Was eigentlich ist das Internet der Dinge?
Ein Schlagwort macht Karriere: Im „Internet der Dinge“ kommuniziert alles mit allem. Bloß ohne Menschen. 17.03.2015, von Lena Schipper
Wo auch immer Sie gerade beginnen, diesen Text zu lesen - schauen Sie auf, legen Sie das Smartphones oder das Tablet für einen Moment beiseite, und sehen Sie sich um. Was sehen Sie? Vielleicht sitzen Sie in der Küche und sehen vor sich Ihr Besteck neben der Kaffeetasse liegen, während hinter Ihnen der Toaster die nächste Scheibe Brot röstet. Ein Blick aus dem Fenster zeigt Ihren Nachbarn, der gerade mit seinem Hund in den Hof einbiegt. Vielleicht sitzen Sie aber auch in der U-Bahn und beobachten Ihre Sitznachbarin oder lassen auf einer Parkbank in der Sonne das Leben an sich vorbeiziehen.
Und nun stellen Sie sich vor, dass alle Dinge um Sie herum - das Besteck, der Toaster, die Hundeleine des Nachbarn, der Regenschirm Ihres Gegenübers in der U-Bahn, die Parkbank, vielleicht sogar die Narzissen auf der Wiese im Park - mit dem Internet verbunden sind und sich in ständigem Dialog miteinander befinden. Ihr Besteck ist mit Sensoren ausgestattet, die registrieren, was und wie schnell Sie essen, und sendet diese Daten an einen Cloud-Server, wo sie mit den Daten verknüpft werden, die Toaster, Kühlschrank und Kochtöpfe über Ihre Essgewohnheiten sammeln. Essen Sie zu schnell, zu viel oder das Falsche, piepst Ihre Gabel. Oder der Toaster weigert sich, eine weitere Scheibe Toast zu produzieren, bevor Sie nicht eine Runde joggen waren - eine Information, die Ihre internetfähigen Socken sofort an den Toaster übermitteln.
Das Hundehalsband registriert, dass der Hund zum Tierarzt muss, gleicht die Datenbank der Arztpraxis mit dem Kalender des Nachbarn ab und macht eigenständig einen Termin. Der Regenschirm der Dame in der U-Bahn färbt sich eben blau, weil er dem Online-Wetterbericht entnommen hat, dass es gleich anfangen wird zu regnen. Und die Sensoren an der Parkbank und an den Narzissen übermitteln die Lichtverhältnisse im Park an eine Lampe, die sie auf dem Nachttisch eines Freundes auf der anderen Seite der Erde reproduziert.
Das ist die Welt, die den Vordenkern des sogenannten „Internets der Dinge“ vorschwebt - oder des „Internet of Everything“, wie besonders ambitionierte Vertreter sagen. Das Ziel ist es, allen Dingen, die bisher auf die Steuerung durch ihre menschlichen Besitzer angewiesen sind, mit Hilfe des Internets eine Art Eigenleben einzuhauchen. Von „enchanted objects“ spricht David Rose, Unternehmer und Forscher am Medialab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) - „verzauberte Dinge“, die durch die Vernetzung über ihren alltäglichen Gebrauchswert hinauswachsen sollen.
Diese magischen Metaphern sind sicherlich gut für die Umsatzzahlen von Roses Unternehmen „Ambient Devices“, das unter anderem vernetzte Thermostate vertreibt, bei deren Anblick sich die Verzauberung ansonsten in Grenzen hält. Die Idee zum Internet der Dinge stammt allerdings aus einer Branche, die man in der Regel nicht mit Zauberei assoziiert: der Logistik. Dort werden täglich Millionen von Gegenständen - von Containern über Paletten bis hin zu einzelnen Schrauben - durch die Welt bewegt. Damit es im System nicht hakt, müssen sie minutengenau am richtigen Ort ankommen. Bisher gibt es dabei noch einige Nadelöhre, wenn zum Beispiel Container gezählt werden müssen, bevor ein Flugzeug sie weitertransportieren kann. Die Vernetzung soll Abhilfe schaffen: „Unser Ziel ist ein System, das sich komplett selbst steuert“, sagt Michael ten Hompel, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik und Professor an der TU Dortmund, „im Internet der Dinge steuern sich die Kisten selbst durch die logistischen Netze wie die Datenpakete im Internet - und der letzte sagt dem Lkw, dass jetzt alle da sind und es losgehen kann.“ Aus Sicht der Unternehmen verspricht das enorme Effizienzgewinne. Rund 14 Billionen Dollar, schätzt die Softwarefirma Cisco, lassen sich bis zum Jahr 2022 mit dem Internet der Dinge verdienen. Nicht umsonst ist die Frage, wie Firmen an ein Stück von diesem Kuchen gelangen, ein Schwerpunkt der Computermesse Cebit, die am Sonntag in Hannover eröffnet wurde.
Wie die vernetzten Systeme die Abläufe in der Industrie verändern, lässt sich schon heute beobachten. In den amerikanischen Versandzentren von Amazon legten bisher menschliche Arbeiter jeden Tag lange Wege zurück, um die Pakete aus den Regalen zum Verladen zu befördern. Das ist anstrengend und zeitraubend.
Mittlerweile organisiert in einigen Zentren eine Flotte autonomer Kiva-Roboter den Betrieb. Statt herumzulaufen, arbeiten die Menschen dort an stationären Verladestationen. Die Kivas befördern die Regale mit den entsprechenden Paketen direkt dorthin. Mit Hilfe eines Lasers zeigen die Roboter den Arbeitern die zu verladenden Pakete, die Menschen müssen sie nur noch einscannen. Dazu kommunizieren die Roboter über ein drahtloses Netzwerk miteinander und orientieren sich mit Hilfe elektronischer Barcodes auf dem Boden. Sensoren an Robotern und Regalen vermeiden, dass sie mit Hindernissen kollidieren. In einigen Zentren, schätzt Amazon, hat sich die Produktivität seither mehr als verdoppelt.
In Deutschland sind die Kivas noch nicht aktiv. Dafür können Kunden des VIP-Parkhauses am Düsseldorfer Flughafen seit dem vergangenen Sommer ein autonomes System in Aktion beobachten. Dort hat der Roboter „Ray“ das Einparken übernommen. Er plaziert die Autos auf den Zentimeter genau nebeneinander und bringt so rund 40 Prozent mehr Autos auf der gleichen Fläche unter, als es ein Mensch könnte. Außerdem informiert er sich selbständig über Abflüge und Ankünfte am Flughafen und sortiert die Autos vor, damit sie pünktlich zur Ankunft ihrer Besitzer wieder bereitstehen.
Fernab der Öffentlichkeit vollziehen sich noch viele weitere solcher Prozesse in Lagerhallen und Fabriken, bemerkt nur von denjenigen, denen die automatischen Systeme die Arbeit erleichtern - oder gleich ganz abnehmen. Doch das Internet der Dinge dringt auch langsam in unseren Alltag vor. Und es verändert sowohl die Art, wie wir das Internet nutzen, als auch unser Verhältnis zu alltäglichen Gegenständen. „Die Verbindung zwischen Computer und Internet wird sich in den nächsten Jahren auflösen“, sagt Stephan Noller, dessen Unternehmen Ubirch Lampen produziert, die ihren Besitzern die Lichtverhältnisse im Rheintal ins Wohnzimmer bringen. „Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Computer bald ganz aus unserem Alltag verschwinden, wir aber durch die Vernetzung von Alltagsgegenständen ständig vom Internet umgeben sind.“
Diese Zukunft, von Experten auch „ambient internet“ genannt, ist weniger weit entfernt, als man denken könnte. Die vernetzten Gabeln, Socken und Regenschirme, die in unserem Gedankenexperiment zu Beginn des Textes auftauchen, gibt es schon. Genauso wie Fernseher, die unsere Sehgewohnheiten kennen, Fitnessarmbänder, die Gesundheitsdaten an eine App auf unserem Handy senden, und Rasierapparate, die selbständig ihre Klingen nachbestellen. Schon heute sind wir von Milliarden vernetzter Gegenstände umgeben. Das klingt beeindruckend. Doch was haben wir davon, wenn wir nicht gerade ein Logistikunternehmen betreiben oder vernetzte Zahnbürsten und Rasierapparate verkaufen?
Wer sich bei Amazon die Kundenrezensionen der neuesten internetfähigen Gegenstände durchliest, könnte schnell beschließen: bisher reichlich wenig. Einige Reaktionen, die enttäuschte Käufer der „smarten“ Gabel hinterlassen haben, die David Rose auf seiner „Enchanted Objects“-Seite bewirbt und die immerhin stolze 100 Dollar kostet, klingen nicht nach Technik der Zukunft: „Die Gabel soll registrieren, wenn man einen Bissen zu sich nimmt, tut es aber nicht. Als ich den Hersteller kontaktierte, hieß es, ich esse falsch“, schreibt ein enttäuschter Kunde. Ein anderer beklagt Fehler bei der Datenübertragung zu seinem Handy und beschwert sich über das Vibrieren der Gabelzinken im Mund: „Ich hatte Angst um meine Füllungen.“ Bis hin zur nahtlosen Vernetzung aller Alltagsgegenstände zum Nutzen ihrer Besitzer ist es offenkundig noch ein weiter Weg.
Das sehen auch die Anhänger der Vernetzung so. „Wir stehen noch ganz am Anfang dieser Entwicklung“, sagt Ubirch-Chef Stephan Noller. Gabeln, die unser Essverhalten kontrollieren, erscheinen genauso wie Nollers intelligente Lampen als eine Art Schaufenster in das Internet der Dinge. „Ich glaube schon, dass es Leute gibt, die sich mit unseren Leuchten den Sonnenuntergang über dem Rheintal ins Wohnzimmer holen wollen“, sagt Noller. Doch die größten Potentiale sieht er anderswo. Etwa im Umgang mit dem demographischen Wandel: Vernetzte Haushaltsgeräte und Sensoren könnten zum Beispiel dabei helfen, dass alte Menschen länger in ihren Wohnungen bleiben können. Die Geräte könnten überwachen, ob sich ein Mensch normal in seiner Umgebung bewegt, und bei Problemen den Pflegedienst oder einen Verwandten alarmieren.
Auch in anderen Alltagsbereichen erhoffen sich Experten Verbesserungen vom Internet der Dinge. Vernetzte Thermostate lernen, wann wir uns wo in unserer Wohnung aufhalten, und passen die Temperatur an, was Heizkosten spart. Ingenieure arbeiten daran, Brücken mit Sensoren auszustatten, die Informationen über Risse im Beton an die zuständige Behörde funken, bevor sie sichtbar sind, und auf diese Weise nicht nur Unglücke vermeiden, sondern auch die Instandhaltungskosten senken können. Und Fans des selbstfahrenden Autos träumen von einer Zukunft ohne Unfälle dank Autos, die untereinander und mit der Verkehrsinfrastruktur vernetzt sind.
Bis es so weit ist, sind allerdings noch einige Fragen zu klären. Denn die Vernetzung macht die Dinge nicht nur „smart“, sondern auch verletzlich. Hackern des Chaos Computer Clubs gelang es schon vor Jahren, vernetzte Stromzähler zu manipulieren; in Marc Elsbergs Bestseller „Blackout“ legen Terroristen auf diese Weise das Stromnetz lahm. Doch bei vernetzten Alltagsgegenständen ist die Sicherung gegen Cyberkriminalität noch ein Randthema. „Die Sicherheit vieler Geräte hat beim Produktdesign bisher keine ausreichende Priorität“, sagt Christian Funk von der Sicherheitsfirma Kaspersky. Berichte von Angriffen auf vernetzte Haushaltsgeräte gibt es zuhauf; auch Unternehmer Noller saß schon bei ausgeschalteter Heizung im Dunkeln, weil sein „Smart Home“-System gehackt wurde.
Zudem ist die Kommunikation der vernetzten Dinge letztlich nichts anderes als der Austausch enormer Datenmengen. Wenn wir bald überall von Gegenständen umgeben sind, die pausenlos Daten in die Cloud schicken, wird es schwierig, den Überblick darüber zu behalten, welche unserer Daten im Netz landen, wer darauf Zugriff hat - und was diese Leute mit den Daten machen. „Ein großer Teil der Daten, die diese Geräte sammeln, erlauben sehr klare Rückschlüsse auf unsere Gewohnheiten“, sagt zum Beispiel Christian Funk. Trägt ein Jogger ein intelligentes Fitnessarmband, könnte es ihn daran erinnern, dass er ein neues Paar Schuhe braucht - und gleich darauf hinweisen, dass das Sportgeschäft um die Ecke ein Sonderangebot hat. Das mag praktisch erscheinen, doch was, wenn mein Fitnessarmband der Krankenkasse meldet, dass ich kaum noch Sport mache - und die daraufhin die Beiträge erhöht? Schon jetzt bieten einige private Krankenkassen Bonusprogramme für Mitglieder, die ihre Fitnessdaten teilen - weniger Aktive zu bestrafen erscheint zumindest nicht unplausibel.
Diese Gefahr sieht auch Stephan Noller. „Wir müssen aufpassen, dass das Internet der Dinge nicht gesellschaftliche Werte gefährdet, die uns wichtig sind“, sagt er. „Die Konsequenz der datengetriebenen Wirtschaft ist die Individualisierung - das hilft uns, unsere Bedürfnisse punktgenau zu befriedigen, aber es kann sich auch gegen uns wenden.“ Noller plädiert deswegen für eine Politik der Transparenz hinsichtlich der Daten, die vernetzte Gegenstände sammeln. „Man könnte sich vorstellen, dass jedes Gerät einen Code bekommt, über den man mit dem Smartphone auslesen kann, welche Art von Daten es sammelt.“ Denkbar sei zudem, einige Daten weiterhin von der Weitergabe an bestimmte Akteure auszuschließen. „Was die Krankenkasse von mir weiß“, sagt Noller, „ist keine Frage der Technik, sondern eine gesellschaftliche Entscheidung.“
|