Langfristig sprechen wir über das gleiche, denn wenn die Börse sich langfristig komplett von jeder fundamentalen Wirtschaftslage entkoppelt, dann können wir alle ins Casino gehen. Kurzfristig kann das sein und es muss auch nicht immer bedeuten, dass es dann massiv crashed. Börse verhandelt Erwartungen und nur weil ein Unternehmen in einem Jahr Minus schreibt und kein sinnvolles oder gutes KGV hat, muss der Kurs nicht einbrechen wie sau. Und das ist etwas, was mich untreibt. Ich finde gar nicht, dass alle Unternehmen im Moment massiv überbewertet sind, unterbewertet kaum eines (wobei relativ schon). Bei BASF, wenn ich auch die Gesamtlage anguckend, der Kurs im Moemnt fair. Leute, die hier <40 € schreien, ignorieren, was für eine Asset so ein Verbundstandort in der Basischemie ist. Ich lasse ich mal prügeln und sage, z.B. auch VW deutlich unter den jetzigen Kursen ist eigentlich eine Übertreibung, auch wenn vordergründig (Führungskrise, Produktpalettenkrise, Verluste im Q2 und vielleicht sogar im Jahr, Überkapazität Verbrenner) erst einmal viel dafür spricht. Und wenn ich schon um Prügel bettel, dass ist keine Aussage über das Potential der Unternehmung selber: Tesla ist absurd überbewertet...
Aber um Deine Frage zu würdigen. Als (Teil-) VWLer, der sich berufsbedingt mit einigen Märkten beschäftigt, treibt mich das auch um. Und bedenke, den Fehler hat die VWL lange gemacht, z.T. immer noch: Finanzmärkte sind mittlerweile Märkte, keine Hilfsmärke. Sie sind genauso fundamental wie Ölmärkte, Getreidemärkte, Goldmärkte, der Markt für Möbel usw. Konsequenterweise müsste man damit die Entwicklung an den Kapitalmärkten und Börsen in Inflationsindices einbauen (weil Aktien im Grunde ein Nachfragegut sind) und dann würde wir auch sehen, dass wir schon inflationäre Tendenzen durch die Geldpolitik haben (Freundliche Grüße an die haifisch US Bäen und Sentiment Leute an dieser Stelle)
Die einfachste Antwort ist, mache Dir eine Risiko- Chancenscorecard, um die Szenarien einzuschätzen (also Themen, die in einer Periode das Wachstum steigern oder senken können mit ihrer Potentiellen Wirkung). Ich komme auf fünf herausragende Themen:
1.) Relativ unspektakulär: Wann und wie wird eine effektive Bekämpfung von Covid möglich: Best case Ende des Jahres, wenn die, erstaunlicherweise an den Börsen eher ignorierten, Fortschritte der Oxforder, im Moment imo die größte Hoffnung, sich bestätigen. Dann sehen wir mit all den Programmen 2021 schon einen nachhaltigen Rebound und dann sollte sich der Markt bestätigen. Das wäre das gesteckte V, was die Börsen im Moment zeichnen. Sollte sich das alles massiv zerschlagen und der Impfstoff nicht mal in 2021 kommen, dann wäre ich bei dem 2024 Szenario.
2.) Starke Covid Wellen. Wie China und Deutschland jetzt mit lokalen Ausbrüchen klar kommen, wird die nahe Zukunft gestallten. Ein größere Lokaler Lockdown ist Kursgift und könnte uns im DAX die Fünfstelligkeit kosten. Und es ist Gift für die fundamentale Erholung und wird es auch gen 2024 verschieben. Bei China/Asien und Europa bin zuversichtlich, Angst macht mir die USA. Dort haben sie es viel zu wenig im Griff.
3.) Staatskrisen: Wenn Afrika oder Südamerika danieder gehen, wird uns das auch Potential kosten. Auch hier gilt: Je früher ein Impfstoff kommt, desto besser ist es. Trotzdem ist das eine Erholungsbremser, selbst im Best Case. Bis auf wenige Ausnahmen hat man nicht das Gefühl, dass diese Länder es hin bekommen werden. In Brasilien und Venezuela könne es bis zum Bürgerkrieg gehen...
4.) Finanzkrise: Es wird spannend, wie mit Defaults, Immobilienverkäufe und Schuldenausfällen umgegangen wird. Gerade in der USA. Die Bazookas schießen, aber irgendwann muss der Preis gezahlt werden. Dafür muss ein schneller Rebound her, als Impfstoff. Ich gebe dem System Zeit bis Mitte 2021, dann spätestens kann es nicht mehr klappen. Möglicherweise vorher auch nicht, aber hohen Schuldenstände und aufgeblähte ZB Bilanzen sind nicht zwingend temporär unmöglich zu halten. Das hat in der Historie nun öfters geklappt, VWL ist (zum Glück) etwas komplexer, als hier gerne gemacht.
Was verkannt wird, ist, dass die Krise auch Chancen bietet: Digitalisierung, E-und ggf. H Mobilität (wobei ich bei der als Skeptiker an der Seitenlinie bleibe, Stichwort Netzwerkeffekte), Medizintechnik, Logistik, nachhaltiges Reisen. Ein konsequenter Umbau der Mobilität/Arbeitswelt/Logistik, der jetzt entsteht, hat durchaus eine Chance zum Multiplikator.
Sollte, was wenn ich mir die (Vektor-)Impfstoffforschung angucke, realistisch scheint, bis Mitte 2021 (best case früher) Corona zur normalen Krankheit degradiert sein, und weitere Black Swans vermieden werden (und ein zweiter Lockdown, da bin ich sehr vorsichtig optimistisch, aber kritisch am gucken), dürfte ab Mitte 2021 ordentlich Musik drin sein, wenn die Staaten einigermaßen investieren. Was bis dahin danieder ging, wird dann von jemanden anderen wieder aufgebaut ggf. besser: Tourismus, Restaurants, Geschäfte waren ja keine Luftnummer, ohne Corona und mit steigenden Einkommen und Erwerbsquoten wird auch das wieder hoch gehen und zu mehr Einkommen und Jobs führen. Und so wie die Börse durch so ein Momentum höher als vorher kommt, kann das durchaus auch die Wirtschaft schaffen. Daher meine BAseline: Wenn alles in einem normalen Rahmen läuft, sehen wir 2022 wieder gute Zahlen, best Case 2021, worse case 2024, dann mit zwischenzeitlich blutroten PnLs in unseren Depots. Keine Handlungsempfehlungen, reine persönliche Sicht.
Das große Risiko heißt USA und Trump. Die amerikanische Börse ist IMO partiell (auch hier gilt das nicht für alle Werte) überbewertet, die Anlegerstruktur kritisch, die Covid und Wirtschaftspolitik ein Desaster, der vor allem private Schulenstand zu hoch. Trump ist eine Katastrophe. Best Case wäre eine Abwahl von Trump, aber selbst dann könnte das aus der Richtung noch viel Ärger drohen.
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