Wie das BKA massenhafte Visa-Erschleichung dokumentierte
Von Yassin Musharbash
Morgen steigt die zweite Runde im Visa-Auschuss. Im Mittelpunkt steht der "Wostok"-Bericht des Bundeskriminalamts (BKA). Union und FDP interpretieren das Dokument als Chronologie des Versagens, Rot-Grün als Beleg aktiver Gefahrenabwehr. Zur Sprache kommt auch die Einreise tschetschenischer Terroristen.
Joschka Fischer: BKA-Bericht soll seine Verantwortung aufzeigen
Berlin - Wer wissen will, wie und mit welchen Methoden Schleuserbanden vorgingen, um massenhaft Visa an deutschen Auslandsvertretungen zu erschleichen, für den ist der "Wostok"-Bericht des BKA eine Gewinn bringende Lektüre. Hauptmotiv für die illegale Einreise nach Deutschland oder in den so genannten "Schengenraum", heißt es etwa auf Seite 2, sei die Hoffnung auf einen Arbeitsplatz. "Schleuser nutzen dabei die Unwissenheit der Arbeitssuchenden über die Möglichkeiten der legalen Arbeitsvermittlung aus, treiben sie in eine Verschuldungssituation und letztlich in die Illegalität." Frauen würden häufig "nicht den ihnen versprochenen Arbeitsstellen, sondern zwangsweise der Prostitution zugeführt".
Seit dem zweiten Halbjahr 2000, steht in dem vertraulichen Bericht weiter zu lesen, habe das BKA Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei der Visa-Beantragung in ehemaligen GUS-Staaten ("vorwiegend aus der Ukraine") gehabt und schließlich im Rahmen der "Sonderauswertung Wostok" eine "Visaerschleichung in bisher ungekanntem Ausmaß" festgestellt. Besonders Besorgnis erregend: Die Schleuser hätten dabei auch die "professionellste Stufe" erreicht. Das Schleusen mit Hilfe "echter und überprüfbarer" Dokumente, zum Beispiel echter Visa für die Geschleusten.
Wie aber konnte es sein, dass die Schleuser echte Visa für ihre Opfer erhalten konnten? Diese Frage, eine der Kernfragen der gesamten Visa-Affäre, wird morgen früh im Mittelpunkt der Sitzung des Untersuchungsausschusses stehen, in der der "Wostok"-Bericht herangezogen werden soll und Beamte des BKA und des Bundesnachrichtendienstes vernommen werden.
Die Union und die FDP hoffen, in der Sitzung Anhaltspunkte dafür zu finden, dass das von Joschka Fischer (Grüne) geführte Auswärtige Amt die Verantwortung dafür trägt. Die Grünen wollen dagegen zweierlei zeigen: Dass der BKA-Bericht aus ihrer Sicht zum einen aufzeigt, dass die Visa-Affäre im Kern ein Problem in der Ukraine aktiver Banden war und dass zum zweiten das Auswärtige Amt (AA) im Rahmen seiner Möglichkeiten sehr wohl gegengesteuert hat.
Reiseschutzversicherungen als Vor-Visa
In dem Bericht selbst, der im November 2003 fertig gestellt wurde, gibt es tatsächlich Anhaltspunkte für beide Lesarten. Ab Mitte 2001, heißt es in dem Papier, sei der überwiegende Teil der verdächtigen Einlader und Reisefirmen dazu übergegangen, "anstelle von Einladungen und fingierten Rundreisen Versicherungspakete wie zum Beispiel Reiseschutzpässe zu verkaufen".
Reiseschutzpässe wurden per Erlass des AA im Mai 2001 in den deutschen Auslandsvertretungen der GUS-Staaten eingeführt. Mit dieser Versicherungspolice konnte man sich gegen eventuelle Kosten für Aufenthalt und Abschiebung absichern. Grundsätzlich bedeutet die Erteilung eines Reiseschutzpasses nicht, dass die deutsche Botschaft auf die Prüfung des Nachweises zum Bestreiten des Lebensunterhaltes, des Reisezwecks und der Rückkehrbereitschaft verzichtet.
Tatsächlich aber, so weiß man heute, geschah genau das. Die Reiseschutzpässe und vergleichbare Dokumente verkamen zu einer Art "Vor-Visum". In dem BKA-Bericht heißt es eindeutig, sie "waren von den deutschen Auslandsvertretungen als Surrogate der erforderlichen Einladungen und Verpflichtungserklärungen anerkannt, wodurch es bei Grenzkontrollen schwieriger war, Widersprüche einer legendierten Reise aufzudecken und Personen zurückzuweisen."
In dieser Praxis erkennt die Opposition so etwas wie die Ursünde der von den Grünen bestimmten deutschen Visa-Vergabe, als deren manifestesten Ausdruck sie den "Volmer-Erlass" ("In dubito pro libertate - im Zweifel für die Reisefreiheit") vom März 2000 betrachtetet. Das AA habe nicht angemessen auf die Missbrauchswarnungen reagiert, lautet die These von Union und FDP. Die Grünen verwehren sich dagegen, unter anderem mit dem Hinweis, dass der "Volmer-Erlass" in dem "Wostok-Bericht" überhaupt nicht erwähnt wird.
"Dieser Empfehlung wurde gefolgt"
Vor allem aber machen sie geltend, dass der Bericht auch die Korrekturen des AA beschreibe. Tatsächlich heißt es auf Seite 9 des Dokuments: "Das Bundeskriminalamt hat das Bundesministerium des Inneren von dieser Entwicklung unterrichtet und empfohlen, den Einsatz von Reiseschutzpässen und vergleichbaren Produkten als Ersatz für Einladungen und Verpflichtungserklärungen zu stoppen. Dieser Empfehlung wurde gefolgt. Das Auswärtige Amt hat die deutschen Auslandsvertretungen im März 2003 entsprechend unterrichtet."
Doch die potenzielle Brisanz ist dem "Wostok-Bericht" damit noch nicht genommen. Während in den vergangenen Wochen mehrere hochrangige Grüne zum Beispiel die These ventilierten, im Prinzip sei von dem Missbrauch nur die deutsche Botschaft in Kiew betroffen gewesen, zählt der Bericht eine ganze Liste von Ländern auf, in denen dieselben "Tätergruppen" aktiv waren: In der Republik Moldau, Russland, Weißrussland, Kasachstan, Tadschikistan, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Tschechien, Türkei, Albanien, Ägypten, Benin, Kamerun und Senegal agierten sie dem Papier zufolge. (was ist mit China ?)
Und noch einen weiteren Punkt wird die Opposition im Untersuchungsausschuss thematisieren. Auch tschetschenische Terroristen erschlichen sich nämlich im fraglichen Zeitraum deutsche Visa mit Hilfe von Reiseschutzpässen. Die Brüder Arbi und Ruslan Daudov, beide nach Kenntnis des russischen Sicherheitsdienstes FSB an der Vorbereitung eines Anschlags in Moskau beteiligt, erhielten deutsche Visa an der Botschaft in Moskau.
Für die Union, die seit Wochen behauptet, grüne Politik sei ein Sicherheitsproblem für die Bundesrepublik, werden die Terror-Brüder die wohl stärksten Argumente ihrer Angriffsthese sein.
MfG kiiwii
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