Britische Ängste Verzeiht Deutschland Hitler? Von Gina Thomas, London
31. August 2004 Lange bevor Bernd Eichingers Film über Hitlers letzte Tage dem britischen Publikum zugänglich gemacht wird, findet "Der Untergang" in den Medien großes Interesse. Die britischen Verleiher wollen die Reaktion bei der Weltpremiere in Toronto am 14. September abwarten, bevor sie die Rechte kaufen, doch melden die Produzenten in München, daß kein deutscher Film bei der angelsächsischen Presse bislang so viel Aufmerksamkeit gefunden hat wie dieser.
In den nächsten Tagen werden Berichte in der "Financial Times" und in der "Times" erscheinen. Der "Daily Telegraph" hat dem Projekt schon eine groß aufgemachte Seite mit der Überschrift "Deutschland bricht das Hitler-Tabu" gewidmet. Der Film werde wahrscheinlich eine Kontroverse vom Zaun reißen, wenn er in den deutschen Kinos anläuft, meldete die Berliner Korrespondentin. Sie hebt hervor, daß Eichinger der Sohn eines Wehrmachtsoldaten sei, und zitiert ihn mit der Bemerkung, daß der Film für viele Deutsche, die noch vom Zweiten Weltkrieg traumatisiert seien, eine "emotionale Befreiung" darstellen werde.
Hilft die Debatte den Revisionisten?
"Der Untergang" wird vom "Telegraph" in Zusammenhang gesetzt mit "populären Büchern und historischen Analysen dessen, was die Deutschen während der alliierten Luftangriffe auf Dresden und andere Städte erlitten haben". Über das Thema, behauptet das Blatt, sei in Deutschland bisher so gut wie nicht diskutiert worden. Der Artikel weist auf kritische Stimmen hin, die meinen, die Debatte drohe den Revisionisten, die das Verbrechen des Holocaust hinunterspielen, in die Hand zu arbeiten.
Obwohl unterschwellig die alten britischen Klischees über Hitler und Deutschland zu spüren sind, haben die britischen Medien bislang weitgehend auf eine eigene Wertung des Filmes verzichtet. Die Ausnahme bildet die "Daily Mail", die mit einem reißerischem Titel auf der ersten Seite in die übliche Kerbe schlug: "Verzeiht Deutschland endlich Hitler?"
Sorge um die deutsche Psyche
Im Artikel wird auf Kritiker des Eichinger-Filmes hingewiesen, die warnen, daß er Hitler in der deutschen Psyche rehabilitiere. Als Beispiel für die Hitler-Welle werden neben den Touristen, die zu den "Stätten der Infamie" pilgerten, die zahlreichen Bücher zu Hitler genannt sowie die regelmäßigen "Spiegel"-Titelgeschichten über die Nazis, mit denen das Magazin "die Gaumen errege", um die Auflage zu steigern. Es sei kein Zufall, daß die Faszination für Hitlers Hinterlassenschaft begleitet werde von einer Verdoppelung neonazistischer Websites.
Gewiß, so gesteht der Autor, untersage das deutsche Gesetz die Verbreitung von NS-Propaganda oder das Leugnen des Holocaust. Aber es könne nicht Vorschriften über die Emotionen des einzelnen erlassen. Glanzvolle Fotos, packende Texte und nun auch Filme könnten das Bild des Bösen verzerren und "bei manchen eine tränenverschleierte Sehnsucht nach einer stolzen, aber schrecklichen Vergangenheit beschwören", lautet der ominöse Schlußsatz.
Diesem Argument zufolge müßten allerdings auch die Briten gefährdet sein. Schließlich waren es britische Touristen, deren Bus kürzlich auf dem Weg nach Berchtesgaden verunglückte. Und das Verlagswesen des Vereinigten Königreichs ist in Sachen Hitler kaum weniger produktiv als das deutsche. Zu den vielen Neuerscheinungen der letzten Monate gehört auch die Übersetzung von Joachim Fests Buch, "Der Untergang", das zusammen mit Traudl Junges Erinnerungen dem Film als Vorlage diente. Beide Bücher sind in Großbritannien stark beachtet worden.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.08.2004, Nr. 202 / Seite 37
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