
Günther Thiel in Erklärungsnot
22. April 2002 Schwarze Schatten auf der einstigen Lichtgestalt Günther Thiel. Hat der Senkrechtstarter und Chef von Thiel Logistik tatsächlich auch Leichen im Keller? Mittlerweile scheint eine Mehrheit an der Börse davon auszugehen - allerdings ohne irgendwelche Fakten dafür in Händen zu haben.
„Unlimitierte Orders aus London“, lautet die Begründung für den massiven Ausverkauf am Montag, der die Aktie bis 11.15 Uhr um 27,3 Prozent auf 8,50 Euro nach unten drückt. Marktgerüchte ziehen Planzahlen und Bilanz von Thiel in Zweifel.
Börsianer ratlos
Wie schon vergangene Woche, als sich der Kursrutsch bei Thiel wegen Verkäufen aus Übersee verschärft hatte, äußern sich die Marktteilnehmer dazu aber eher ratlos. „Wenn eine Aktie am Neuen Markt fällt, von der man nicht weiß, warum sie fällt, verkaufen die Leute im Moment schon aus Sorge, es könnten sehr schlechte Nachrichten kommen", meint Udo Becker, Händler bei Merck Finck unter Verweis auf den Skandal um Comroad und andere Neuer-Markt-Unternehmen.
Außerdem habe der Thiel-Aktienkurs zuletzt eine charttechnisch wichtige Marke bei 13 Euro nach unten durchbrochen, was auch zu Anschlussverkäufen geführt haben könne. „Es sieht so aus, als würden Anleger aus kleineren Logistikunternehmen herausgehen, um sich auf TNT Post Group zu konzentrieren", meint ein anderer Händler, der anonym bleiben will.
Bis heute keine Verkaufsempfehlung
Tatsache ist, dass die zweistelligen Wachstumsraten des Logistikers, die mit schöner Regelmäßigkeit die hohen Erwartungen des Marktes trafen oder übertrafen, schon früher ungläubiges Staunen erzeugt haben. Aber die Erklärung, Thiel habe mit einem überlegenen Geschäftsmodell das ungeheure Outsourcingpotenzial in der Health-Care-Logistik angezapft, schien Analysten und Börse zugleich schlüssig. Gab es doch auch keinerlei konkrete Anwürfe wegen Betrügereien à la Comroad.
Mit den Unregelmäßigkeiten bei Konkurrent D.Logisitics geriet aber auch bei Thiel langsam, aber sicher der Stein - und der Aktienkurs - ins Rollen. Bis heute aber nahmen Marktteilnehmer wie Analysten den Kursrutsch mit Unverständnis zur Kenntnis und bliesen weiter zum Einstieg. Nach Reuters-Daten empfehlen derzeit 15 Analysten den Titel zum Kauf, vier raten zum Halten des Wertes, einer stuft ihn mit „Underperform“ ein. Verkaufsempfehlungen gibt es danach derzeit nicht.
An der Börse ist alles möglich
Auch jetzt liegen längst noch keine neuen verwertbaren Fakten auf dem Tisch, und der energische Widerspruch des Unternehmens gegen alle Gerüchte liegt nahe. Aber die heftigen Verkäufe von institutioneller Seite sollten auch die unentwegten Zocker mahnen, wenigstens diesmal auf weitere Fakten zu warten.
So problematisch die Vorwürfe auf Grundlage reiner Gerüchte sind - nicht erst mit Comroad sollten die Anleger gelernt haben, dass an der Börse schlicht alles möglich ist. Und alleine das macht den Titel derzeit zur heißen Kartoffel.
Kursverlauf der Thiel-Aktie in den vergangenen zwölf Monaten.
Text: @la
Bildmaterial: Thiel Logistik AG, dpa