DIE ZEIT Hatz unter Freunden Khaled El-Masri war nicht der Erste: Die CIA hatte schon zuvor einen Deutschen in der Mangel – und die Bundesregierung wusste davon Von Jochen Bittner Die frühere Bundesregierung wusste lange vor der Entführung von Khaled El-Masri, dass der amerikanische Geheimdienst CIA nicht davor zurückschreckte, auch deutsche Staatsbürger zu verschleppen. Das zeigt ein Fall aus dem Jahr 2003. Damals machte sich eine Einsatzgruppe des Bundeskriminalamts (BKA) auf den Weg nach Indonesien, um den deutschen Terrorverdächtigen Reda Seyam vor einer Entführung durch amerikanische Geheimdienstler zu bewahren. Das Bundeskanzleramt sei über die Operation laufend unterrichtet worden, heißt es aus Sicherheitskreisen. Unter strengster Bewachung flogen die BKA-Beamten den ägyptischstämmigen Deutschen Reda Seyam von Jakarta nach Deutschland. Diese »Sicherheitsbegleitung« erfolgte laut offizieller Auskunft des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amtes »zur Sicherung exekutiver Anschlussmaßnahmen.« Aber offenkundig nicht allein dazu. »Es gab Weisung aus Berlin, insbesondere darauf zu achten, dass Seyam nicht noch im Transitbereich des Flughafens Singapur weggeschnappt wird«, sagte ein deutscher Sicherheitsbeamter der ZEIT. Er ist mit dem Fall gut vertraut, möchte aber seinen Namen nicht genannt sehen. »Ob jemand Deutscher ist oder Souveränitätsrechte verletzt werden, interessiert die Amerikaner nicht«, berichtet der Insider. »Die sind wie losgelassene Hunde.« Und weiter: Die Teilnehmer der so genannten Nachrichtendienstlichen Lage, die jeden Dienstagmorgen im Kanzleramt tagt, hätten »natürlich gewusst«, dass es den CIA-Mitarbeitern an Respekt vor rechtsstaatlichen Prinzipien mangele. Zu dem Kreis zählen unter anderem der Kanzleramtsminister – der heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier –, sein Geheimdienstkoordinator sowie die Präsidenten der Nachrichtendienste und des BKA. Reda Seyam war zunächst Mitte September 2002 von der indonesischen Polizei festgenommen worden. Sie verdächtigte ihn, Kontakte zu islamistischen Terrorgruppen in dem Inselstaat zu pflegen. In der Haft, so Seyam gegenüber der ZEIT, sei er drei Tage lang gefesselt und mit einem Klebeband über den Augen verhört worden. Auch »Amerikaner oder Engländer« hätten ihn befragt, ohne dass ihm dabei konsularischer Beistand durch die deutsche Botschaft gewährt worden sei. »Später haben mir dann die BKA-Beamten erzählt, das sei die CIA gewesen.« Diese Darstellung wird von von einem damals Beteiligten bestätigt. Es sei »allgemein bekannt« gewesen, dass offiziell zwar die Indonesier Seyam festgesetzt hatten, in Wahrheit aber die CIA hinter der Aktion gesteckt habe. Zudem hätten die deutschen Ermittler später von CIA-Mitarbeitern die Festplatte von Seyams Laptop ausgehändigt bekommen, der bei seiner Verhaftung beschlagnahmt worden war. Seyam wurde schließlich wegen eines Passvergehens von einem indonesischen Gericht zu zehn Monaten Haft verurteilt. Rechtzeitig zu seiner Entlassung im Juli 2003 wartete das fünfköpfige BKA-Team vorm Gefängnistor. Mit den Worten »Du weißt nicht, was geplant ist« fuhren sie mit ihm ohne weitere Umstände zum Flughafen von Jakarta, um die nächste Maschine nach Deutschland zu besteigen. Die Beamten waren besorgt, ihr Staatsbürger könnte doch noch in Guantánamo landen. »Mehr oder weniger offen« habe ein CIA-Mann in Jakarta den Deutschen gesagt, »man wolle Seyam gern noch einmal haben«, sagte ein Insider gegenüber der ZEIT. Überdies: All das sei der Amtsleitung des BKA und der Sicherheitslage im Kanzleramt in Dutzenden von Führungsinformationen und Berichten mitgeteilt worden. Es habe auch »Rückfluss« von Staatssekretären gegeben, sprich: Abstimmungen auf Ministeriumsebene. »Allerdings«, so erinnert sich einer der Beteiligten, »ist nicht einmal annähernd die Frage aufgeworfen worden: Warum soll hier ein Deutscher entführt werden?« Wäre diese Frage damals geklärt worden, vielleicht hätte die Entführung von Khaled El-Masri Anfang 2004 verhindert werden können. Denn ausgerechnet der Deutsch-Libanese wurde nach Seyams Rückkehr nach Deutschland dessen bester Freund. – Eigentlich, so schildert es Seyam, habe er nach der Haft in Indonesien zu seiner Familie nach Saudi-Arabien reisen wollen. Doch davor hätten ihn die deutschen Beamten gewarnt; auch dort drohe Zugriff durch die Amerikaner. Seyam ging daraufhin nach Neu-Ulm. In der dortigen Moschee lernte er Khaled El-Masri kennen. Der habe ihm sehr beim Neustart in Deutschland geholfen, sagt Seyam, unter anderem dabei, seine Familie aus Saudi-Arabien nachzuholen. »Eines Tages rief mich die Frau von El-Masri an, ob ich wüsste, wo ihr Mann sei.« Das war Anfang 2004. El-Masri war in Makedonien von CIA-Häschern nach Afghanistan verschleppt worden. Erst fünf Monate später tauchte er wieder auf. Wie glaubhaft ist nach diesen Zusammenhängen noch die Behauptung der amerikanischen Regierung, bei El-Masri habe es sich um eine »Verwechslung« gehandelt? Wollten die Verhörleute im afghanischen Kerker vielleicht mehr über Reda Seyam erfahren, als sie El-Masri nach der Ulmer Islamistenszene ausquetschten? Vor allem aber: Hätten Otto Schily und der damalige Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier dem amerikanischen Botschafter nicht genau diese peinlichen Fragen stellen müssen, statt treuherzig seine Geschichte vom »Irrtum« zu schlucken? Bis zum Redaktionsschluss am Montagabend war von keinem der beiden eine Stellungnahme zu erhalten. Möglicherweise fehlte es den beteiligten Behörden schlicht am außenpolitischen Rückgrat, amerikanischen Hauruck-Methoden klare Grenzen zu setzen. Vieles deutet in diese Richtung. Möglich ist aber auch, dass es manch einem der Verantwortlichen schwer fiel, Reda Seyam gegenüber die Unschuldsvermutung aufzubringen, die jeder Beschuldigte verdient. Rein menschlich, nicht juristisch, wäre das verständlich. Denn aus seinen radikalen Überzeugungen macht Seyam keinen Hehl. »Laut Koran ist es in Ordnung, Terrorist zu sein!«, sagte er im Juli 2003 der Frankfurter Rundschau. »Laut Koran ist es eine Pflicht, Kaffer umzubringen!« Seit 2002 ermittelt der Karlsruher Generalbundesanwalt gegen ihn, unter anderem wegen Terrorismusaktivitäten im Ausland. Den typischen deutschen Staatsbürger, den stellt man sich so nicht vor. Mitarbeit: Moritz Kleine-Brockhoff, Jakarta (c) DIE ZEIT 21.12.2005 Nr.52
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