Ein Defizitverfahren kann zwei Jahre dauern
Geldbußen an die EU werden erst am Ende einer langen Prozedur fällig Brüssel - Wenn die EU-Kommission voraussichtlich in der kommenden Woche ein Verfahren gegen Deutschland wegen übermäßigen Haushaltsdefizits einleitet, dann wird dieses das zweite innerhalb eines Jahres sein. Im Juli hatte die Brüsseler Behörde das im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehene Prozedere gegen Portugal eröffnet. Dort betrug das Defizit im Jahr 2001 nicht wie von Lissabon ursprünglich angegeben 2,4, sondern 4,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP).
Bereits Anfang des laufenden Jahres hatte Berlin nur knapp einen "blauen Brief" aus Brüssel abwenden können - eine Frühwarnung, wenn das Defizit nach oben zu schießen droht. Die Kommission ließ gestern keinen Zweifel daran, dass es diesmal um mehr geht als um einen "blauen Brief": "Eine Frühwarnung wird abgeschickt, wenn das Defizit eines Mitgliedsstaates sich zwar auf drei Prozent zubewegt, sich aber noch unter dieser Grenze befindet", sagte gestern der Sprecher von EU-Währungskommissar Pedro Solbes, Gerassimos Thomas. "Diesen Punkt hat Deutschland überschritten."
Das im Vertrag von Amsterdam, unterzeichnet im Juni 1997, vorgesehene Defizitverfahren kann sich im äußersten Fall länger als zwei Jahre hinziehen und lässt dem betroffenen Staat eine Reihe von Hintertüren offen. Nachdem das Verfahren gegen ein Mitgliedsland offiziell eingeleitet ist, prüft die Kommission die geplanten Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung sowie die Maßnahmen zur Wachstumsförderung. Ferner ordnet sie die Haushaltslage des betroffenen Staates in die allgemeinwirtschaftliche Entwicklung ein. Ihre Analyse geht dann an das Finanzkomitee der EU, das innerhalb von zwei Wochen seine Stellungnahme abgeben muss. Kommission wie Komitee stellen ihre Berichte dem Rat der 15 EU-Finanzminister vor. Dieser muss innerhalb von drei Monaten mit qualifizierter Mehrheit entscheiden, ob es sich bei der Haushaltslage des betroffenen Landes um ein "exzessives Haushaltsdefizit" handelt. Wird dies festgestellt, gibt der Rat Empfehlungen an das betroffene Mitgliedsland ab und setzt eine Frist, bis zu der der Haushaltssünder Maßnahmen zur Konsolidierung eingeleitet haben muss. Hält der Staat diese Frist nicht ein, kann er zu einer Bußgeldeinlage bei der EU verpflichtet werden, einer Art finanzpolitischer Kaution. Diese beträgt zwischen 0,2 und 0,5 Prozent des BIP - für Deutschland bedeutete dies ein Bußgeld von vier bis zehn Mrd. Euro.
Das Land erhält seine Einlage zurück, wenn es innerhalb von zwei Jahren sein Defizit merklich gesenkt oder deutliche Anstrengungen dazu unternommen hat - falls nicht, fällt die "Kaution" an die Kasse der Europäischen Union. Ausnahmen gelten bei einer außergewöhnlichen finanziellen Notlage, bedingt durch schwere Rezession oder eine nationale Katastrophe. rid
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