Softies Welt
Die Cinemaxx AG geht an die Börse: Mit höflicher Sturheit stieg der ehemalige Kartenabreißer Hans-Joachim Flebbe zum Kinokönig auf. Von Thomas Tuma
Die Verwaltung von Träumen kann eine triste Arbeit sein. Es ist Montag morgen, im Bauch des grauen Büroklotzes am Hamburger Mittelweg sitzen sechs Leute, starren auf die fensterlosen Wände des Konferenzraums und bewerfen sich lustlos mit rätselhaften Sätzen.
"Mord im Weißen Haus" legen wir auf spät. "Good Will Hunting" läuft auf Schiene. "Das magische Schwert" geht in die Sechs. Glaubt irgend jemand an "Grease"? Schweigen. "Wir müssen dran glauben", schnauft endlich einer, "weil wir nix anderes haben."
"Grease" ist ein US-Tanzfilmchen mit John Travolta und Olivia Newton-John, der neu aufgelegt wird. Kein Abräumer, aber für die Disponenten der Cinemaxx AG, die gerade das Kinoprogramm der nächsten Woche zusammenstellen, die letzte Rettung vor dem Sommerloch. Freibadsaison und Fußball-WM haben ihren 38 Kinocentern das Wochenende versaut. Und die Verleiher warten mit den nächsten Kassenschlagern lieber bis zum Herbst.
"Los, Dynamik!" fordert plötzlich ein Lockenkopf mit Hornbrille. Wäre Hans-Joachim Flebbe ein Schauspieler, bekäme er in deutschen Komödien immer dieselbe Rolle: den schüchternen Wohngemeinschafts-Softie, dessen größtes Glück eine saubere Kaffeekassen-Bilanz ist. Aber hier geht es um mehr. Und Flebbe, 46, ist der Chef.
Akribisch registriert er Besucherzahlen. Essen: 12 162. Hannover: 10 896. Hamburg: 10 200. Eine Microsoft-Delegation hat sich halb totgelacht, als sie ihn so kritzeln sah: Flebbe, den Kinokönig, der seinen Umsatz im vergangenen Jahr um ein Drittel auf 204 Millionen Mark gesteigert hat. Flebbe, den Boß einer der modernsten Unterhaltungsmaschinen der Republik, die gerade ihren Börsengang vorbereitet. Und ausgerechnet der fummelt seinen bundesweiten Spielplan handschriftlich zusammen?
Sollen sie doch über ihn lachen. Er ist es gewohnt, unterschätzt zu werden. Aber das hier ist Softies Welt, das Terrain eines Film-Philosophen der populären Art.
In seiner Neon-Wabe blüht Flebbe auf, denn hinter jeder Zahlenreihe steckt ein anderes seiner 14 Multiplex-Kinos und 24 Traditionsfilmtheater zwischen München und Kiel. Jede Nummer steht für eine von 182 Leinwänden. In den abgegriffenen Kladden glaubt er den letzten Rest an "sinnlicher Erfahrung" zu entdecken, den ihm sein atemloser Aufstieg noch gelassen hat.
Flebbe ist immer gern ins Kino gegangen: als Schuljunge, wenn er sonntags seine Großeltern besuchte und doch meist in der Lichtspiel-Klitsche schräg gegenüber landete. Als Wirtschaftsstudent, der das heruntergekommene "Apollo" in seiner Heimatstadt Hannover mit liebevollen Filmreihen zum Szenetreff aufmöbelte. Und als Geschäftsführer, der sich mit nur 20 000 Mark Eigenkapital sein erstes Kino kaufte.
Das war vor 20 Jahren, und damit begann der Ärger, denn anständige Filmkunst-Menschen durften damals kein Geld verdienen. Seinen Porsche parkte Flebbe lieber in einer Seitenstraße, obwohl er sich den Sportwagen mit einem selbst organisierten nächtlichen Güternahverkehr für Joghurt und Schulmilch verdient hatte. Flebbe ist höflich und zurückhaltend.
Als er später eine Kinokette übernahm, zu der auch drei Pornokinos mit festen Mietverträgen gehörten, suchte er ein halbes Jahr lang brav Titel aus, an die er sich heute gar nicht mehr erinnern mag. Flebbe ist diszipliniert.
Und als er anfing, mit Massenware richtig abzuräumen, warfen ihm alte Freunde vor, daß er endgültig das Lager gewechselt habe. Der Erfolg war ihm selbst peinlich: "Bei Ingmar-Bergman-Reihen mußte ich um jeden Besucher kämpfen. Und plötzlich reichte das Plakat eines Otto-Films im Schaufenster, um die Leute in Scharen anzulocken." Doch Flebbe ist auch stur.
* In Hannover; mit der Schauspielerin Jody Foster.
Er wollte Geld verdienen, weil er damit seinem Ziel näher kam, den Leuten wieder
funkelnde Filmpaläste zu präsentieren, die er nur noch aus nostalgischen Cineasten-Essays kannte. Das Land wurde von den düsteren Schuhschachtel-Theatern des Ufa-Chefs Heinz Riech beherrscht. Für den war Kino vor allem Kassenschlacht mit möglichst geringem Aufwand.
"Häuserkampf" nennt der Gelegenheits-68er Flebbe die Zeit, als er mit seiner höflichdisziplinierten Sturheit gegen den bösen alten Mann und seine Marktmacht um jede versiffte Vorstadtruine rang.
Trotzdem blieb Kino für Flebbe ein Spiel, bei dem nur die Einsätze ständig stiegen. Bis 1991, als er sich in den gigantischen Hallen seines ersten Cinemaxx in Hannover wiederfand. Da saß er plötzlich, "erschlagen von der Größe", und hatte furchtbar Angst, daß zur Eröffnung am nächsten Tag nicht die geplanten 2000 Besucher kommen würden.
Natürlich kamen 4000. Aber das unschuldige Spiel war trotzdem zu Ende, weil sich Flebbe vorher mit dem Immobilien-Tycoon Rolf Deyhle eingelassen hatte. Flebbe besaß die Vision, Deyhle das Geld. So teilten sie sich das Kinogeschäft halbe-halbe. Und anfangs lief die Liaison zwischen dem Ex-Kartenabreißer und dem Ex-Finanzbeamten sehr gut. Deyhle liebt es, jedes seiner vielen Geschäfte von der Wohnanlage bis zum Stella-Musical in kleinen Mäppchen abzulegen. Und wenn Flebbe ihn auf Sylt besuchte, spürte er, daß er selbst bereits auf Mäppchengröße reduziert worden war.
In der Branche wurde Flebbe damals zum Strohmann degradiert. Schlimm traf ihn der Vorwurf, als Spekulanten-Marionette die Film-Landschaft kaputtzurestaurieren - als ob diese Landschaft vorher mehr gewesen wäre als eine Wüste.
Jahrelang stritt sich Deyhle mit seinem Partner Bodo Scriba um die richtige Kinostrategie. Flebbe konnte nur danebenstehen und auf bessere Zeiten hoffen, die nicht unbedingt zu erwarten waren, weil Deyhle zu allem Unglück eine Option auf weitere zehn Prozent der Gruppe besaß.
Manchmal hätte Flebbe am liebsten hingeschmissen, sich auszahlen lassen, um fortan nur noch ein bißchen Filmkunst zu machen und für seine Marathonläufe trainieren zu können. Doch Anfang des Jahres geriet Deyhles Imperium wegen mißglückter Immobiliengeschäfte ins Wanken - und Flebbe sah die einmalige Chance, sein "Lebenswerk" zurückzukaufen. Er griff zu.
Nun hat er 166 Millionen Mark Schulden und fühlt sich trotzdem so frei wie nie zuvor. Über den angeschlagenen Deyhle verliert er kein böses Wort.
Deyhle sei "ein Vollblutunternehmer, der nach außen abgebrüht wirkt, doch innen drin ziemlich sensibel ist", sagt Flebbe, dem die umgekehrte Mischung zum Finalsieg verhalf: Sein offener Schuljungen-Charme macht die tiefer schlummernde Sturheit sympathisch. Und wer Flebbes monatliche Planungsgruppe verfolgt, ahnt ohnehin schnell, wieviel er von seinem Ex-Partner gelernt hat.
Da sitzt er im zerknitterten Westchen vor Kalkulationsprofis, Marketing-Experten und Kommunalpolitik-Haudegen, die auch den letzten Baudezernenten in Bad Oldesloe zu duzen scheinen. Sie besprechen rund 70 Projekte, von denen am Ende vielleicht ein Drittel realisiert wird.
Es geht um einen Hollywood-Star, der im August die Eröffnung des 19-Säle-Cinemaxx am Potsdamer Platz in Berlin garnieren soll. Vor allem aber geht es um Kerngebietsausweisungen und Richtfeststrategien, um Parkplatzplanungen und Bedarfsstudien. Nach eineinhalb Stunden ist die Runde erst bei D wie Darmstadt.
Die anvisierten Standorte werden immer mickriger, weil die großen Städte längst zugebaut sind mit Multiplex-Kinos. Die US-Konzerne Warner und UCI klatschen ihre bonbonfarbenen Flimmerfabriken ohne Rücksicht auf Verluste in Flebbes Nachbarschaft. Schon jetzt warnt er vor der "Overscreening"-Gefahr. Dabei plant Flebbe selbst allein in diesem Herbst noch sieben Neueröffnungen.
Er muß weiter wachsen. Das erwarten schon die jungen Nadelstreifen-Analysten, die ihn jetzt regelmäßig heimsuchen. Der Börsengang der Cinemaxx AG ist für den 20. Juli geplant.
Flebbe will rund ein Viertel der Anteile verkaufen. Er braucht wieder Geld. Aber die Aktie schlägt nur dann ein, wenn er expandiert. Und wachsen kann er vor allem im Ausland (Luzern, Salzburg und Ankara sind fest geplant) oder in der heimischen Nische der Kunstkinos, die er bislang tunlichst mied, weil er ihr selbst entsprang.
"Ich habe immer versucht, Ellbogen nicht gegen Schwächere einzusetzen", sagt er. Während er "Titanic" spielte, zeigten die Programmkino-Kollegen eben "Panzerkreuzer Potemkin". Man tat sich nicht weh. Seit anspruchsvollere Filme wie "Comedian Harmonists" ein großes Publikum finden, wird es eng.
Für solche Filme rennen die Besucher dann doch lieber in ein vollklimatisiertes Multiplex mit Dolby-Sound statt in staubige Seitenstraßen-Theater. Warum soll man den Leuten dann nicht gleich ein avantgardistisches Multiplex bieten?
Zwei zauselige Architekten erklären Flebbe am Abend die ersten Geheimpläne für ein neues Kunstkino mit 1700 Plätzen. Der Chef freut sich über den säulenbewehrten Glaseingang, der aussehe "wie barocke Schlösser, wo die früher mit ihren Pferden hochgeritten sind". Er rechnet, diskutiert Stufentiefen und Leinwandgrößen.
Kurz: Er flieht in Details, weil er vor der grundsätzlichen Frage zurückschreckt, ob er so was überhaupt bauen soll. "Klar", sagt er später entwaffnend offen, "das ist eine gefährliche Geschichte. Da wäre Kritik berechtigt." Der Riese kann sich noch so vorsichtig bewegen, er ist immer in Gefahr, anderen weh zu tun. Aber wenigstens weiß er um seine Größe, auch wenn er manchmal versucht, sich kleiner zu machen, als er ist.
In seiner Freizeit betreibt Flebbe mit vier alten Kumpels eine winzige Filmproduktionsfirma. Einmal im Monat tauschen sie Drehbücher aus. Spaßeshalber sicherten sie sich im vergangenen Jahr die Filmrechte an einem langhaarigen Schlagersänger, der herrlich unbekannt und beruhigend nach Subkultur klang. Leider hat Guildo Horn inzwischen Karriere gemacht.
Und so bleibt Flebbe wohl nichts übrig, als einen Kassenschlager zu produzieren. Das alte Spiel ist längst keines mehr. ----------- "Drei Dinge treiben den Menschen zum Wahnsinn. Die Liebe, die Eifersucht und das Studium der Börsenkurse." John Maynard Keynes
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