Für Sie im Dreieck gesprungen
Oft werden wir Buchbesprecher nach den Quellen unserer Inspiration gefragt: was das Geheimnis unseres Schreibens sei. Milde lächelnd, geben wir dann stets zur Antwort: der Griff zur Fernbedienung. Der helfe immer. Längst haben wir uns nämlich abgewandt von langwierigen, fußkalten Schneespaziergängen, von psychologisch durchseuchten Kerzenscheingesprächen und den aberwitzigen Zumutungen gesunden Essens, dessen Zubereitung unsere schöne Lebenszeit vernichtet.
Längst haben wir abgeschlossen mit all dem Teufelszeug, haben uns neuen Dingen geöffnet: dem täglichen Döner etwa vom "Schlemmer-Pavillon", Hartz-IV-Debatten beim Warten frei Haus. Oder dem natürlichen Strahlenschutzschild, der durch ununterbrochenes Mobiltelefonieren entsteht. Und kein anständiger Abend vergeht natürlich ohne die intensive Meditation vor dem Fernseher, längs auf dem Teppich, Gesicht zum Infokamin. Da kann dann - wie aus dem Nichts - Horst Janson auftauchen! Zum Beispiel! Schon schreit die Frau auf, spürt längst vergessene Lebensgeister vibrieren. Und da schreit auch der Mann auf! Hillu! Hach! Die sitzt nämlich auch in der Talkshow.
Jetzt überkommt uns ein Gedanke: Sollten wir an dieser Stelle nicht einen "Sonderteil Hillu" in die Besprechung einfügen, ganz zwanglos? Gerne orientieren wir Buchbesprecher uns ja auch formal an unserer Lektüre, um dem Leser eine Vorstellung vom Werk zu vermitteln. Und das vorliegende Gesundheitsbeförderungsbuch "Das Dreieck des Lebens" unterbricht seine gestrenge Gedankenführung ungefähr mittig für einen bezaubernden "Sonderteil Horst Janson" (Uwe Karstädt: "Das Dreieck des Lebens". Mit Sonderteil Horst Janson. Titan Verlag, München 2005. 270 S., geb., 24,80 [Euro]). Weil der immergrüne Knitterfaltenträger nämlich Stammkunde des medizinischen Buchautors ist. "Horst Janson ist mein idealer Patient." Und zwar warum? "Er ernährt sich sinnvoll. Er baut mit ganz natürlichen Mitteln Stress ab und Lebensfreude auf. Und er vertraut auf die sanften Mittel, zu denen ich rate."
Da ist es an uns, liebe Leser, ein Gleiches zu tun. Wir raten zum Sanften. Und warnen ausdrücklich vor den harschen Forderungen, die dieses Buch an uns stellt. So soll etwa laut Buch die gute alte Mikrowellenstrahlung dazu angetan sein, Organismen zu schädigen. Wir überblättern also: den Hinweis, daß man alle Sicherungen rausdrehen sollte, ehe man sich ins Bett legt. Sowie Erwägungen über den tückischen Götzen "Schnurlosigkeit", der sich zwischen uns und unsere Mitmenschen am anderen Ende der Leitung geschoben hat. Und wir begnügen uns mit einer vagen Ahnung, von welch zentraler Bedeutung die Aminosäure Homocystein in unserem Blut ist - diese "natürliche Kristallkugel", die "das zukünftige Wohlergehen im Leben eines Menschen" voraussagen kann. Bei solch deterministischen Szenarien streichen wir um so dicker an: "Es bleibt Ihnen natürlich selbst überlassen, wie Sie Ihr Leben gestalten." Wollen darum auch gebeten haben. Frösteln spontan.
Und bitten zufällig anwesende Cafebesucher, doch eben kurz den weiteren Fortgang der Argumentation abzutippen, danke schön, bitte sehr: "Vielleicht fehlt Ihnen das Wissen darüber, vielleicht wollen Sie es lieber nicht wissen. Beschwichtigen und Schönreden, indem Sie ein Genußgift oder eine risikoreiche Bequemlichkeit als Lebensqualität umbenennen, wird Ihnen nicht helfen. Wollen Sie wirklich das Risiko drastisch erhöhen, Ihre letzten zwanzig bis dreißig Jahre unbeweglich, mit Schmerzen, im Rollstuhl, als Pflegefall oder in geistiger Umnachtung zu verbringen? Haben sich die ,kleinen Gifte' schon zu einem ,großen Gift' angehäuft, das Ihre Gesundheit ruiniert und Ihre Lebensqualität minimiert? Wie wäre es als Lebenssinn und Lebensqualität mit Qualitäten wie Lachen, tiefem Austausch, Intimität, gesunder Nahrung, kreativem Schaffen, Kunst, Musik, Tanzen, Meditation, Liebe, Sport, Natur, Atmen?"
Also ehrlich: Das ist zwar sage und schreibe ein Bestseller, aber nichts für uns. Diese klaren Ansagen. Verkraften wir nicht. Lieber lesen wir im fahl werdenden Augenlicht den versöhnlichen "Sonderteil Horst Janson". Von Horst Janson. Wo aufs Nickerchen zwischendurch geschworen wird. Auf Töchter. Auf Sex mit siebzig. Sowie auf die Anschaffung eines Segelboots, aus Mahagoni- und Teakholz beispielsweise, gebaut vielleicht 1926.
Und wer irgendwie gerade keine Gelegenheit zu solchem Kauf hat - weil er gesundheitshalber in sein "PowerQuickZap", in "neu informiertes Wasser" oder auch in Vitamin K, "das vergessene Vitamin", investiert hat -, dem raten wir von hier aus einfach zum Viereck des Lebens. Erstens: Auf den Teppich gepflanzt. Zweitens: Schokolade. Drittens: Wein. Viertens: Fernseher an. Mit Sonderteil Hillu: Wie ihre Nüstern bebten! Sie die Augen verdrehte! Anmutig ihre Damenwange schmiegte an die feingliedrige Hand! Also. Da sproß bei uns ein Lebensgeist. Da haben wir die Kraft gefunden, die man braucht, um sich dem immer moderner werdenden Leben und seinen vielfältigen, verwirrenden Neuerscheinungen zu stellen. Und haben losgeschrieben.
klaus ungerer
Text: F.A.Z., 09.01.2006, Nr. 7 / Seite 35
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