Knapp 50 Jahre nach ihrer Gründung ist die Rentenkasse leer. Rot-Grün hat sie geplündert, sagt die Union. Doch wer hat das nicht? Chronik einer Plünderung. Essen. Seinen größten Fehler schleppt unser Rentensystem seit der Geburt anno 1957 mit. Sein Erfinder Wilfried Schreiber war ein weitsichtiger Mann. Er sah seinerzeit die Risiken einer alternden Gesellschaft voraus und wollte sie einrechnen. Konrad Adenauer (CDU) wollte Wahlen gewinnen - und deshalb möglichst hohe Renten. Mit dem berühmten Satz "Kinder kriegen die Leute immer" wischte er Schreibers Warnung und die seines Wirtschaftsministers Ludwig Erhard vom Tisch. Der Systemwechsel war aus damaliger Sicht nötig, weil die Rücklagen der alten, kapitalgedeckten Rentenkassen in der Nachkriegsinflation ihren Wert verloren hatten. Um die Rentner am Wirtschaftswunder teilhaben zu lassen, musste schnell viel frisches Geld her. Dies garantierte nur das Umlagesystem, in dem die Beiträge sofort als Renten ausgezahlt werden und die Renten den Löhnen entsprechend steigen. Die erste Plünderung, wenn man so will, geht ebenfalls auf das Konto Adenauers. Er nahm die Rücklagen des alten Systems, um den Aufbau der Bundeswehr zu finanzieren. Den nächsten folgenschweren Fehler beging SPD-Arbeitsminister Walter Arendt. Er setzte 1972 die Frührente mit 63 ohne Abschläge durch und damit eine fatale Entwicklung in Gang. Die Leute setzten sich gern früher zur Ruhe, auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung. Weil entsprechende Beiträge fehlen, gelten Frührenten als versicherungs-fremde Leistung. Noch im Jahr 2002 kostete die Beitragszahler dies 16 Milliarden Euro. Bereits im Laufe der 70er Jahre gerieten die Renten stark unter Druck. 1977 wurde erstmals gegengesteuert und die Rentenanpassung verschoben. Weil Kanzler Helmut Schmidt (SPD) im Wahlkampf 1976 das Gegenteil versprochen hatte, haftet ihm seitdem die "Rentenlüge" an. Als größter Rentenplünderer sollte aber Einheitskanzler Helmut Kohl (CDU) in die Geschichte eingehen. Gegen den Rat aller Experten brachte er den Ostdeutschen nicht nur die D-Mark, sondern auch die West-Renten im Maßstab 1:1. Dabei bestritt niemand, dass die Bundesrepublik die in der DDR erworbenen Rentenansprüche erfüllen musste. Doch für gesamtgesellschaftliche Pflichten sind Steuern die geeigneten Mittel. Kohl aber finanzierte die Einheit über die Sozialversicherung. Die musste Leistungen an Empfänger erbringen, die nichts eingezahlt hatten. Steigende Beitragssätze waren die logische Folge, von der Wiedervereinigung bis 1998 kletterten sie von 17,7 auf 20,3 Prozent. Wer heute den Kollaps der Staatsrente beschwört, sollte wissen: In Westdeutschland erwirtschaftet die Rentenversicherung noch immer Jahr für Jahr ein dickes Plus - 2003 immerhin 11,3 Milliarden Euro. Doch reichte das nicht, um das Minus im Osten von 13,4 Milliarden wettzumachen. Den größten Fortschritt unter der Kohl-Regierung kassierte Rot-Grün gleich wieder ein: Norbert Blüms demografischen Faktor, der die Renten weniger stark steigen lassen sollte. Eine Legislaturperiode später machte sie diesen Fehler rückgängig und schuf mit dem Nachhaltigkeitsfaktor ein noch schärferes Instrument, das künftige Renten senkt und den aktuellen Rentnern bereits mehrere Nullrunden beschert hat. Auch für die Erschwerung der Frührente und die nachgelagerte Besteuerung erntete Rot-Grün Beifall von Rentenexperten. Dennoch war all dies noch zu wenig, um die Kassen zu stabilisieren. Unter Rot-Grün gingen auch die letzten Reserven zur Neige. Ende dieses Jahres wird der Bund erstmals die Rentenkassen durch Kredite füllen müssen. Nach fünf Jahrzehnten ist damit die Plünderung perfekt. 13.09.2005 Von Stefan Schulte |