Von Holland lernen von Dirk Maxeiner und Michael Miersch
Amsterdam gilt als Europas Hauptstadt der Toleranz. Überall Multikulti, es darf öffentlich gekifft werden, die Bürger wählen bekennende Schwule ins Parlament. Doch seit einigen Monaten bröckelt die liberale Reputation der Niederländer. Sie seien "umgekippt" heißt es. Hinter der weltoffenen Fassade würden Reaktionäre die Grundwerte einreißen, die Liberale in aller Welt an Holland immer so geschätzt haben. Was ist nur geschehen? In unserem Nachbarland ist eine heftige Diskussion über den Umgang mit den 1,4 Millionen dort lebenden Moslems ausgebrochen. Soll man Moscheen schließen, in denen islamistische Hasstiraden verbreitet werden? Wie lassen sich gewalttätige Jungmänner-Gangs aus den moslemisch geprägten Vierteln disziplinieren? Quer durch alle Parteien von links über liberal bis konservativ überdenkt man in Den Haag die alte Integrationspolitik. Eingliederungskurse werden gefordert, in denen nicht nur die Landessprache sondern auch westliche Werte vermittelt werden, etwa die unverhandelbare Anerkennung der Gleichberechtigung von Frauen. Auch die Zulassung von im Ausland ausgebildeten Imamen soll auf den Prüfstand.
Die Niederländer ziehen die Notbremse. Sie haben bemerkt, dass inmitten ihrer offenen Bürgergesellschaft mit multikulturellem Anspruch Parallelwelten entstanden sind. Welten, in denen Frauenverächter, Fundamentalisten und Antiwestler Leitbilder darstellen. Welten, wo die aufgeklärten holländischen Nachbarn als Bedrohung der eigenen Identität wahrgenommen werden. Wo Gewalt als legitim gilt, wenn sie Frauen oder Ungläubige trifft. Imame rufen in Amsterdamer Moscheen zum heiligen Krieg gegen Juden und Christen auf. An einigen der über dreißig (staatlich finanzierten) islamischen Privatschulen wird Religion nur noch auf türkisch oder arabisch unterrichtet. Sie indoktrinieren die Schüler mit einer Lebensweise, die sich gezielt vom Rest der Gesellschaft abgrenzen soll. Die Moscheenvereine vor Ort organisieren auch den Religionsunterricht in den staatlichen Schulen. Ganze Stadtviertel begreifen sich als exterritoriales Gebiet. In Großstädten wie Den Haag und Rotterdam ist der Islam inzwischen die Religion mit den meisten Anhängern.
Als der ermordete Pim Fortuyn im Wahlkampf vor etwas mehr als einem Jahr solche Themen deutlich ansprach, wurde er von den etablierten Parteien noch in die politische Schmuddelecke gestellt. Die deutschen Leitmedien machten sich ohnehin nicht die Mühe zuzuhören, sondern sortierten ihn eilfertig in die Kategorie "Rechtspopulist", als sei er ein Haider oder gar ein Le Pen gewesen. Als einzige Begründung wurde unablässig eine Bemerkung von ihm zitiert, der Islam sei "eine rückständige Kultur."
Diese Einschätzung teilt auch die in Mogadischu geborene Moslemin Ayaan Hirsi Ali, die an der Universität Leiden Politologie studierte. Sie formulierte es nur schärfer. Der Koran sei ein Instrument der Unterdrückung, das Männern erlaube ihre Frauen zu schlagen, griff sie in die öffentliche Debatte ein. Seither muss sie von drei Leibwächter beschützt werden, wenn sie in Schulen und Frauenhäusern moslemische Mädchen und junge Frauen aufklärt. Ayaan Hirsi Ali fordert: "Integration als Einweihung in die Modernität." In Deutschland hätte eine Ayaan Hirsi Ali kein Forum. Statt dessen kennt hierzulande mittlerweile jeder die Kopftuchträgerin Fereshta Ludin. Doch es gibt auch bei uns viele intelligente, westlich orientierte Mosleminnen. Es wird Zeit, dass sie gehört werden und öffentlichen Beistand erfahren.
Denn auch in Bezirken von Berlin, Köln und anderen deutschen Städten sind Parallelwelten entstanden. Was heute in den Niederlanden so heiß diskutiert wird, kann schon morgen die politische Agenda in Deutschland bestimmen. Doch anstatt die Sorgen der Nicht-Moslems (und oftmals auch der örtlichen Polizei) in den berüchtigten Stadtvierteln ernst zu nehmen, stempelt man sie als Rassisten ab. Kein Wunder, dass sie im Stich gelassen fühlen und dann wirklich auf ausländerfeindliche Hetzer hereinfallen. Lästige Grundsatzfragen über das notwendige Minimum gemeinsamer Werte werden im offiziellen Politikdiskurs mit niedergeschlagenen Augen ausklammert. Gut, dass sie Niederländer ein paar Dinge klar aussprechen, die hier noch immer als politisch unkorrekt gelten. Wir sollten dankbar dafür sein, und bei ihnen lernen, dass es so etwas wie wehrhafte Liberalität durchaus geben kann.
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