Fast eine Vermittlungsreise
Nach Rußland besucht Angela Merkel Amerika und wirbt bei Bush für die Kunst des Kompromisseschmiedens
WASHINGTON, 5. Mai. Es ist davon auszugehen, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit dem amerikanischen Präsidenten Bush etwa so gesprochen hat, wie sie es - zum Erstaunen des Publikums auf fast schrödersche Weise - vor deutschen und amerikanischen Wirtschaftsführern in New York getan hat.
Fast schien sie die Frage erhofft zu haben, wie es um Rußland und seine Beziehungen zu Deutschland bestellt sei. Schon aus geographischen Gründen habe Deutschland eine "strategische Partnerschaft" zu Moskau zu pflegen, sagte sie. Andere Gründe kämen hinzu. Rußland sei zu achten, was den "Aufbau der Demokratie angeht". Es müsse auch "in seiner Kraft" geachtet werden. Frau Merkel sprach immer weiter. Es gebe gute Gründe, daß Rußland ein geachteter Partner sein sollte.
Sie ging in die interessenbezogene Realpolitik der Wirtschaftsleute über. "Wir wollen das Gas haben, wir wollen das Öl haben." Und: "Wir werden mit Rußland stabile Beziehungen aufbauen." Wegen seines Veto-Rechts im UN-Sicherheitsrat sei man auf Rußland angewiesen - auch in der Iran-Frage. Demokratische Defizite erklärte Frau Merkel mit der Geschichte, die das Land vom Westen unterscheide - ein anderes Verhältnis von Kirche und Staat, keine demokratische Vergangenheit und keine Wurzeln der Aufklärung. Sie schränkte ein, das alles dürfe nicht bedeuten, daß Putin nicht klar zu sagen sei, "was wir denken", und sie wollte deutlich machen, sie habe es auch getan. Dennoch: "Es gibt gute Gründe, daß Rußland als Partner akzeptiert wird."
Gewiß ist auch, daß Frau Merkel in New York nicht allein zu den Amerikanern sprach. Ebenso sprach sie zu Putin - mit dem Wunsch, daß die Übermittlung ihrer Botschaften zum Signal eines Vertrauensbeweises werde, Rußland werde unter den transatlantischen Bündnispartnern als neuer Partner ernst genommen. Als schwierig genug gilt es, Putin davon zu überzeugen, Moskau würde nicht ständig beiseite geschoben und in seinen (berechtigten) Ansprüchen verdrängt. Zugleich aber will Frau Merkel den Eindruck vermeiden, daß sie als Vermittlerin zwischen Moskau und Washington agiere, eingedenk wohl des Umstands, daß eine solche Linie die Möglichkeiten deutscher Außenpolitik überfordern könnte, und auch der Gewißheit, daß Putin und Bush über selbständige Gesprächsfäden verfügen. Doch ist sie der Auffassung, zumal in der Iran-Krise könne unter den beteiligten Staats- und Regierungschefs nicht genug geredet werden - miteinander und gewollt auch übereinander.
Vor allem aber macht sie deutlich, eine solche Rolle des Beinahevermittelns und Kompromisseschmiedens liege im Interesse aller und also auch im deutschen Interesse. Fast naturwissenschaftlich sucht sie die Interessenlagen der Staaten zu analysieren und dann zu beeinflussen. Wenn sie Bush sagt, ohne Putin sei die Iran-Krise nicht zu bewältigen, dann kann sie Putin gesagt haben, auch Rußland müsse seinen Beitrag leisten, damit jene argumentativ geschwächt würden, die einer militärischen Option anhingen.
Der UN-Resolutionsentwurf zum Nuklearstreit, den Deutschland, Frankreich und Großbritannien vorgelegt haben, geht in die Richtung der Politik der kleinen Schritte: keine direkten Sanktionen (erstens), aber die Aufforderung, die Nuklearkooperation auf zivilem Feld mit Iran einzustellen, welche Mahnung ziemlich direkt an Moskau gerichtet ist. Es wird sich noch zu erweisen haben, ob diese Taktik Erfolg haben wird. Zunächst einmal hat - neben der chinesischen - die russische Diplomatie den Text abgelehnt, wenn auch nicht mit letzter Konsequenz.
Für Frau Merkel mag das ein Beleg für ihre Auffassung sein, nur im geschlossenen Geleitzug der sechs Regierungen könne Iran von deren Entschlossenheit überzeugt werden, seine nukleare Aufrüstung verhindern zu wollen. Wohl hätten die Vereinigten Staaten und Präsident Bush gerne eine schärfere Linie in die Position der sechs Staaten gebracht, was Bush bei der 100-Jahres-Feier zum Bestehen des American Jewish Committee mit dem an Saddam Hussein erinnernden Hinweis zum Ausdruck brachte, Iran unterstütze den Terrorismus. Doch wäre daran - nach Kalkulationen der deutschen Diplomatie - die Geschlossenheit durch das Ausscheren mindestens Rußlands und Chinas zerbrochen und ihre Entschlossenheit obsolet geworden.
Hinter den Versicherungen Frau Merkels, ihre Gespräche mit Bush hätten eine Einigkeit ergeben, "daß wir diplomatische Lösungen finden müssen", verbirgt sich wohl die Auffassung, auch Bush sei - trotz mancher zuspitzender Rhetorik - zur Auffassung gekommen, in der Iran-Frage helfe nur ein breites Bündnis weiter. Es gibt Hinweise, weitere Bündnispartner sollten hinzukommen und die iranische Führung von ihrer Isolation überzeugen und zum Nachgeben zu bringen. Es könnten der Nachbar Türkei, die Wirtschaftsmacht Japan, die regionalen Großmächte Brasilien und Indien sein.
Abseits der Iran-Frage hat Bundeskanzlerin Merkel binnen einer Woche ziemlich deutlich gemacht, die zentralen Fragen deutscher Außenpolitik würden vom Bundeskanzleramt geregelt: ein Reise-Doppel ins sibirische Tomsk und nach Washington, ganz wie zu Jahresbeginn, als sie sogenannte Vorstellungsgespräche als neue Bundeskanzlerin führte. Noch im Mai wird sie nach Peking fliegen. Ihr Vorgänger Schröder hatte sich länger dafür Zeit gelassen, seinen Anspruch in dieser Deutlichkeit auszudrücken. Wie selbstverständlich ist Frau Merkel mit Bush und Putin "per du". Sie sagen Angela zu ihr.
Ausführliche Gespräche mit beiden über Herkunft und Erfahrungen in der DDR sollen den Boden für politisches Vertrauen bereitet haben. Helmut Kohl mag ihr diesen Rat gegeben haben oder sie durch Vorbild geprägt haben, vergleichbare Gespräche über Generationserfahrungen des Krieges mit Bush (senior) und Gorbatschow geführt zu haben. Die Einladung an Bush, ihren Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern zu besuchen und dort mit Menschen zu reden, "die auf der anderen Seite der Mauer gelebt haben", gehört in dieses Spektrum politischer Vertrauensbildung.
Aber auch Schröders Grundlinie, Außenpolitik bestehe zu großen Teilen aus interessengeleiteter Außenhandelspolitik, gehört jetzt zum Merkelschen Repertoire. Die Ostseepipeline wird nicht in Frage gestellt, und neue Gasgeschäfte werden mit staatlicher Unterstützung vorangetrieben, um die Energieversorgung zu sichern. Frau Merkel macht ihre Haltung deutlich, nach der Zeit des Kalten Krieges seien neue Interessen zu sortieren, welche nicht zwangsläufig mit den alten Bündnislinien übereinstimmen müßten. "Allein durch die Nachkriegszeit können die deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht begründet werden", sagte sie. Es war die Kehrseite des "Wir wollen das Öl". In Tomsk waren Spitzen führender deutscher Unternehmen und Banken mit dabei. In New York sprach sie mit einem Kreis von Vertretern amerikanischer Weltkonzerne. Sie sollen des Lobes voll gewesen sein, wurde kolportiert. Auf der Reise nach Peking und Schanghai wird die Zahl mitreisender Wirtschaftsleute so groß sein, daß die Delegation auf zwei Flugzeuge zu verteilen ist.
In ihren Reden ging Frau Merkel so weit zu sagen, das "demokratische Modell" stehe im Wettbewerb der globalen Wirtschaft "auf dem Prüfstand". "Man kann von der Überlegenheit der Demokratie nicht sprechen, wenn die ökonomischen Erfolge ausbleiben." Sie präsentierte dort das Programm der großen Koalition, welches "sehr unamerikanisch" aus kleinen Schritten bestehe und auch - was in den Vereinigten Staaten ebenfalls anders gesehen werde - die Sanierung des Haushaltes und die Senkung der Schulden zum Ziel habe. Deshalb habe sich die Koalition in Deutschland "schweren Herzens" entschieden", die Steuern zu erhöhen. Legitim sei es, wenn jeder nach seinen Interessen handele, sagte sie den Wirtschaftsvertretern. Womöglich hat sie zu Bush und Putin ähnlich gesprochen - versehen mit dem Hinweis, Freundschaften und Partnerschaften hielten dann am besten, wenn sie auf gemeinsamen Interessen gründeten. Es verstand sich, daß sie in den Vereinigten Staaten die gemeinsamen Grundwerte hervorhob, welche die Grundlage seien für gemeinsames Handeln.
Bush würdigte sie über alles. "Welcome back." Bush selber übernahm es, Frau Merkel bei der Veranstaltung des American Jewish Committee als Rednerin vorzustellen. Er klopfte ihr auf die Schulter. Er sagte: "Sie versteht die Kraft der Freiheit." Er nannte sie eine starke Führerin.
Text: F.A.Z., 06.05.2006, Nr. 105 / Seite 6 MfG kiiwii
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