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- Die Legitimation von S 21 -

 

Es stimmt, daß S 21 mit Mehrheiten in den entsprechenden Gremien beschlossen wurde. Es stimmt aber auch, daß diesen Gremien die wahre Dimension dieses Projekts, seiner technischen und finanziellen Schwierigkeiten, wenn nicht gar Unmöglichkeit, bewußt verschwiegen wurde.

 

Bis zum heutigen Tag liegen Wirtschaftlichkeitsberechnungen der DB AG - insbesondere zur Neubaustrecke Wendlingen-Ulm - nicht vor. Die Entscheidungen wurden damit auf einer unrichtigen Tatsachengrundlage getroffen. Aufgrund der Mehrheiten im Land fand eine Kontrolle im Parlament nicht statt; die Legitimät ist damit eine reine formale, sie steht auf tönernen Füßen.

 

An dieser Stelle ist auch an das von Herrn Oberbürgermeister Schuster gebrochene Versprechen zu erinnern, die Bürger von Stuttgart zu befragen, falls es zu einer Erhöhung der auf die Stadt Stuttgart entfallenden Kosten käme.

 

- Die Überprüfung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens durch Gerichte -

 

Die Befürworter führen hierzu an, die Gerichte hätten dieses Bürgerbegehren nicht zugelassen. Dies trifft so nicht zu: Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat lediglich mit Urteil vom 17.07.2009 entschieden, ein Bürgerbegehren sei nicht mehr zulässig, nachdem sich die Stadt Stuttgart entgegen dem mit dem Bürgerbegehren angestrebten Ausstieg vertraglich zu einer Beteiligung an der Finanzierung verpflichtete hatte.

 

Entgegen dem gemachten Versprechen hatte die Stadt unter der Führung ihres Oberbürgermeisters vollendete Tatsachen geschaffen, die dazu führten, daß das Bürgerbegehren als unzulässig zu beurteilen war. Keineswegs hat das Verwaltungsgericht aber entschieden, ein vom Gemeinderat zugelassenes Bürgerbegehren sei unzulässig und noch weniger, daß der Gemeinderat durch Gesetz und Recht daran gehindert sei, eine Bürgerbefragung durchzuführen.

 

- Die Überprüfung des Projekts durch Gerichte -

 

Gleiches gilt für die gerichtliche Überprüfung - in letzter Instanz durch den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - der Planfeststellungsbeschlüsse des Eisenbahnbundesamts.

 

Durch das Gericht findet lediglich eine Überprüfung dahingehend statt, ob durch den Inhalt des Planfeststellungsbeschlussens das planerische Ermessen übeschritten wurde:

 

"Für die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Planfeststellungsbeschlüssen ..... gilt daher, daß die planerische Gestaltungsfreiheit der gerichtlichen Kontrolle Grenzen setzt. Das Gericht darf nicht seine Abwägung an die Stelle der behördlichen Abwägung setzen. Die Verwaltungsgerichte haben zu prüfen, ob die Planung - so wie sie die Verwaltung vorgenommen hat - rechtsfehlerhaft ist; sie haben dagegen weder selbst zu planen noch zu prüfen, auf welche Weise rechtsfehlerfrei hätte geplant werden können" (Schütz in Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004).

 

Eine Überprüfung des Projekts S 21 auf inhaltliche Richtigkeit hat also gerade nicht stattgefunden.

 

Gleichwohl hat der Vewaltungsgerichtshof festgestellt (zitiert aus der Pressemitteilung vom 06.April 2006, die die mündliche Urteilsbegründung zusammenfasst):

 

"Beim Vergleich der Alternativen verkenne der Planfeststellungsbeschluß nicht, daß "S 21" deutlich umfassendere und tiefer reichende Eingriffe in das Privateigentum, in denkmalgeschützte Gebäude und Anlagen, in das Grundwasser, in Natur und Landschaft und weitere geschützte Rechtsgüter verursache, die nur zu einem Teil durch die zahlreichen im Planfeststellungsverfahren vorgesehenen Auflagen minimiert oder ausgegelichen werden könnten. Daß "K 21" insoweit eindeutig vorzugswürdig sei, verleihe dieser Alternative bei einem Gesamtvergleich mit "S 21" aber kein eindeutiges Übergewicht".

 

- Keine Verpflichtung S 21 zu realisieren -

 

Es gibt auch keinerlei Rechtsgrundsatz, daß einmal durch demokratisch getroffene Entscheidungen beschlossene Projekte wider neue und bessere Erkenntnisse realisiert werden müßten, wie uns die Befürworter Glauben machen wollen; das Gegenteil ist richtig. Von einer Gefährdung des Rechtsstaats kann keine Rede sein.

 

An dieser Stelle sei an die in Artikel 87e GG konkretisierte Verpflichtung des Bundes erinnert:

 

" Der Bund gewährleistet, daß dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird."

 

Nachdem die Finanzierung der Neubaustrecke unstreitig noch nicht geklärt ist - die Kosten noch nicht einmal annährungsweise festliegen - zwei von sieben für den tiefergelegten Bahnhof notwendigen Planfeststellungsbeschlüssen bislang nicht gefasst sind, der tiefergelegte Bahnhof ohne Neubaustrecke nicht angefahren werden kann und es unstreitig noch keine Planung für die Signalanlagen in den Tunnelbauten gibt, kommt der Bund dieser Verpflichtung nicht nach!

 

Ein Einhalten und damit eine vollständiger Bau- und Vergabestop sind deshalb zwingend geboten. Dies nicht zu tun, ist eine Veruntreuung von Steuergeldern, von bundeseigenem und damit Vermögen aller Bürger dieses Landes.

 

- Pacta sunt servanda? - über die Möglichkeit aus Verträgen ohne Schaden herauszukommen -

 

Die Befürworter wollen glauben machen, die geschlossenen Verträge müßten eingehalten werden, sonst drohten Schadensersatzansprüche in einer Höhe, die keine andere Wahl ließen, als S 21 - wider besseres Wissen? - durchzuführen.

 

Zuerst einmal haben die Befürworter zu keinem Zeitpunkt offengelegt (bis auf die Finanzierungsvereinbarung vom 02. April 2009), um welche Verträge es sich handelt; nach Kenntnis der Unterzeichner ist z.B. die Vergabe der Arbeiten zur Verlegung des Nesenbachdükers mangels Abgabe von Angeboten gescheitert.

 

Zum Zweiten haben die Befürworter in der genannten Finanzierungsvereinbarung in § 2 Absatz 2 in vorausschauender Weise bestimmt, daß "jegliche weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit dem qualifizierten Abschluß des Projekts" abbedungen werden - gemeint sind Schadensersatzansprüche und solche auf entgangenen Gewinn. Fall sie eine solche Klausel in andere - bislang den Unterzeichnern nicht bekannten - Verträgen nicht aufgenommen haben, so muß dies angesichts des auch den Befürwortern ersichtlichen Risikos eines Scheiterns von S 21 als fahrlässig, kundiger juristischer Vertragsgestaltung und kaufmännischer Vorsicht nicht entsprechend bewertet werden.

 

Zum Dritten ist jedem Juristen das Rechtsinstitut vom Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB bzw.§ 60 VwVfG) bekannt, das für den Fall, daß sich tatsächliche Umstände nach Vertragsschluß wesentlich ändern, der hiervon benachteiligten Partei ein Recht zum Rücktritt vom Vertrag einräumt.

 

Viertens weiß jeder Jurist - und die meisten anderen Menschen auch -, daß Verträge einvernehmlich aufgehoben werden können. Zu welchen Konditionen, ist Verhandlungssache, falls - siehe oben - dieser Fall nicht bereits vorausschauend in den jeweiligen Verträgen geregelt wurde.

 

Angesichts des Umstands, daß letzlich alle Beteiligten (auch die im Eigentum des Bundes stehende DB AG) Vertragsparteien sind, die - jedenfalls zum größten Teil - aus Steuern finanziert werden - der Schuldner also letzlich immer der Steuerzahler ist -, dürften diese Verhandlungen (falls der politische Wille vorhanden ist) nicht allzu schwierig sein.

 

Schließlich dürfte es sich bei den meisten in Rede stehenden Verträgen (Bau-, Architekten und sonstigen Planungsverträgen) um sogenannte "Werkverträge" handeln, bei denen dem Auftraggeber das "freie", ohne Angabe von Gründen auszuübende Kündigungsrecht des § 649 BGB (§ 8 Nr. 1 VOB/B) zusteht.

 

Im Falle einer Kündigung durch den Auftraggeber steht dem Auftragnehmer - also z.B. dem Architekten, Bauunternehmen, Handwerker - ein Anspruch auf die vereinbarte Vergütung zu, er muß sich aber das (anspruchsmindernd) anrechnen lassen, was er sich an Aufwendungen erspart. Anders herum gewendet hat er Anspruch auf seinen Gewinn. Sein Anspruch ist also von vorneherein wesentlich geringer als der volle Werklohn. Bedenkt man nun noch - was alle mit Baurecht befassten Juristen wissen - daß Angebote oftmals so knapp kalkuliert sind, daß kein Gewinn anfällt (um den Zuschlag zu erlangen) und daß erst aufgrund von Nachträgen oder Eventualpositionen "verdient wird", dann zeigt sich, daß dieses fianzielle Risiko tatsächlich ein sehr kleines ist.

 

Die Berechnung der Ausstiegskosten ist bereits ohne Beachtung der vorstehenden Ausführungen unseriös und überhöht. Unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen ist die Behauptung der Befürworter, es drohten unabsehbare Schadensersatzansprüche, nicht haltbar. Es liegen konkrete Gegenrechnungen vor, die zu weit geringeren Beträgen kommen.

 

- Bürger schützt eure öffentichen Anlagen vor der Polizei -

 

Unseren Ausführungen zum Einsatz der Polizei und der gewaltsamen Räumung des Mittleren Schloßgartens in Stuttgart am 30.09.2010 ist vorauszuschicken, daß einige der Unterzeichner dabei waren und sich ein eigenes Bild von dem rechtswidrigen und unverhältnismäßigen Einsatz der Polizei machen konnten; die, die dabei waren sind erschüttert darüber, daß ein solches Vorgehen in Deutschland, insbesondere in Stuttgart, das für besonnene Polizeieinsätze bekannt war, angeordnet wurde. Erschreckend sind die Versuche, das brutale Vorgehen der Polizei durch "Provokationen" zu rechtfertigen. Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt:

 

Bei der rechtlichen Bewertung der Räumung ist von der in Artikel 2 des GG geschützten Allgemeinen Handlungsfreiheit auszugehen: Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. Dieses Recht umfaßt sicherlich auch das Recht, sich in einer öffentlichen Anlage aufzuhalten, solange man sich an die Parkordnung hält. Am 30.09.2010 war der Mittlere Schloßgarten eine öffentliche Anlage, eine Umwidmung in eine nicht mehr der Allgemeinheit zur Verfügung stehende Fläche ist nicht erfolgt, jedenfalls nicht kundgetan.

 

Mit welcher Berechtigung wurde der Befehl gegeben, diese öffentliche Anlage - oder auch nur einen Teil - zu räumen? Von einer Polizeiverfügung war nicht einmal in der Pressekonferenz des Polizeipräsidenten am 05. Oktober 2010 die Rede, sodaß nicht weiter erörtert werden kann, ob eine solche Polizeiverfügung rechtmäßig gewesen wäre.

 

Hier liegt auch der grundlegende Unterschied zu den Polizeiaktionen, die den Abriß des Nordflügels des Bahnhofs ermöglichten: Der Bonatz Bahnhof steht im Eigentum der Bahn, die deshalb Ihr Hausrecht ausüben kann.

 

Aber auch wenn wir an diesem Punkt unterstellen, es gäbe eine Rechtsgrundlage für die Räumung eines Teils des Parks, wäre die Räumung per se rechtswidrig, da die Schülerdemo bis um 17 Uhr im Mittleren Schloßgarten angemeldet war. Mit der Störung dieser Versammlung durch den Einsatz von Wasserwerfern, Reizgas, Pfefferspray, Schlagstöcken, Rempeleien und so weiter, ist der Straftatbestand des § 21 Versammlungsgesetz B-W durch die Polizeiaktion erfüllt.

 

Der Jurist weiß, daß ein Blick ins Gesetz der Rechtsfindung dient:

 

Nach § 1 Polizeigesetz B-W hat die Polizei die Aufgabe, von dem einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht ist, und Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu beseitigen, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist. Sie hat insbesondere die verfassungsmäßige Ordnung und die ungehinderte Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte zu gewährleisten.

 

Gemäß § 2 Absatz 2 Polizeigesetz B-W obliegt der Polizei der Schutz privater Rechte nach dem Polizeigesetz B-W nur auf Antrag des Berechtigten und nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Gefahr besteht, daß die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird.

 

Bei dem Projekt S 21 handelt es sich - was die Befürworter nicht müde werden zu wiederholen - um ein Projekt der DB AG, einer juristischen Person des Privatrechts. Ein Recht zu Bauen gibt es so nicht, es ist aber von der Eigentumsgarantie des Artikel 14 GG umfasst. Es handelt sich damit um ein privates Recht.

 

Die DB AG hätte deshalb einen zivilrechtlichen Räumungstitel (nötigenfalls zuvor eine einstweilige Verfügung) erwirken müssen, der dann hätte vollstreckt werden. Dies hat die Bahn nicht getan, sie hat es nicht einmal versucht. Sie hätte einen Räumungstitel auch erst erwirken können, nachdem sie das Nutzungsrecht am Mittleren Schloßgarten innehatte, also erst ab dem 01.10.2010. So hat sich die Polizei rechtswidrig zum Erfüllungsgehilfen der privaten Bauabsichten der Bahn machen lassen; das also hat Herr Grube im Sinn gehabt, als er äußerte, es gebe kein Demonstrationsrecht gegen sein Projekt!

 

Zum - leider nicht guten - Schluß ist noch darauf hinzuweisen, daß auch bei Außerachtlassung aller vorstehend genannten Argumente, das Handeln der Polizei rechtswidrig war:

 

§ 5 Polizeigesetz B-W bestimmt, daß die Polizei unter mehreren Maßnahmen diejenige zu treffen hat, die den einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Durch eine polizeiliche Maßnahme darf kein Nachteil herbeigeführt werden, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.

 

Der erste Einsatz von Wasserwerfern nach mehr als 30 Jahren in Stuttgart, um normale Bürger - auch ältere und ganz junge - zum Verlassen eines Geländes zu bewegen, das durch einen Privaten bebaut werden soll, verstößt mit Sicherheit gegen diese Gebot.

 

- Appell an die Befürworter von S 21 -

 

Wir fordern einen sofortigen Bau- und Vergabestop und die Aufnahme von Gesprächen unter Offenlegung der bislang geheim gehaltenen Wirtschaftlichkeitsberechnungen und bereits geschlossenen Verträge.

 

Wir fordern die Zerstörung unserer Stadt einzustellen und wieder zur Vernunft zurück zu kehren.

 

Wir hoffen, die Spaltung unter den Bürgern dieser Stadt überwinden zu können.

 

Wir wünschen uns, daß Politik wieder für und nicht gegen die Bürger gemacht wird, denn: Alle Macht geht vom Volke aus (Artikel 20 Absatz 2 GG).