Entschließung der Mitgliederversammlung des Projekts "Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V."am 22.10.1999 in Rastatt zur Entschädigung von Zwangsarbeit
Nahezu 10 Millionen Bürgerinnen und Bürger der von Deutschland während des 2. Weltkriegs besetzten Länder sind dazu gezwungen worden, in deutschen Firmen, in der Landwirtschaft und in Kommunen ohne oder nur mit geringer Bezahlung und vielfach unter bedrückenden und erniedrigenden Lebensverhältnissen zu arbeiten. Dadurch ist in brutaler Weise mit langandauernden Nachwirkungen in ihr Leben eingegriffen worden. Unbeschadet von Leistungen durch die Bundesrepublik ist Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern von den Institutionen und Firmen, bei denen sie arbeiten mussten, eine Anerkennung des erlittenen Leids nicht zuteil geworden. In Entschließungen des Deutschen Bundestages vom 31. Oktober 1990 und vom 24. Februar 1994 wurden die deutsche Wirtschaft und insbesondere diejenigen Unternehmen, in denen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter tätig waren, aufgefordert, zu den bestehenden Entschädigungsstiftungen finanzielle Beiträge zu leisten. Dieser Aufforderung folgte keines der Unternehmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt hatten.
Einzelne Unternehmen haben aus eigener Verantwortung mit Entschädigungsleistungen begonnen. Im übrigen aber hat erst nach viel zu langem Zögern und leider erst unter wachsendem Druck von Klageandrohungen und öffentlichen Äußerungen - insbesondere in den USA - ein Umdenken begonnen, das bei einigen Firmen zu konkreten Schritten geführt hat. So haben einzelne Unternehmen entsprechende Fonds gegründet und mit Zahlungen begonnen. Beispielsweise zahlt die Volkswagen AG an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter jeweils DM 10.000,-. Ebenso haben bereits in einigen wenigen Fällen mittelständische Unternehmen in vergleichbarer Weise reagiert.
Zu begrüßen ist, dass sich auch die Bundesregierung des Themas angenommen hat. Sie unterstützt eine den gesamten wirtschaftlichen Bereich umfassende Stiftungslösung. Im Zuge dieser Bemühungen haben sich zunächst 16 deutsche Unternehmen bereit erklärt, in einer Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ihrer Verantwortung gerecht zu werden und den Betroffenen eine Entschädigung zukommen zu lassen. Die Verhandlungen zwischen den Vertretern der Stiftungsinitiative, osteuropäischen, amerikanischen und deutschen Regierungsvertretern und Repräsentanten verschiedener Opferverbände sowie amerikanischen Klägeranwälten über die Höhe einer Zahlung haben bisher jedoch nicht zu einem greifbaren Ergebnis geführt. Der zunächst angekündigte Auszahlungstermin zum 1. September 1999 konnte nicht eingehalten werden.
Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft hat bei der letzten Verhandlungsrunde am 6. und 7. 10. 1999 in Washington einen Betrag von vier Milliarden DM, die Bundesregierung für eine von ihr noch zu errichtende Stiftung einen Betrag von zwei Milliarden DM angeboten, die über eine gemeinsame Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft ausgezahlt werden sollen. Die Forderungen einzelner Anwälte betragen demgegenüber ein Vielfaches. Die Mitgliederversammlung der Vereinigung "Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V." schlägt eine Summe von insgesamt zehn Milliarden DM vor, die im Verhältnis 2 zu 1 von den Unternehmen und dem Bund getragen wird. Sie würde Leistungen auf einem Niveau ermöglichen, wie sie bereits von der Siemens AG und der Volkswagen AG erbracht werden. Diese Summe überfordert die Wirtschaft insbesondere dann nicht, wenn sich der Stiftung alle Unternehmen anschließen, die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigt haben. Da die Beiträge zur Stiftung als Betriebsausgaben von der Steuer abzusetzen sind, belasten sie die Unternehmen darüber hinaus mit einer deutlich geringeren Summe und erhöht den Anteil, der direkt und indirekt vom Steuerzahler aufgebracht werden soll.
Ein Scheitern der Verhandlungen würde den Druck auf die Unternehmen außerordentlich verstärken und die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik nachhaltig belasten. Deswegen sollte von allen Seiten alles unterlassen werden, was die Erfolgsaussichten der bisher geführten Verhandlungen gefährden kann.
Wir appellieren an die deutschen Unternehmen, nicht länger mit einer Beteiligung an der Stiftung zu zögern, sondern sich großzügig an diesem Gemeinschaftswerk zu beteiligen. Wir appellieren an die Repräsentanten von BDI und BDA, dazu nicht länger zu schweigen, sondern sich öffentlich und entschieden zu engagieren. Wir danken dem Bundespräsidenten, dass er sich für die Ziele der Verhandlungen wiederholt eingesetzt hat und bitten ihn, auch weiterhin an die deutsche Wirtschaft zu appellieren, sich an dem Werk zu beteiligen. Wir gehen dabei davon aus, dass die Honorarwünsche der beteiligten Anwälte dem humanitären Charakter des Anliegens entsprechen.
Im Interesse der Betroffenen, die gerade in den Staaten Osteuropas unter bedrückenden und teilweise menschenunwürdigen Umständen ihren Lebensabend verbringen müssen, appellieren wir an alle Beteiligten, insbesondere an die Vertreter der Unternehmen, unverzüglich zu einer Einigung zu gelangen. In jedem Monat, der ohne eine Einigung verstreicht, sterben Hunderte von Betroffenen, ohne dass sie nur die geringste Leistung erhalten haben. Eine für beide Seiten akzeptable Einigung würde durch die Teilnahme weiterer Unternehmen an der Stiftungsinitiative erleichtert. Wir appellieren daher eindringlich an alle großen und mittelständischen Unternehmen, in deren jetzigen oder ehemaligen Unternehmen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigt waren, sich ebenfalls an einer Stiftungslösung zu beteiligen.
Als weiterer Schritt muss unverzüglich der Gesetzentwurf zur Gründung einer Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft eingebracht werden. Ein weiterer Zeitverlust bei der Umsetzung dieses Vorhabens wäre aufgrund des hohen Lebensalters der Betroffenen unverzeihlich.
|