Handwerker aus Osteuropa drängen auf den deutschen Markt – oft als Scheinselbstständige
Die deutschen Badezimmer müssen in einem erschreckend schlechten Zustand sein. Zumindest sehen Fliesenleger hierzulande jetzt erstaunlich gute Perspektiven – und gründen massenhaft Unternehmen. Die Handwerkskammer Düsseldorf etwa registrierte im vergangenen Jahr fast 15-mal so viele neue Betriebe wie in den Jahren zuvor: Die Zahl der Firmengründungen stieg von durchschnittlich 70 auf 1120. Doch die Jungunternehmer leben offenbar bescheiden. Erstaunt stellte die Kreishandwerkerschaft fest: Insgesamt 57 der neuen Selbstständigen sind in derselben Wohnung im nahe gelegenen Neuss gemeldet. Sie stammen allesamt aus Polen.
So hat sich Wolfgang Clement das vermutlich nicht vorgestellt. »Wir brauchen in unserem Land mehr Menschen, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. Dazu braucht es Mut und Risikobereitschaft, Einsatzbereitschaft und Leidenschaft«, sagt der Wirtschaftsminister bei jeder Gelegenheit. Tatsächlich entstanden im vergangenen Jahr allein im Handwerk insgesamt 40700 neue Betriebe – eine Steigerung um 4,8 Prozent. Nur stammen diejenigen, die da Mut zum Risiko beweisen, oftmals nicht aus Deutschland.
Zwei Dinge machten das Gründungsfieber der Osteuropäer möglich: die EU-Erweiterung und die Änderung des Handwerksrechts, das jetzt in vielen Berufen auch Menschen ohne Meistertitel die Firmengründung erlaubt.
Am 1. Mai 2004 traten acht osteuropäische Länder der Europäischen Union bei. Deren Bürger können nun, wie Franzosen oder Italiener, nach Deutschland einreisen und hier leben. Allerdings dürfen sie sich keine regulären Jobs suchen, das hatte sich die Bundesregierung wegen der hohen Arbeitslosigkeit ausbedungen. Spätestens 2011 fällt auch diese Beschränkung, erstmals überprüft wird sie 2006. Wer aber in Deutschland ein Unternehmen gründen möchte, darf das schon heute. Denn in der gesamten EU herrscht Niederlassungsfreiheit.
Bereits vor der Osterweiterung, im Januar 2004, trat die Reform der Handwerksordnung in Kraft. Sie befreite 53 der 94 Handwerksbranchen vom »Meisterzwang«: In diesen Berufen – etwa als Gebäudereiniger oder Fliesenleger – kann sich nun jeder selbstständig machen. Das entfachte bereits zum Jahresbeginn einen Gründerboom. Denn nicht nur Polen oder Tschechen profitieren von der Deregulierung, sondern auch Deutsche. »Jeder arbeitslose Friseur kann nun einen Betrieb als Fliesenleger gründen«, sagt Karl Robl, der Hauptgeschäftsführer beim Zentralverband des Deutschen Baugewerbes ist. Wer sich in den nun zulassungsfreien Berufen niederlässt, braucht noch nicht einmal mehr eine entsprechende Lehre. Das begünstigt nicht nur die deutschen Ich-AGs, sondern auch Ausländer auf der Suche nach Arbeit.
Vor allem in Düsseldorf und Hamburg, Frankfurt und München ist die Zahl der Handwerker aus Osteuropa stark gestiegen. Was allerdings nicht heißt, dass sie erst seit kurzem in Deutschland arbeiten. Viele renovieren womöglich schon seit Jahren deutsche Häuser und Wohnungen, vermutet Robl. Bisher erledigten sie das schwarz, neuerdings ganz legal – wobei sie sich vermutlich nicht aufs Fliesenlegen beschränken. Robls Sorge: Jetzt, wo sie legal hier arbeiten können, wird sich die Zahl der ausländischen Kleinunternehmer noch erhöhen. Denn das Wohlstandsgefälle macht Jobs in Deutschland attraktiv. In Polen verdienen Handwerker gerade mal ein Fünftel des deutschen Stundenlohns, zudem beträgt die Arbeitslosenquote fast 20 Prozent. Und im Baltikum liegen die Löhne sogar nur halb so hoch wie in Polen.
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Das Inserat erschien in litauischen Zeitungen, und auch an das Arbeitsamt in Vilnius wandte sich der Chef der Putzkolonne: Gesucht waren Reingungskräfte zum Einsatz in westdeutschen Hotels. Es fanden sich mindestens 25 Mitarbeiterinnen. Für täglich bis zu 15 Stunden Arbeit bekamen sie 700 Euro – abzüglich 200 Euro für Unterkunft und Verpflegung. Ihr Chef umging das Beschäftigungsverbot für Menschen aus den EU-Beitrittsländern und ignorierte gleichzeitig das deutsche Arbeitsrecht. Denn er hatte seine Mitarbeiterinnen allesamt als Selbstständige angemeldet, obwohl sie das gar nicht waren. Jetzt kümmert sich die Frankfurter Staatsanwaltschaft um den Fall.
»Da wird Schindluder ohne Ende getrieben«, sagt Johannes Bungart, Geschäftsführer beim Bundesinnungsverband des deutschen Gebäudereiniger-Handwerks. In seiner Branche sind im vergangenen Jahr über 7000 neue Betriebe entstanden. Je nach Region kamen zwischen 25 und 100 Prozent der Existenzgründer aus den neuen EU-Ländern; in Kassel etwa waren alle aus Osteuropa. Bungarts Vermutung: Es handele es sich – wie im Frankfurter Fall – vor allem um Scheinselbstständige, die von windigen Firmen unter üblen Bedingungen zum Putzen geschickt werden.
Für die Zukunft befürchtet Bungart sogar einen weit größeren Ansturm von Osteuropäerinnen. Denn noch gilt bei den Gebäudereinigern wie auch im Baubereich eine Ausnahmeregel: Sie schützt die beiden Branchen zwar nicht vor Einzelunternehmern ohne Angestellte, wohl aber vor ausländischen Firmen, die ihre Billiglöhner gleich mitbringen. Die beiden Bereiche bieten Arbeitsplätze für Menschen mit geringer Qualifikation, gleichzeitig ist der Anteil der Personalkosten sehr hoch. Sie sind also besonders anfällig für Dumping-Konkurrenz aus dem Ausland. Deshalb ist die EU-interne Dienstleistungsfreiheit in diesen Branchen noch eingeschränkt: Zwar darf beispielsweise ein polnisches Reinigungsunternehmen hier Aufträge übernehmen, aber es muss dabei seine Mitarbeiterinnen nach deutschen Tarifen bezahlen.
Im Fleischerhandwerk ist das anders. Dort, wie in den allermeisten Branchen, gilt die Ausnahmeregel nicht. Osteuropäische Unternehmen können deshalb ganze Kolonnen von Mitarbeitern in deutsche Schlachthöfe schicken. Und sie wie zu Hause billig entlohnen. In Lübeck machte kürzlich ein entsprechender Fall Furore: In der Norddeutschen Fleischzentrale trafen über vierzig Mitarbeiter einer ungarischen Firma ein. Sie ersetzten die deutschen Arbeitskräfte, die einer Lohnsenkung nicht zugestimmt hatten. Der Vorgang war legal.
Kein Wunder, dass die Baubranche und die Gebäudereiniger darum kämpfen, ihre Sonderregelung zu bewahren. Denn solange nur osteuropäische Einzelunternehmer und nicht gleich ganze Betriebe mit ihren billigen Mitarbeitern nach Deutschland kommen dürfen, ist das Problem noch relativ überschaubar. Baufunktionär Robl erinnert sich gut an die neunziger Jahre, als angeblich selbstständige Briten und Portugiesen zu Dumpinglöhnen auf hiesigen Baustellen arbeiteten. Sie haben das Land längst wieder verlassen. Denn: »Inzwischen steht die Baukonjunktur in England oder Portugal viel besser da als bei uns.«
Bleibt also zu hoffen, dass die Wirtschaft auch in Osteuropa bald floriert. Zum Thema
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