbröckeln droht, wenn sie nicht klar sagt, wofür sie eigentlich steht. Viele kleinere, scharf profilierte Gegner können ihr auf Dauer heftiger zu schaffen machen als ein großer ungefährer. Merkel und Stoiber versuchen die Angriffsflächen zu schützen, indem sie den Charakter von CDU und CSU als Volksparteien wahren. Einerseits kalte Derregulierung, andererseits wohlige Sozialsicherheit. Hier Merz, dort Seehofer. Das mag bis zur Bundestagswahl 2006 tragen - viel weiter nicht.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
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