Geothermie - Heiße Geschäfte mit der Erdwärme
Die steigenden Öl- und Gaspreise, die Endlichkeit der Rohstoffvorräte, die Diskussion um Kohlendioxid und den Klimaschutz – alles spricht für die Geothermie Dass die Nutzung der natürlichen inneren Wärme der Erde revolutionär für die Energiegewinnung sein würde, davon waren die Kenner dieser Materie immer überzeugt. Dass sie gleich ein Erdbeben auslöst, war freilich weniger geplant: Weihnachten 2006 wackelten in Basel und Umgebung die Wände, nachdem Forscher mehrere tausend Meter tief gebohrt hatten, um an heißes Gestein zu kommen. Tektonische Verschiebungen im Untergrund lösten daraufhin mehrere Beben bis zur Stärke 3,4 auf der Richterskala aus.
Trotz solcher Erschütterungen haben sich die Aktienkurse von Unternehmen aus der Geothermie-branche in den vergangenen Monaten prächtig entwickelt. Denn global gesehen wird diese Technik zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten für fossile Energien oder Wind- und Solartechnik. Wie bei Letzteren ist der Energierohstoff praktisch unbegrenzt vorhanden. Der entscheidende Unterschied: Erdwärme liefert auch noch Energie, wenn es draußen dunkel ist oder windstill.
Dass Geothermie in Europa nicht schon längst industriell in großem Stil genutzt wird, hat drei Gründe. Erstens: Der globale Energiespeicher kann bisher nur in bestimmten Regionen angezapft werden. Oft dort, wo es in der Nähe keine Abnehmer gibt. Zweitens war die Technologie wenig ausgereift oder gar nicht vorhanden. Drittens lohnte sich der finanzielle Aufwand für Erdwärme-Kraftwerke lange nicht. Erst mit den steigenden Preisen für Öl und Gas wird die Geothermie nun rentabel.
Die Tiefe macht den Unterschied. In der oberflächennahen Form (siehe Glossar) ist Geothermie hierzulande schon längst bekannt, wenn auch unter anderem Namen: Rund 140?000 Wärmepumpen, deren Sonden meist im Garten vergraben sind, sorgen in deutschen Heimen schon für wohlige Wärme. Im Prinzip funktionieren Wärmepumpen wie Kühlschränke, nur umgekehrt: innen ist es warm und außen kalt. Die Installationsraten solcher Systeme haben sich in den vergangenen drei Jahren in Deutschland jeweils verdoppelt.
Trotzdem liegt die Verbreitung nur im einstelligen Prozentbereich. Zum Vergleich: In Schweden haben bereits 95 Prozent der Gebäude Wärmepumpen zu Heizzwecken, in der Schweiz mehr als ein Drittel. Praktischer Nebeneffekt von Wärmepumpen in Zeiten der Klimawandel- und CO2- Debatte: Das Verfahren selbst ist emissionsfrei. Allerdings muss die Pumpe meist mit Strom angetrieben werden – und der kann dann auch aus einem Kohle- oder Atomkraftwerk stammen. Dass Erdwärme-Aktien an der Börse inzwischen heiß gehandelt werden, liegt aber an den technologischen Fortschritten bei der sogenannten tiefen Geothermie, die ganz neue Energiepotenziale erschließt –vor allem für die Stromerzeugung. Dabei wird bis zu 7000 Meter tief in die Erde gebohrt. Schon in einem Kilometer Tiefe hat das Erdreich Temperaturen von 35 bis 40 Grad, unter besonderen geologischen Bedingungen kann die Temperatur auf mehrere 100 Grad steigen. Entweder wird dann kaltes Wasser in die Bohrlöcher im heißen Gestein gepresst und erhitzt wieder nach oben gepumpt. Oder es sprudelt heißes Grundwasser von selbst nach oben, dessen Dampf Generatoren antreibt.
"Die Bohrung ist das Risiko bei dieser Geschichte", sagt Hans Heinrichs, Geschäftsführer der SachsenLB-Tochter Sachsenfonds, die ein Heißwasser-Geothermieprojekt im Südosten Münchens finanziert. "Man muss den Punkt treffen." Allerdings liege die Chance auf einen Treffer in dem Gebiet über 90 Prozent, neue Bohrtechniken erlauben außerdem eine Ablenkung der Richtung in der Tiefe bis Wasser kommt.
In Deutschland haben die Forscher drei besonders interessante Regionen für die Heißwasser- Technologie ausgemacht: Das sogenannte Rotliegend-Sandsteingebiet mit Schwerpunkt im Nordosten Leipzigs, den Oberrheingraben sowie das Molassebecken zwischen Salzburg und München. Für die sogenannten Hot-Rock-Systeme (ohne Wasser) kommt eine wesentlich größere Region infrage, von Baden-Württemberg und Bayern über Hessen nach Sachsen und im Norden vorwiegend in Mecklenburg Vorpommern.
Das erste Geothermie-Kraftwerk Deutschlands wurde 1994 in Neustadt-Glewe in Betrieb genommen. Allerdings hat die Fernwärme dort Vorrang vor der Stromerzeugung. Im Winter steht für die Generatoren nur die Energie zur Verfügung, die nicht zum Heizen gebraucht wird. In Bruchsal nördlich von Karlsruhe hatte man beispielsweise schon nach den Ölpreisschocks der 70er-Jahre ein Anzapfen des heißen Untergrunds geplant, die Realisierung dann aber auf Eis gelegt, weil der Ölpreis Anfang der 90er-Jahre das Projekt nicht mehr wirtschaftlich erscheinen ließ. Nun soll die Anlage möglichst bald ans Netz gehen. In der Gemeinde Unterhaching im Münchner Süden ist ein Geothermiekraftwerk fast fertig.
Eine halbe Autostunde entfernt werfen die Sachsen im September den Bohrer an. Hans Heinrichs erklärt die wirtschaftliche Strategie: "In erster Linie wollen wir eine Verstromung der Energie anstreben, dann Fernwärme, dann könnte man sogenannte Greenhouses anschließen." Diese Glashäuser wären nicht nur für gewöhnliche Gärtnereien, die Pharmaindustrie beispielsweise greift immer öfter auf Pflanzen zurück, die nur im heißen Regenwaldklima gedeihen. Bisher waren solche Anlagen in nördlichen Breiten wie Deutschland unrentabel. Das könnte sich ändern, wie Christian Eberl vom Team für Technik, einer Gesellschaft von Ingenieuren, die sich unter anderem auf das Thema Fernwärme spezialisiert haben, erklärt: "Weil Geothermie eine vollständig regenerative Versorgung darstellt, ist sie besonders für das Gewerbe in Deutschland interessant. Denn nach der neuen Energieeinspeisungsverordnung werden die Gebäude nach dem sogenannten Primärenergie-Faktor bewertet. Wer Geothermie nutzt, darf quasi mehr Energie verbrauchen, hat also Spielraum für andere Investitionen." In anderen Ländern kommt die Geothermie ohne direkte und indirekte Subventionen voran. Und meist wird gar nicht groß gebohrt – durch geologische Besonderheiten: Im stark von Vulkanismus geprägten Island lässt sich das heiße Wasser aus Geysiren direkt an der Erd oberfläche anzapfen und erzeugt 20 Prozent der Stromleistung im Land. In der Toskana rumort es im Untergrund gewaltig, weil hier die afrikanische auf die eurasische Kontinantalplatte trifft. Deshalb entstand 1913 bei Lardello das erste Geothermiekraftwerk überhaupt. In den vergangenen fünf Jahren wurden dort 254 Megawatt installiert – die Leistung entspricht 60 modernen Windkraftwerken.
Geologisch bevorzugt sind auch Indonesien, die Philippinen oder Neuseeland. In den USA mit 133 und Japan mit 100 Vulkanen werden gerade Milliarden-Dollar-Summen in den Ausbau erdwärmegetriebener Dynamos investiert. Die beiden Industrieländer haben zumindest theoretisch die größten natürlichen Ressourcen geothermaler Energie.
Ausgerechnet Tibet ist führend bei der Geothermie, ein Drittel des Stroms und der Heizenergie im Land stammen aus der Erde. China, das den Himalayastaat annektiert hat, plant, große Teile seines gewaltigen Energiehungers aus der oberflächennahen wie auch tiefen Geothermie zu decken. Welche Entwicklungsmöglichkeiten es gibt, zeigt die Tatsache, dass gerade mal 0,061 Prozent des Weltprimärenergieverbrauchs aus der Geothermie stammen.
Zusätzlichen Schub wird die Branche durch die strenger werdenden Umweltgesetze bekommen. Deshalb werden sich die Fonds- und Zertifikate-Emittenten mit Aktien aus dem Thema eindecken müssen, was allein schon die Kurse nach oben befördern wird. Interessant für Anleger sind nicht nur reine Geothermie-Firmen (siehe Investor-Info), sondern auch Bohrfirmen, Explorationsunternehmen und Anlagenbauer. Schließlich ist das Suchen und Bohren nach heißen Erdschichten am teuersten.
Wie in Pioniertechnologien üblich werden mit hoher Wahrscheinlichkeit einige Firmen wieder vom Kurszettel verschwinden – aber nicht unbedingt zum Nachteil der Anleger. Denn so manches kleines Unternehmen mit großer Expertise ist ein potenzieller Übernahmekandidat für Konzerne wie Siemens, deren Tochter Industrial Solutions and Services das Projekt in Unterhaching bedient, oder General Electric.
Interessant ist auch eine andere Anwendung der Erdwärme. Durch einfache Umkehrung des Geothermieverfahrens lassen sich Gebäude auch kühlen. Die Hundertausende Klimaanlagen, deren Stromverbrauch das New Yorker Netz im Hitzesommer 2003 zusammenbrechen ließen, könnten durch ein Fernwärmenetz mit Kühlungsfunktion energiesparend ersetzt werden.
Moderation Zeitpunkt: 03.03.10 06:46 Aktion: Nutzer-Sperre für immer Kommentar: Doppel-ID - Doppel ID - TrendBox
|