Meldung 17.10.2008 14:02
Wie lange ist Öl noch billig? Der drastische Verfall des Preises für Öl hat viele Investoren und Experten auf dem falschen Fuß erwischt. Die Ursachen für die Öl-Baisse sind vielfältig, wie lange sie anhält, ist umstritten. Rohstoff-Guru Jim Rogers wird nicht müde, Öl an zupreisen. Auf einem Rohstoff-Kongress Anfang der Woche betonte Rogers gebetsmühlenartig, derzeit gebe es "einfach keine bessere Anlagemöglichkeit".
Wer Rogers in den vergangenen Wochen gefolgt ist, muss allerdings in diesen Tagen entweder Nerven aus Stahl oder einen unerschütterlichen Glauben an die Rückkehr der Ölhausse haben. Noch Mitte Juli wurde für ein Barrel (Fass mit 159 Litern) der wichtigsten Ölsorten WTI und Brent 150 Dollar bezahlt. Ende September noch waren mehr als 100 Dollar je Barrel zu erzielen. Und nun? Die US-Sorte WTI kämpft um die 70 Dollar-Marke, die Nordseesorte Brent wurde am Donnerstag schon zu Preisen um 65 Dollar gehandelt. 60 Dollar – oder sogar 50? Charttechniker sehen den Abwärtstrend durchaus immer noch intakt. Harald Weygand von Godmode-Trader gibt ein "Korrekturziel" von 60 Dollar aus. Aus fundamentaler Sicht kann es nach Einschätzung der US-Bank Merrill Lynch sogar noch tiefer gehen. Vor kurzem hat das Institut für den "unwahrscheinlichen Fall" einer weltweiten Rezession einen Rückgang auf 50 Dollar je Fass als möglich erachtet.
Ob es zu dieser Rückwärtsbewegung der Weltkonjunktur kommt, darüber streiten Experten und auch die Aktienmärkte rund um den Globus. Die Ausläufer der Finanzkrise sind freilich längst in der "Realwirtschaft" angekommen. Die Verbraucher treten, besonders in Nordamerika und Europa, in einen Käuferstreik, Auto-Hersteller fahren ihre Produktion zurück, mittelständische Betriebe bekommen Probleme bei der Kreditfinanzierung von Investitionen.
Ölnachfrage ebbt ab Dass die Nachfrage auf dem Ölmarkt stottert, belegen jüngste Daten. Erst am Donnerstag überraschten deutlich gestiegene Benzin- und Öllagerbestände in den USA. Um 5,6 Millionen Barrel kletterten die Rohölbestände in den USA, die Experten hatten nur mit einem Zuwachs von 1,9 Millionen Barrel gerechnet.
Auch langfristig scheint sich keine neue Öl-Hausse anzukündigen. Die Internationale Energie Agentur (IEA) sieht im kommenden Jahr nur eine minimal höhere Nachfrage nach Öl, nämlich einen Zuwachs von 0,8 Prozent auf 87,2 Millionen Barrel pro Tag. Das Ölkartell Opec geht sogar von einem Rückgang der Ölnachfrage im kommenden Jahr aus. Die im Kartell organisierten Staaten haben ein Sondertreffen wegen des aktuellen Preisrutsches um drei Wochen auf den 24. Oktober vorverlegt. Ziel der Zusammenkunft dürfte eine deutliche Drosselung der Produktion sein, um die Preise wieder in eine Aufwärtsbewegung zu versetzen. s.a. unser Interview
"Übertreibung nach unten" Neben der Rezessionsgefahr selbst könnte die Finanzkrise auch direkten Einfluss auf die fallenden Ölnotierungen haben. Nach Einschätzung einiger Beobachter mussten Spekulanten oder Hedgefonds sich auch dem Ölgeschäft zurück ziehen, weil sie kurzfristig Liquidität brauchten, um Verluste aus dem Aktienmarkt auszugleichen. Viele spekulativ orientierte Anleger, die auf weiter steigende Kurse gesetzt hatten wurden von den fallenden Notierungen offenbar auf dem falschen Fuß erwischt und sahen sich gezwungen, ihre Ölposition mit Verlust zu schließen. Der Übertreibung nach oben folgte nach Ansicht von Dora Borbely eine "Übertreibung nach unten". Notierungen von 70 Dollar und weniger hält sie nicht für gerechtfertigt. Rund 80 Dollar sei das Barrel fundamental wert, so die Deka-Bank-Analystin.
Frank Schallenberger von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hält im kommenden Jahr einen Level zwischen 90 und 100 Dollar für wahrscheinlich. Begründung: "Die Nachfrage nach Öl wird nicht so stark sinken, wie dies viele Investoren gedacht haben."
Eine Frage von Wochen Damit könnte der Traum vom billigen Öl und Benzin für viele Verbraucher demnächst schon wieder enden. Kein Wunder, dass Besitzer von Ölheizungen bereits den Tankwagen mit Heizöl geordert haben. Für Anleger stellt sich derzeit viel eher die Frage nach einem Wiedereinstieg in den Sektor.
Angesichts der derzeitigen Abwärtsdynamik der Ölnotierungen dürfte Abwarten und Aufmerken eine sinnvolle Strategie sein. Experten wie Dora Borbely halten auch ein noch weiteres Absacken beim Ölpreis für möglich, abhängig davon, wie konkret die Rezessionszeichen in den kommenden Wochen ausfallen und wie weit die Schockwellen der Finanzkrise an den Aktienmärkten reichen. Sollte die Stimmung an den Aktienmärkten sich aber allmählich bessern, dann dürfte es aber auch am Rohstoffmarkt wieder aufwärts gehen.
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