Und keiner kam, um sie zu retten Die fünfjährige Lea-Sophie in Schwerin ist tot – sie verhungerte und verdurstete qualvoll. Das Jugendamt war alarmiert, aber die Stadt will nichts falsch gemacht haben.
Vernachlässigte Kinder
Timo Tasche war von Marl nach Schwerin gekommen, um seine Mahnwache für Lea-Sophie abzuhalten. Vor der Haustür in der Kieler Straße vor Kerzen, Teddies und Plüschtüren hielt der Arbeitslose gestern einsam sein Brett hoch, auf das er mit roter Farbe „Schon wieder“ geschrieben hatte. Auf einem zweiten fragte er: „Warum?“ Eine Anwohnerin brachte violette Topfblumen vorbei. Aus dem Dachgeschoss hatten Sanitäter in der Nacht zu Mittwoch die Fünfjährige heruntergetragen und ins Krankenhaus gebracht. Der Vater hatte den Notarzt alarmiert. Die Ärzte konnten dem kleinen Mädchen nicht mehr helfen.
Über mehrere Monate sollen die 23 Jahre alte Mutter und ihr 26 Jahre alter Vater Lea-Sophie vernachlässigt haben, sagt die Justiz. Laut Obduktion ist das Mädchen verhungert und verdurstet. „Sie haben das Mädchen nicht ausreichend und nicht richtig ernährt“, sagte Oberstaatsanwalt Hans-Christian Pick. Wegen gemeinschaftlichen Totschlags wurden die Eltern festgenommen, die Untersuchungshaft wurde beantragt. Der acht Wochen alte Bruder in eine Pflegefamilie gebracht.
Es muss eine furchtbare Qual für Lea-Sophie gewesen sein. Der ausgemergelte und verdreckte Körper der Fünfjährigen war angeblich von offenen Wunden und Hungerödemen übersät, die blonden Haare büschelweise ausgefallen. Haut und Knochen wogen laut Obduktion nur noch 7,4 Kilogramm. Fünfjährige bringen das Doppelte bis Dreifache auf die Waage. Lea-Sophie sei eine Frühgeburt gewesen, erzählte ein Großvater „spiegel-online“, schon immer schmächtig. Vor acht Wochen habe er sie zum letzten Mal gesehen. Damals sei ihm alles normal erschienen.
Verwahrloste anonyme Plattenbausiedlungen sehen anders aus, als die Häuser der Schweriner Wohnungsgenossenschaft im Stadtteil Lankow. Kein Graffity verunziert die Fassade, blitzblank gefegt wirkt das Treppenhaus, die Fußmatten liegen ordentlich vor den Wohnungstüren, hinter denen in dieser Gegend viele ältere Menschen leben. Lea-Sophies Eltern fielen da offenbar aus dem Rahmen, als sie vor knapp zwei Jahren einzogen, sie fanden keinen Anschluss in der Hausgemeinschaft. „Das waren Nachtmenschen“, sagt eine Nachbarin, „wir wussten nicht einmal, dass die Kleine da wohnt“. Geärgert habe sie sich über die beiden Hunde, die Genossenschaft musste schon schlichten. „Ständig die vielen Hundehaare im Treppenhaus, das fanden auch andere Nachbarn schlimm.“ Doch reden wollte sie mit Lea-Sophies Mutter nicht. Als diese eines Tages klingelte, offenbar um über den Ärger mit den Hunden zu sprechen, habe sie nicht geöffnet. So wie die Nachbarn jeglichen Verdacht, weggeschaut zu haben, von sich weisen, will auch das Schweriner Jugendamt nichts falsch gemacht haben. Mehr als eine dünne Mitteilung ist dem Sprecher der Stadtverwaltung aber nicht abzuringen. Die Familie sei den Behörden bekannt gewesen, das Jugendamt habe den Fall den Vorschriften gemäß bearbeitet und sich nichts vorzuwerfen, heißt es. Was und wie viel das Jugendamt über Lea-Sophie wusste, bleibt aber unklar. Nachbarn berichten, vor zwei Wochen seien zwei Jugendamtsmitarbeiter, alarmiert durch einen anonymen Hinweis, zur Wohnung der Familie gekommen und mussten unverrichteter Dinge gehen. „Die Familie war kurz vorher weggefahren, die haben Lea-Sophie gar nicht gesehen“, sagt eine Nachbarin. Ob die Leute vom Jugendamt ein zweites Mal kamen, vermochte sie nicht zu sagen. Der NDR will wissen, die Eltern hätten sich freiwillig beim Amt gemeldet und hätten ihren Säugling dabei gehabt. Lea-Sophie war angeblich bei Verwandten. Warum das Jugendamt nicht nachhakte, ist nicht bekannt. Möglicherweise gab es anonyme Beschwerden über den Säugling Kevin, nicht aber über Lea-Sophie, von der ja nicht einmal die Nachbarn etwas gewusst haben. Verena Riemer glaubt unterdessen, dass die Behörden die Katastrophe haben kommen sehen. Die ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Stadtelternrats war Zeuge einer Sitzung des Jugendhilfeausschusses der Stadtvertretung vor einem Jahr. Die Jugendamtsleiterin Heike Seiffert habe damals gesagt, „sie könne nicht garantieren, dass in Schwerin nicht wie in anderen Städten auch ein totes Kind gefunden wird“, sagt Riemer. Seiffert habe berichtet, dass ihr Amt hoffnungslos unterbesetzt sei.
Edmund Haferbeck von den in der Stadt oppositionellen Bündnisgrünen glaubt, dass die Jugendämter den Hinweisen auf verwahrloste Kinder meist nur „lasch und routinemäßig“ nachgehen. Ob dies im Fall von Lea-Sophie auch so gewesen sei, könne er aber nicht sagen. Falls doch, müsse zumindest der Sozialdezernent der Stadt, Hermann Junghans (CDU), persönliche Konsequenzen ziehen.
Quelle:
http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/Schwerin;art1117,2425294
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