06.09.2010
Ruf nach Integrationsdebatte ohne
Scheuklappen
Verteidigungsminister Karl-Theodor
zu Guttenberg hat eine Debatte
ohne Scheuklappen über die
Integration von Einwanderern
gefordert. Bundesbank-Vorstand
Thilo Sarrazin habe die richtige
Debatte angestoßen, sagte der CSU-
Politiker bei einem Volksfestauftritt
in der Nähe von München.
"Dass wir Missstände (bei der
Integration) haben, ist unbestritten.", so
Guttenberg. Er machte aber zugleich
klar, dass er die Schlussfolgerungen
Sarrazins nicht teilt. Die Frage nach
Versäumnissen bei der Integration
betreffe Deutsche ebenso wie Migranten.
Der CSU-Politiker warf die Frage auf, ob
an Einwanderer nicht Forderungen
gestellt würden, die die einheimische
Bevölkerung selbst nicht erfülle. Dies
gelte zum Beispiel für
Leistungsbereitschaft und Familiensinn.
Guttenberg zeigte sich überrascht, "wie
wenige Menschen in unserem Land
bereit sind, sich mit den Inhalten von
Herrn Sarrazin auseinanderzusetzen".
Stattdessen gebe es den "ersten Reflex
flächendeckende Empörung", sagte der
CSU-Politiker vor gut 2000 Menschen im
Bierzelt auf dem Keferloher Montag in
Grasbrunn.
Unterdessen drängen Unionspolitiker in
der Debatte über die Zuwanderung auf
eine strengere Anwendung von
Sanktionen. "Zu unserer Politik gehören
verpflichtende Integrationskurse und
Einbürgerungstests", sagte CDU-
Generalsekretär Hermann Gröhe der
"Leipziger Volkszeitung". Zu der Thilo
Sarrazin ausgelösten Debatte sagte er:
"Wir nehmen den Unmut über die zum
Teil gravierenden Missstände im
Zusammenleben von Deutschen und
Zuwanderern sehr ernst."
Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs
forderte eine Überprüfung, ob die
bisherigen Strafenmöglichkeiten
ausreichen. "Wenn die Kinder nicht in die
Kita oder die Schule geschickt werden,
dann muss das mit Hartz-IV-Kürzungen
sanktioniert werden", sagte er der
"Rheinischen Post". Ein Sprecher des
Bundesinnenministeriums erklärte dazu,
für die Anwendung der Gesetze seien die
Ausländerbehörden der Länder
zuständig.
Die frühere Bundestagspräsidentin Rita
Süssmuth (CDU) sprach sich dagegen für
die Aufhebung des Anwerbestopps für
Zuwanderer aus. "Deutschland braucht
den Paradigmenwechsel hin zum
Einwanderungsland",betonte die
ehemalige Vorsitzende der Kommission
Zuwanderung im Berliner "Tagesspiegel".
Die SPD will das Thema Integration zu
einem Schwerpunkt ihres Parteitags am
26. September in Berlin machen. Man
wolle darüber diskutieren, wie Bildungs-
und Sprachdefizite vor allem bei Kindern
aus Zuwandererfamilien bekämpft
werden könnten, kündigte SPD-
Generalsekretärin Andrea Nahles an.
Weiter gehe es um die Durchsetzung der
Schulpflicht für alle. Umstritten ist in der
SPD, ob ein Kita-Besuch verbindlich
vorgeschrieben werden soll. Dafür hatte
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus
Wowereit plädiert.
Nach Angaben von Nahles hält die SPD-
Spitze an dem Ordnungsverfahren gegen
Sarrazin mit dem Ziel des Ausschlusses
fest. Der SPD-Vorstand werde darüber
Anfang nächster Woche entscheiden. Die
in der SPD-Zentrale dazu eingegangenen
Reaktionen ergäben zwar ein "buntes
Bild". Sie erwarte aber bei den SPD-
Mitgliedern eine breite Unterstützung für
einen solchen Schritt, sagte Nahles.
Der frühere Hamburger Bürgermeister
Klaus von Dohnanyi (SPD) bot sich an,
Sarrazin vor der SPD-Schiedskommission
zu verteidigen. Das langjährige SPD-
Mitglied würde wegen seines Buchs "aus
keiner anderen europäischen Linkspartei
ausgeschlossen", zeigte sich Dohnanyi in
der "Süddeutschen Zeitung" überzeugt.
Sarrazin selbst ließ offen, ob er das
Angebot annimmt. Nach einem Auftritt in
Berlin wurde der von mehreren
Leibwächtern begleitete Banker am
Montag verbal attackiert und als
"Nazischwein" beschimpft.
Die Evangelische Kirche in Deutschland
(EKD) distanzierte sich von Sarrazins
Integrationsthesen. Der Ratsvorsitzende
Nikolaus Schneider warf ihm im
"Hamburger Abendblatt" vor, vulgär
sozialdarwinistische Ansichten zu
bedienen. Grünen-Chef Cem Özdemir rief
zu einer Versachlichung der Debatte auf.
Die Politik müsse Antworten
präsentieren, dürfe aber keine Ängste
schüren, sagte er in Düsseldorf.
Die Linke-Vorsitzende Gesine Lötzsch
sieht die Ursachen für
Integrationsdefizite auch in den Hartz-IV-
Gesetzen.
Quelle: dpa-info.com GmbH