Da lernst du eine Frau kennen, die dich einfach umhaut. Ihre Kraft und gleichzeitig die Zartheit ziehen dich magisch an. Sie ist anders, als alle Frauen, mit denen du zuvor zusammen warst. Ist sie überhaupt ein Mensch? Oder ein Wesen aus einer anderen Welt. Wenn sie lacht, dann aus so vollem Herzen, dass die Bäume augenblicklich zu blühen beginnen möchten. Wenn sie weint, dann strömt eine Traurigkeit von Jahrhunderten aus ihr heraus, als habe sie den Schmerz der Welt und aller Menschen gleichzeitig zu tragen. Mit täglich hundert Ideen gestaltet sie Eure Freizeit und flößt dir Leben ein, nicht tröpfchenweise sondern ohne Geiz. Nichts ist mit ihr durchschnittlich, es ist, als reize sie alles aus, als wolle sie selbst den alltäglichsten Dingen noch Leidenschaft entlocken. Und dann der Sex, wie konntest du ahnen, dass es je solchen Sex mit einer Frau geben könnte. So intensiv, ohne Scheu und ungestellt.
Wie kann sie denn noch immer neue Arten finden, dich zu berühren? Wie kann deine Berührung sie derartig in Exstase versetzen? Wie kann sie gleichzeitig lachen und weinen während sie unter deinen Händen schmilzt?
Und doch hast du bei jeder Berührung Angst, Du könntest sie verletzen. Und du hast bei jedem Lachen das Gefühl, ein tiefer verborgener Schmerz schwingt in ihrem Inneren mit. Ein Geheimnis, dass du nicht ergründen kannst, hält sich dort versteckt.
Dann eines Tages ist alles anders. Sie verlässt dich aus heiterem Himmel. Sie erträgt dich nicht und du bist Schuld, sagt sie. Sie wisse selber nicht, warum, aber die Liebe sei einfach weg, sagt sie. Dass es auch für dich besser ist, wenn sie geht, bevor sie dir weh tut, sagt sie. Du verstehst die Welt nicht mehr. Wie kann etwas so intensiv sein und dann nach so kurzer Zeit schon vorbei? Hattest du überhaupt auch nur einen kleinen Teil des Ablaufs selbst in der Hand? Hat sie nur mit dir gespielt?
Und doch - sie hat dich für alle anderen Frauen verdorben.
Der Ablauf von Beziehungen mit Borderlinerinnen ist in den meisten Fällen nahezu identisch. Ein Kennenlernen erfolgt meist nicht im üblichen Rahmen, sondern via Internet, Kontaktanzeige oder spontanem Gespräch im Park oder in der Disco. Es geschieht nicht langsam, sondern gleicht einem Überfall. Die Intensität in ihrer Präsenz fasziniert dich und du wünschst dir, sie langsam kennen zu lernen, ihr näher zu kommen. Aber noch bevor du dir eine Strategie überlegen kannst, um ihre Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen, hat sie dich schon überrollt. Bevor du dir noch wünschen kannst, in ihrer Nähe zu sein, istsie bereits bei dir. Und obwohl sie sich dir anbietet, verliert sie für dich nicht an Reiz. Es kommt schneller als sonst zu Intimitäten und schneller als sonst führt man sehr persönliche Gespräche. Dabei schaut sie in die tiefsten Windungen deiner Seele, als kenne sie dich seit Ewigkeiten. Und du öffnest dich leichter, schneller als sonst. Erzählst ihr Dinge, die du noch nie jemandem erzählt hast. Sie ist wie ein Schmetterling in deinen Händen, du möchtest sie beschützen und hast dabei Angst, sie zu zerdrücken.
Doch auch schneller als sonst wird aus einer Romanze eine Art Beziehung. Und schneller als sonst ist alles vorbei. Ohne Vorankündigung. Plötzlich.
Der Schmerz zerreißt dich fast. Doch ihr scheint es schon bald viel besser zu gehen. Du hörst, dass sie bereits einen anderen hat oder wieder bei ihrem Ex ist. Oder dass sie nie wieder je etwas mit Männern zu tun haben will.
Was passiert hier? Hast du etwas getan? Du bist dir keiner Schuld bewusst, auch wenn sie dich das glauben machen will. Als sie sagte, sie liebt dich, muss sie doch gelogen haben.
Nein, gelogen hat sie nicht. Aber sie hat etwas mit Liebe verwechselt. So wie es ihr oft passiert. Im Nachhinein wird sie sagen, eigentlich habe sie noch nie geliebt. Beides ist wahr. Sie hat tatsächlich noch nie geliebt, auch dich nicht. Und doch war ihre Liebe echt. Sie war echt in dem Kontext, in dem sie stand. Sie war echt in einem Modell, das für eine kurze Weile Umsetzung fand. Aber es gab sie nie im Hier und Jetzt. Und es gab sie nie in ihr.
Borderliner erleiden eine schwere Identitätsstörung. Aufgrund mangelnder Gefühlsregulation geht die Chance, ein authentisches Ich zu entwickeln in früher Kindheit fast gänzlich verloren. Näheres hierzu erläutere ich unter Therapie.
Als junge Erwachsene leben die Betroffenen daher in diversen Lebens-Modellen. Sie erfinden sich Realitäten, die sie um ein fiktives Ich herumbauen, auf der ständigen Suche danach, sich endlich selbst zu fühlen. Dieses Modell-Ich ist wandelbar, es hat keine Konstanz. Modelle, die sich nicht bewähren, werden fallen gelassen, neue Präferenzen gesetzt. Manche Modelle werden auch über einen längeren Zeitraum in den Alltag integriert, im Prinzip ist die Borderline-Persönlichkeit eine Collage diverser solcher wandelbaren Ich-Modelle, die teilweise auch parallel gepflegt werden. Es liegt auf der Hand, dass Beziehungen zu einem solchen fiktiven Ich nur schwer möglich sind, weder von innen noch von außen. Und es ist ebenso naheliegend, dass eine Person ohne ein authentisches Ich keine Liebe empfinden kann (was nicht heissen soll, dass Borderliner, die es geschafft haben, ihr eigenes Selbst durch Therapie zu stärken, nicht auch genügend Objektkonstanz entwickeln können, um beständig zu lieben). Wer da geliebt hat, war das fiktive Ich. Das war durchaus echt, doch war es nicht authentisch. Ich würde es also nicht als Liebe bezeichnen, sondern als Leidenschaft für eine Idee. Die Idee und das Modell warst du. Und in seiner Art somit vergänglich.
Der gute Wille ist da, die Handlungsweise dem Borderliner nicht bewusst. Er empfindet das Scheitern eines solchen Modells als sein eigenes persönliches Scheitern. Das löst diverse borderlinetypische Spannungen aus, die ihm kaum erträglich sind. Der Betroffene bricht die Beziehung schlagartig ab, um der Spannung zu entkommen und fühlt sich tatsächlich anschließend besser.
Wie entsteht diese Spannung? Das künstlich geschaffene Modell beinhaltet meistens eine überzogene Darstellung von sich selbst, die der Borderliner nicht nur dem Partner zeigen möchte, sondern auch sich selber vorspielt. Borderliner wissen, dass ihre mangelnde Gefühlsregulation für eine Weile auf andere höchst anziehend wirken kann, weil sie eine Intensität bietet, die gesunden Menschen im Alltag nicht geläufig ist. In der ersten Zeit fühlt sich der Borderliner in dieser Situation also wirklich wohl und geborgen, was er dann selbst mit Liebe verwechselt. Tatsächlich aber entsteht die Geborgenheit durch ein hohes Maß an Kontrollfähigkeit. Die Kontrolle der Umgebungsreize ist für Borderlinekranke seit früher Kindheit ein Ersatz für die fehlende Gefühlsregulation (siehe hierzu Therapie). Du wirst gemerkt haben, dass in Eurer kurzen Romanze doch immer sie das Kommando hatte. Alles schien so offen und natürlich, aber ob gelacht oder geweint wurde bestimmte doch irgendwie immer sie. In der Diagnostik wird dieser Umstand gerne als "Manipulation" bezeichnet. Der Borderliner versucht seine Umwelt zum einen von negativen Reizen zu befreien und kalkulierbar zu halten und sie zum anderen den eigenen unkontrollierbaren Stimmungen anzupassen. In keiner Lebenssituation geht das so gut, wie während einer Romanze, während der ein anderer Mensch der Borderlinerin quasi verfallen ist. Hier tankt die Frau ihre Reserven auf, hier kann sie sich ausruhen, hier kann sie sich für eine Weile alles holen, auf das sie so nachhaltig verzichten muss.
Doch wenn es ihr so gut tut, warum bricht sie es dann plötzlich ab?
Weil die Wirklichkeit sie einholt. Genauer gesagt, sie holt sich selber ein. Das Modell von der perfekten Partnerin, die sie sein möchte, beginnt zu bröckeln. Ihr unterlaufen unvorhergesehene Fehler. Sie hat Dinge getan und gesagt, die sie in ihren Augen auf lange Sicht unliebbar machen werden und sie rechnet hoch, in welches Desaster das weiter führen wird. Wie lange wird es dauern, bis ihre Dämonen alles zerstört haben werden, und der Partner sich voller Entsetzen und Ekel von ihr abwenden wird (dies wäre ein stark negativer, spannungsauslösender Reiz, der sich ihrer Kontrolle entziehen würde). Wie lange wird er noch so blind sein, sich von ihr faszinieren zu lassen? Wann wird er ihr das erste Mal sagen, dass sie nicht alle Tassen im Schrank hat?
Unkontrollierbare Reize, die jedoch dadurch kontrollierbar werden, dass sie vermeintlich vorhersehbar sind. Ihnen zuvor zu kommen ist also die Lösung, so scheint es.
"Ich werde dir weh tun", "Ich bin unausstehlich", "Glaube mir, es ist besser für dich, wenn ich gehe", "Es würde nicht gut gehen mit uns".
Diese Sätze signalisieren das erste Bröseln des Persönlichkeits-Modells, das untrennbar mit dir verbunden ist. Gleichzeitig gehen damit Schuldzuweisungen einher wie "Du bist viel zu weich, du wirst es nicht schaffen, gegen mich anzukommen, ich bin nicht das liebe Ding, das du in mir siehst. Du machst immer dies und sagst immer das und das bringt mich irgendwie zum Ausrasten" und vielleicht auch Schlimmeres. Auch das ist bereits Reizkontrolle, um den negativen Reiz der eigenen Scham und Schuldgefühle verzweifelt entgegen zu wirken. Und in ihrer Welt bist natürlich auch du daran Schuld, dass alles kaputt gegangen ist (und das, wo du von Kaputtgehen selbst eigentlich noch gar nichts bemerkt hast), denn auch du hast dem Modell auf Dauer nicht entsprochen, hast Dinge gesagt und getan, die augenscheinlich überhaupt nicht bedenklich wären, die aber das Bild, das sie von dir und von Euch geschaffen hat, verzerrt haben. Gleichzeitig ist dies der Zeitpunkt, an dem du grausam ins Feuer geschmissen wirst. An dem dir zum ersten Mal der Gedanke kommt, diese Frau ist nicht nur im positiven Sinne völlig crazy, sondern irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht und du kannst es nicht einordnen. Aber mal ganz ehrlich: Hattest du geglaubt, du bekommst diese Verrücktheiten, diese Intensität der Gefühle, diese Unvergleichlichkeit umsonst? Ist es wahrscheinlich, dass Temperament und Intensität sich nur auf positiver Seite zeigen? Der Borderliner versucht, genau diesen Traum zu vermitteln, aber es bleibt nunmal ein Traum. Hör auf zu träumen. Sie wird es nicht durchhalten, dein Traum zu sein.
Unter der eigenen Unzulänglichkeit leiden Borderliner sehr. Sie möchten so gerne "funktionieren", aber es will einfach nicht gelingen. Du warst auf dieser Irrfahrt einer der vielen Versuche. Du warst auch eine der vielen Bruchlandungen. Aber mit dir persönlich hat das Ganze im Prinzip nicht das Geringste zu tun.
Bitte, verzeih ihr.
Aber:
Natürlich sind Partnerschaften mit Borderlinern möglich und können auch sehr erfüllend sein. Eine der vielen Facetten davon habe ich versucht in meinem Text "Großer Starker Bär" zu beleuchten. Borderliner haben aufgrund des frühen und andauernden Trainings oft einen überdurchschnittlich wachen Verstand. Im Herzen jedoch sind sie Kinder, denn die Krankheit bringt eine emotionale Unreife mit sich, die durch den Verstand leider nicht vollständig korrigiert werden kann (auch wenn ich das Bestreben hierzu als einen guten Weg erachte). Der Partner eines Borderliners muss lernen, auf beide einzugehen: Er sollte nicht den Verstand entmündigen oder nicht ernst nehmen, während er aber parallel dem sehr verletzlichen, verwirrten und unreifen Kind Schutz, Leitung und Trost gewährleisten sollte und vor allem Respekt. Kann er die Zwiespältigkeit des Borderliners, die nahezu absolute Trennung von Emotion und Verstand in seinem eigenen Verhalten spiegeln und für jeden Teil der passende Partner sein, dann kann auch diese Partnerschaft sehr gut funktionieren und dass sogar im Verlaufe der Monate mit immer weniger Verletzungen. Borderliner können verständlicherweise schwer vertrauen und solange das Vertrauen noch nicht stark genug ist, werden sie weiterhin ab und zu kratzen und beissen - aber beissen tut das Kind, denn es hat Angst. Der Verstand hingegen schämt sich dafür, da er mit seiner Reife die Unreife der kindlichen Reaktion durchaus erkennt. Das zerreisst einen. Es fördert und verstärkt eine gewisse Grundnervosität, ein arges Spannungsgefühl, das nachlässt, sobald der Verstand den Partner vom unzumutbaren Kind befreit. Die Trennung ist so für den Borderliner Erlösung.
Es braucht hierfür von beiden Seiten die Kraft, den Willen und die Begabung, über den Tellerrand üblichen Beziehungsverhaltens drüber zu sehen und unübliche Wege zu beschreiten. Mit den üblichen Klischees werden wir hier nämlich nicht weit kommen ;-)
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