Kreuzberg ist nicht Kiew In Berlin fand jetzt die vorerst letzte Montagsdemo statt - Ein trauriger Schlußpunkt der Anti-Hartz-Proteste von Torsten Thissen
Berlin - Sie tragen rote Zipfelmützen und einen weißen Bart. Eine Frau verteilt Ruten. Schließlich ist Nikolaus. Hinrich Garms vom "Bündnis gegen Hartz IV" klettert auf den kleinen Lieferwagen. Er schmeißt den Generator an, schüttelt ein paar Hände, nickt den Umstehenden zu. Garms lächelt aufmunternd. "Letztlich, bei einer Info-Veranstaltung zum Arbeitslosengeld II, sind noch hundert gekommen", sagte er. Das war in einem beheizten Raum, es ging um die "versteckten Fallen im Antrag". Heute geht es wieder darum, "den Protest auf die Straße zu bringen", wie Garms in diesem Demo-Deutsch sagt.
Es ist Dezember, es ist kalt, es ist morgens 10 Uhr bei Berlins vorläufig letzter Montagsdemo.
"Wir rechnen mit 80 Leuten", sagt Garms, "hat jemand Musik dabei?"
Roland Klautke hat es noch rechtzeitig geschafft. Irgendwer reicht ihm ein Nikolauskostüm und ein Flugblatt. Als Gewerkschaftler und Attac-Mitglied ist es ihm wichtig, daß der "Sozialraub" in seinen "weltweiten Auswirkungen" betrachtet wird. Er steht neben Hans-Andreas Schönfeldt, der lieber nur seine Ordnerbinde tragen möchte. Schönfeldt hat einen guten Draht zur Polizei, was bei den Großdemonstrationen im Sommer ziemlich wichtig war, wie er sagt. Damals, als er zwischen dem "schwarz-roten Block" unter den Demonstranten und den verschiedenen Hundertschaften vermitteln mußte. "Das war schon kritisch", sagt Schönfeldt. Ein Polizist fordert einen Demonstranten auf, hinter die Absperrung zu gehen, er redet von "Gefährdungspotential", der Mann von "Bewegungsfreiheit", der Polizist schüttelt den Kopf.
Schönfeldt sagt: "Heute ist es ruhig", Klautke sagt: "Wir sind nicht so viele wie in Kiew", und Garms sagt: "Wir gehen jetzt alle zum Kreuzberger Sozialamt, um symbolisch ein paar Anträge abzugeben." Etwa 60 Leute sind zur "Aktion St. Nikolaus" gekommen. Sie sind zuwenig und sie wissen das.
Christoph ist das egal. Eigentlich ist er ja "Netzwerkadministrator", hat Informatik studiert und ist jetzt arbeitslos. "Es gibt keinen Job", sagt Christoph. Er sagt auch, daß Bundesaußenminister Joschka Fischer früher Steine geschmissen hat und dünn war, daß die Regierung große Firmen verklagen sollte, wenn sie ins Ausland abwandern, daß er gegen den Euro, die Europäische Union und vor allen Dingen Gerhard Schröder ist. "Joschka Fischer sollte weniger essen und sich mehr bewegen. Ich mache weiter, bis Hartz IV kippt." Sein Transparent flattert im Dezemberwind. "Laßt uns mehr soziale Gerechtigkeit wagen", steht darauf.
Peter Grottian ist auch zum Kreuzberger Sozialamt gekommen. Der Professor an der Freien Universität Berlin ist wohl einer der erfahrensten Demonstranten der Republik. Er war schon bei den 68er Demos dabei, hat die Berliner zum Schwarzfahren angehalten und möchte, daß die Arbeitsagenturen besetzt werden. Grottian hat auch zwischen den beiden Berliner Initiativen "Weg mit Hartz IV" und "Montagsdemo gegen 2010" vermittelt, als die zu Beginn der Protestmärsche noch zwei Demonstrationen veranstaltet haben. Er sieht, wie sich sechs Nikolause mit ihren Ruten vor einem Schild des "Job Aktiv Centers" aufstellen, das im gleichen Gebäude wie das Sozialamt untergebracht ist. "Hilfen zur Arbeit, Arbeitsvermittlung, Berufsberatung, Sozialpädagogische Beratung und Fallmanager für arbeitslose Friedrichshainer und Kreuzberger im Alter von 18 bis 24 Jahren", steht auf dem Schild. Die Nikoläuse rascheln mit den Ruten. Grottian sieht ein bißchen verärgert aus. "Eigentlich sollten wir das nicht machen", sagt er und begrüßt den Chef des Sozialamtes Günter Wahrheit ("Wahrheit wie Lüge, angenehm") mit Handschlag. "Nein", sagt Grottian, es seien einfach zuwenig Menschen, die auf die Straße gingen. Demonstranten legen einen überdimensionierter ALG-II-Antrag auf den Bürgersteig. "Wo sind denn die betroffenen Massen?" fragt Grottian. Herr Wahrheit klopft ihm auf die Schulter. "Sie gehören nicht zu den Schlechten", sagt Grottian. Auf dem Lieferwagen greift ein Sozialhilfeempfänger das Mikrofon. Er spricht von Verarmung, sagt, daß er nicht unter der Brücke leben will und kein Verständnis für die "Ein-Euro-Zwangsarbeit" hat. "Wir sind das Volk", ruft der Sozialhilfeempfänger und steigt unter mäßigem Applaus vom Lieferwagen. Ein Kabarett-Duo zieht ein paar unschöne Parallelen zwischen Hartz IV und der Judenverfolgung bei den Nazis. Grottian sagt: "Wir können nicht nachlegen, das ist das Problem. Es ist frustrierend."
Kreuzberg ist nicht Kiew (2)
Hinrich Garms hat sich derweil einen Nikolaussack gegriffen, weil Herr Wahrheit nun symbolisch die Anträge bekommen soll. Die Leute drängen sich um den kleinen Sozialamtschef, der sich in den nächsten paar Minuten beschimpfen lassen muß. Es geht um Datenschutz und Prüfverfahren und um die Hilfsblätter zum Ausfüllen der Anträge, die Herr Wahrheit wohl vergessen hat, in ausreichender Menge in seiner Behörde auszulegen. Der Netzwerkadministrator Christoph ist sehr zufrieden, als Herr Wahrheit auf seine Frage "Finden Sie Hartz IV gut?" mit "Nein, als Bürger bin ich dagegen" antwortet. Als ein Betrunkener ihn "Herr Bürgermeister" nennt und ein Student ihn "Arschloch" nennt, weil er doch der "Boß" hier ist, geht der Sozialamtsleiter wieder rein. "Ich wollte ihn eigentlich nur beleidigen", sagt der Student, und die vorerst letzte Montagsdemo in der Hauptstadt ist beendet.
"Ich fühlte mich im Sommer an die Wendezeit erinnert", sagt Hans-Andreas Schönfeldt. Damals habe er auch das Gefühl gehabt, etwas bewegen, etwas ändern zu können. "Vielleicht flackern die Proteste ja noch einmal im Februar/März auf. Ich weiß nicht." Eine andere Demonstrantin, der man schon einen Job für 1,50 Euro in der Stunde angeboten hat, sagt es so: "Es ist eine bittere Erfahrung. Ein Gefühl, wie wenn man gegen Wände läuft. In der DDR war der Protest nicht erlaubt, nun darf man, aber niemand hört einen." Die Demonstranten packen die Kostüme weg. "Das war's", sagt einer.
Artikel erschienen am Di, 7. Dezember 2004
AB JANUAR BRENNT DIE HÜTTE!
OB DER ROSSTÄUSCHER AUS HANNOVER DANN INS "POLITISCHE" EXIL NACH CHINA GEHT? vielleicht deshalb das verprassen von steuergeldern, für dessen chinesischen privaturlaub?
die verträge der industrie werden nich von einem spdisten gemacht!
gruß greenlies
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