Pharma Firmen fehlt der Forschergeist Zu wenig innovative Medikamente - Branche steckt im Konzentrationsprozeß - Deutsche Unternehmen abgeschlagen Von Manfred Fischer
Berlin - Daniel Vasella hat es hinter sich. Der Vorstandsvorsitzende des Schweizer Pharmaunternehmens Novartis, einem der Weltmarktführer der Branche, sagt: "Sie sollten keinerlei große Transaktionen von unserer Seite erwarten." Damit weist Vasella alle Spekulationen zurück, sein Unternehmen könnte weitere große Übernahmen vorbereiten.
Der Schweizer hat gut reden, ist sein Bedarf doch gedeckt. So weit wie er ist kaum einer seiner Konkurrenten in der Pharmabranche. Das gilt besonders für Deutschland. Zwar ist der Chemie- und Pharmakonzern Bayer gerade dabei, die Schering AG in Berlin zu übernehmen, doch sonst sind die deutschen Pharmakonzerne beim Kampf um die Spitzenplätze der Branche abgeschlagen. So sucht die Merck KGaA in Darmstadt nach einem neuen Ziel, nachdem sie bei Schering gescheitert ist. Aus dem Rennen um eine weichenstellende Übernahme ausgeschieden ist die Altana AG in Bad Homburg. Sie will jetzt Chemie- und Pharmasparte trennen, findet aber trotz monatelanger Suche keinen Partner für das Medizingeschäft. Auch bei der Präsentation der Geschäftszahlen für die erste Jahreshälfte Mitte nächster Woche wird Altana-Chef Nikolaus Schweickart nach den Erwartungen der Analysten keinen Durchbruch melden können.
Ohnehin sind die Übungen deutscher Pharmastrategen bloßes Bodenturnen im Vergleich zu den Hochseilakten von Vasella und Konsorten. Der Novartis-Chef mischte in den vergangenen Jahren mit einer Großakquisition nach der anderen die Pharmabrache auf. Kaum hatte er, für 5,65 Mrd. Euro, die deutsche Hexal übernommen, einen Hersteller patentfreier Medikamente, sogenannter Generika, kaufte Vasella für noch einmal rund vier Mrd. Euro die restlichen 58 Prozent der Anteile des amerikanischen Biotechnik- und Impfstoffunternehmens Chiron. Die übrigen Anteile hatte Novartis schon vorher erworben. Zu diesen großen Übernahmen kommen kleinere Akquisitionen.
Mit diesen Aktionen führt er den Trend an. Die Pharmabranche steht mitten in einem Konzentrationsprozeß. Im vergangen Jahr wechselten für insgesamt 152 Mrd. Dollar Pharma- und Gesundheitsunternehmen den Besitzer. Im Jahr davor erreichte das Volumen 146 Mrd. Dollar. "Vor allem der wachsende Konkurrenzdruck von Seiten der Generika-Hersteller zwingt die forschenden Konzerne zu verstärkten Investitionen in ihre Produktpipeline", sagt Volker Booten, Pharmaexperte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers, das gerade eine Studie zu Fusionen in der Pharmaindustrie abgeschlossen hat.
Auch die Hersteller von Medikamenten, deren Patenschutz abgelaufen ist, schließen sich zu immer größeren Unternehmenseinheiten zusammen und verstärken den Wettbewerbsdruck auf die forschenden Pharmaunternehmen. Damit die dem Preiskampf mit immer neuen, wirksameren Medikamenten begegnen können, brauchen sie Forschungsresultate.
Wo diese fehlen, muß zugekauft werden. Dabei geraten immer stärker kleine Biotechnologie-Unternehmen ins Zielfernrohr der Pharmariesen.
"Die Pharmaindustrie bringt immer weniger innovative Medikamente auf den Markt" heißt es in einer Studie von PricewaterhouseCoopers: Danach sank 2005 die Zahl der von der amerikanischen Federal Drug Agency (FDA) neu zugelassenen Medikamente gegenüber dem Jahr davor um 40 Prozent. Abhilfe soll der Zugriff auf die Labors der Biotechnologie-Unternehmen schaffen.
Das probiert in bescheidenem Maße auch Merck. Das Darmstädter Chemie- und Pharmaunternehmen hat gerade seine Kooperation bei Krebsmedikamenten mit dem US-Biotechnik-Spezialisten Imclone intensiviert. Schon 1998 hatte Merck Entwicklungs- und Vermarktungsrechte für das Medikament Erbitux von Imclone gekauft. Inzwischen ist Imclone komplett zu haben, ohne das sich bislang ein Interessent öffentlich gezeigt hat.
Daß Merck auf der Suche nach einem Ziel für eine große Übernahme ist, ist nicht strittig. Merck-Chef Michael Römer hat nach dem Scheitern der Schering-Übernahme klar gesagt, er wolle seine Expansionspläne keineswegs aufgeben. Vielmehr sei das Familienunternehmen zu einem "wirklich großen Schritt" fähig und bereit. Branchengerüchte, nach denen das ebenfalls in Familiensitz befindliche Unternehmen Schwarz Pharma der Wunschpartner sei, wurden inzwischen von beiden Seiten dementiert.
Immerhin ist Merck noch aktiv auf dem Markt der Unternehmensübernahmen unterwegs. Das ist bei Altana inzwischen anders. Lange hatte Vorstandschef Schweickart auf die innovative Kraft seiner Forschungsabteilung gesetzt, um das Unternehmen groß zu machen - und zwar mit einigem Erfolg. Stets was sein Vorbild der britischen Pharmakonzern GlaxoSmithKline, der sein Wachstum mit der Entwicklung immer neuer Medikamente vorantreiben konnte, und dank dieser Stärke auch durch Übernahmen zu einem der größten Pharmaunternehmen der Welt werden konnte.
Auf diesem Weg schien auch Altana. Das Blockbuster-Medikament Pantoprazol, ein Mittel gegen zuviel Magensäure, sollte um neue Arzneimittel ergänzt werden. Denn die Patente für das Magenmittel, das den größten Teil zum Altana-Pharmaumsatz beisteuert, laufen 2009 aus. In der Entwicklung hatte das Unternehmen vielversprechende Präparate gegen Asthma und Atemwegserkrankungen. Doch deren Patientenreife kam nicht zügig genug voran. Nun ist die Produkt-Pipeline leer und guter Rat teuer.
Freilich leuchtet die radikale Strategie, die Vorstandchef Schweickart verfolgt, auch nicht jedem ein. Statt ganz auf den Verkauf der Altana-Pharmasparte zu setzen, hätte er auch mit dem Kauf von Lizenzen Zeit gewinnen können, glaubt ein Branchenexperte. Immerhin ist das hessische Unternehmen nach eigener Auskunft "mit potentiellen Partnern im Gespräch."
Artikel erschienen am Mi, 26. Juli 2006
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