MORDPROZESS
Das langsame Sterben der kleinen Jessica
Von Friederike Freiburg
Es war ein qualvoller Tod für die kleine Jessica: Ein Rechtsmediziner hat vor dem Hamburger Landgericht die letzten Lebensjahre des verhungerten Mädchens rekonstruiert. Fotos vom ausgezehrten Leichnam zeigten die ganze Monstrosität des Falls. Die Eltern sahen weg.
< script type=text/javascript><!--OAS_RICH('Middle2'); // -->< /script><!-- www.spiegel.de/panorama/artikel@Middle2 -->Hamburg - Buchstäblich nur noch Haut und Knochen - die Fotos des Leichnams der verhungerten Jessica sind schockierend. Jedem, der heute im Gerichtssaal des Hamburger Landgerichts sitzt, ist wohl klar, dass das sieben Jahre alte Kind bei seinem Tod nicht einmal zehn Kilogramm wog. Trotz dieses Wissens erschrecken die Fotos. Vielen Betrachtern fallen zu den Bildern nur Vergleiche aus dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte ein. Die Wörter "Auschwitz", "Konzentrationslager" und "Warschauer Ghetto" fallen.
Zu sehen ist der völlig abgemagerte und ausgetrocknete Körper der kleinen Jessica aus Hamburg. Die Knochen stehen hervor, darüber spannt sich wächserne Haut. An den Seiten des Kopfes fehlen Haare - offenbar ausgerissen. Vor ihrem Tod hat Jessica jahrelange Qualen durchlitten, sagt heute im Prozess gegen die Eltern des Kindes der Rechtsmediziner Michael Tsokos, der die Obduktion des Leichnams durchgeführt hat.
Kurz bevor das Mädchen am 1. März an seinem eigenen Erbrochenen erstickte, habe es unter starken Schmerzen gelitten, sagt Tsokos. Eine Niere des Kindes war eitrig entzündet. Im Dickdarm fanden die Pathologen verhärtete Kotballen, 870 Gramm insgesamt - eine Folge fehlender Flüssigkeitszufuhr. Am After hatte der Kotpfropf einen Durchmesser von knapp fünf Zentimetern. Der Pfropf muss massive stechende Schmerzen verursacht haben. Bis kurz vor ihrem Tod war Jessica nach Angaben des Arztes bei vollem Bewusstsein. Schmerz- oder Schlafmittel bekam sie laut Obduktionsbericht nicht.
Jessica wog bei ihrem Tod 8,7 Kilogramm
Das Kind wurde der Aussage des Rechtsmediziners zufolge über mehrere Jahre massiv unterernährt. Der tote Körper wog zwar insgesamt 9,6 Kilogramm, davon haben die Ärzte jedoch das Gewicht der Kotsteine abgezogen. Bei seinem Tod betrug das reale Gewicht des Mädchens also nur noch 8,7 Kilo. Normal sind für siebenjährige Mädchen 17 bis 30 Kilogramm. Die Größe (1,05 Meter) lag ebenfalls unter der Norm in ihrer Altersklasse (1,14 bis 1,33 Meter). Das zu erwartende Gewicht bei Jessicas Körpergröße liegt bei 17 Kilogramm. Das Skelett sei auf dem Entwicklungsstand einer Dreijährigen stehen geblieben, berichtet Tsokos. Seinem Gutachten zufolge lebte das Kind seit langer Zeit im Dunkeln und konnte schon seit mehreren Monaten nicht mehr gehen, "allenfalls kriechen oder robben". Einen vergleichbaren Fall gebe es seines Wissens nach nicht, sagt der Mediziner.
Die letzten Mahlzeiten, die Jessica zu sich nahm, wurden ihr zum Verhängnis. Wegen des Darmverschlusses konnte der ausgezehrte Körper des Kindes die Nahrung nicht bei sich behalten. "Die Nahrung kam nicht weiter, dann kommt es zum Brechreiz", erklärt der Sachverständige. Jessica atmete das Erbrochene ein und erstickte daran. In ihrer Lunge fanden die Ärzte Spuren von Hühnerfrikassee mit Reis und von Schokoladenpudding.
Wegschauen und schweigen
Die Details sind furchtbar. Doch Jessicas Eltern machen den Eindruck, als ginge sie das Ganze nichts an. Mutter Marlies S. kauert mit dem Rücken zum Publikumsraum auf ihrer Bank, das Gesicht in den Händen verborgen, stundenlang. Sie blickt nicht auf, bleibt regungslos. Vater Burkhard M. sitzt schräg hinter ihr, starrt auf den Holztisch vor sich. Nur selten hebt er den Blick und senkt ihn sofort wieder.
Erst als der Sachverständige Horst Lieder von den Einzelheiten eines unter Strom stehenden Kabels im Kinderzimmer berichtet, schaut Burkhard M. länger als einen Augenblick zum Richtertisch. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, eine tödliche Stromfalle am Lichtschalter des Zimmers angebracht zu haben. Direkt unter dem Schalter lugte ein 16,5 Zentimeter langer unisolierter Draht aus der Wand, mit der vollen Netzspannung von 228 Volt. Der Draht habe nicht zu der normalen Anlage gehört, sondern sei dort zusätzlich angebracht worden. "Das ist lebensgefährlich, und dann ist es auch noch dunkel in dem Zimmer", sagt Lieder. Die Fenster des Kinderzimmers waren mit Folie abgeklebt. Der Draht habe nur eine Gefährdung dargestellt, einen anderen Zweck habe er nicht. Zu den Vorwürfen der Anklage schweigt M.
Fotos von Jessica gibt es fast ausschließlich nur bis zu ihrem zweiten Lebensjahr, und zu diesem Zeitpunkt macht das Kind einen durchaus normal ernährten Eindruck. Danach bricht die Dokumentation ihres Lebens abrupt ab. Aber warum? Darauf haben die Ermittler auch nach den bisherigen Zeugenaussagen keine Antwort.
Unter Jessicas Bett entdeckten die Polizisten bei der Durchsuchung der Wohnung ein paar Bälle. Daneben gab es kein Spielzeug in der Wohnung. Nur zwei Teddybären saßen auf einem Sofa, aber die waren nach Angaben des zuständigen Kripo-Beamten "nur Deko-Material". Im Wohnzimmer von Marlies S. und Burkhard M. fand die Polizei einen Luftballon mit der Aufschrift: "Ein Herz für Kinder". < script type=text/javascript><!--OAS_RICH('Bottom'); // -->< /script>
......................für die ist sogar die Todesstrafe zu mild
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