Ich frage mich schon seit Jahren, wie mein Weib es mit mir aushält. Neulich erst wieder hat mich meine soziale Inkompatibilität ins totale Abseits gestellt, und zwar auf einem der klassischen deutschen High-Society-Events: ich sage nur "Weinfest".
Es handelte sich dabei um das Straßenfest einer der mondänsten Weinmetropolen Deutschlands: Erden an der Mosel.
Alleine die Kleidungsfrage. Man weiß ja, wir Männer haben im Allgemeinen kein Gespür für angemessene Garderobe, ich aber erreiche noch nicht einmal Standardniveau. Ich trug in einem Anfall von Bequemlichkeitswahn eine graue Jacke mit Kapuze - es nieselte leicht - und Turnschuhe - wir waren vorher spazieren gewesen und ich neige dazu meinen Füßen jedes erdenkliche Maß an Freiheit zu gönnen. Wie hätte ich auch ahnen können... Der Mann von Welt trägt in diesem Herbst Multifunktionsweste und Bergschuhe.
Ich stand da in meinem grauen Boss-Jäckchen und musste die hämischen Blicke des Fachpublikums ertragen. Ja, sie haben richtig gelesen, "Boss" - gelegentlich schlage ich ein wenig über die Stränge und leiste mir ein Textil des bekannten Herstellers. Die Boss‘schen Couturiers schneidern perfekt für meine Größe und ich danke es ihnen indem ich skrupellos mein Konto für sie leere. Welch überflüssiger Aufwand, immer im Abstand von wenigen Wochen gibt es die aktuellsten Modelle an Adventurewesten und passenden Accessoires bei Deutschlands renommiertestem Altherrenausstatter - "Tchibo".
Nachdem ich das Missfallen im Blick meiner geliebten Begleiterin gespürt hatte versuchte ich den Abend in weitgehender Unauffälligkeit zu verbringen, aber meine Unerfahrenheit machte mir einen Strich durch die Rechnung. Aber ehrlich, hätten Sie geahnt, dass man auf einem Weinfest mit Blasmusik rechnen muss. Das regionale Feuerwehrblechgebläse gab in einem Anfall von Öffentlichkeitsarbeit ein dermassen enthusiastisches Udo-Jürgens-Potpourri zum Besten, dass ich mich gezwungen sah meine Hörnerv mit nicht unerheblichen Mengen Riesling zu sedieren. Besonders die kollektiven Stimmungsschwankungen, gemeinhin als "Schunkeln" bekannt, machten mir zu schaffen.
Viele der lokalen Winzer haben zu dem besonderen Anlass ihre Scheunen zu temporären Gasträumen umgewidmet. Die meisten hatten die übliche spartanische Bestuhlung ("spartanisch" nicht gerade im Sinne von "Bauhaus", eher "Praktiker") mit gewagten innenarchitektonischen Details gekonnt gebrochen. Die zwingenden Aquarien in chinesischen Restaurants kennt man ja, in Winzerscheunen scheinen ein altes Wagenrad und eine Sense absolutes Muss zu sein.
In den meisten der Schankscheunen vergewaltigte ein minderbegabter Alleinunterhalter sein Instrument. Einer der Gastgeber hatte sogar Lautsprecher auf die Straße gestellt, wohl mit dem Sinn Besucher anzulocken. Im Beschallungsbereich dieser Anlage hatte sich aus einem mir unerfindlichen Grund der einzige freie Platz im gesamten Straßenzug gebildet. Ein Laienmusiker, dem Akzent nach offensichtlich vom Balkan - wahrscheinlich ein begabter Erntehelfer - trug elektrisch verstärktes Volksliedgut vor. Zwischen durch gab er routiniert-professionelle Kommentare ab wie: "Ihr seid die beste Pubblikum die ich je hatte!". Ich wagte einen Blick in den Saal, neben dem Akkordeonvirtuosen drängten sich 8 Personen in der Halle. Kleinkunst at it‘s best.
Derart akustisch traumatisiert widmete ich mich den kulinarischen Spezialitäten. Ich bin ja ein begeisterter Esser und so leicht durch nichts aus der Fassung zu bringen, aber hier musste ich feststellen, dass meinem international geschulten Gaumen völliges Neuland bevorstand. "Cholesterin" ist kein Wort, dass in den Sprachschatz des deutschen Winzers Eingang fand. "Fettarm" findet hier nicht statt. Es gab Schmalzbrote, mit deren Aufstrich hätte man einen mittelgroßen Güterzug abschmieren können. Ich finde ab 1 cm Dicke wirkt Griebenschmalz ein wenig aufdringlich. Aber auch ein Schwenkgrill gehört zur gastronomischen Grundausstattung des Winzerfestkochs. Die beliebten eingelegten Schweinereien hatten hier formidable Ausmaße. Meistens lagen mousepadgroße Fleischbatzen auf dem Rost, die traditionell halb roh, halb verkohlt serviert wurden. Auch etwas, das mir bislang unbekannt war. Aber mit einer Scheibe Weißbrot kann man ja bekanntlich alles essen...
Pfannengyros ist auch eine kulinarische Absonderlichkeit, die vielerorts angeboten wurde. Die fleischigen Brocken sahen aber aus wie das, was uns früher immer die Katze auf die Fußmatte gelegt hatte. Ich ließ die Finger davon, da ich ernste gesundheitliche Probleme befürchtete. Alle die davon aßen hatten Leibesumfänge vorzuweisen, die spontane Assoziationen an eine Walrosskolonie vor einer Imbissbude hervorriefen. Wahrscheinlich eine Folge von jahrzehntelangem Grillfleischmissbrauch.
Also probierten wir ungesättigt diverse lokale Weine und hatten viel Spaß dabei. Im Zuge des Weinkonsums stellte ich fest, dass ich mich langsam an die lokalen Bräuche adaptierte, nach der zweiten Flasche Riesling Kabinett gefiel mir Udo Jürgens und nach der dritten Flasche ließ ich mir das Rezept für das Pfannengyros geben.
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