HO-CHI-MINH-STADT. Die Zeichen stehen nicht gut für die Börse in Vietnam. Mit einem Verlust von 55 Prozent seit Jahresbeginn hat sich der Aktienmarkt innerhalb kurzer Zeit vom boomenden Wachstumsmarkt zu einem Krisenschwerpunkt entwickelt. Nach einer Computerpanne, die den Handel drei volle Tage lahm gelegt hatte, ging die Abwärtsfahrt Ende vergangener Woche ungebremst weiter. Und Entspannung ist nicht in Sicht: Die Investmentbank Morgan Stanley sagt gar eine Währungskrise in Vietnam voraus.
Der VN-Index der Börse in Ho-Chi-Minh-Stadt beendete die Woche um 1,5 Prozent schwächer bei 414 Punkten. Das ist der tiefste Stand seit August 2006. Zuvor hatte die Regierung neue, dramatische Konjunkturdaten vorgelegt. Demnach sind die Verbraucherpreise im Mai im Jahresvergleich um 25,2 Prozent gestiegen; das war die höchste Teuerungsrate seit 1992. Preise für Lebensmittel zogen sogar um 67,8 Prozent an.
"Die Verkäufe gehen weiter", stellte John Shrimpton, der leitende Fondsmanager von Dragon Capital Group aus Ho-Chi-Minh-Stadt am Freitag fest, "und die Inflation ist ein Aspekt, der die Talfahrt ausgelöst hat." Die Ratingagentur Fitch senkte den Ausblick für die langfristigen Fremdwährungsverbindlichkeiten des südostasiatischen Landes auf "negativ".
Dabei ist es gerade einmal etwas mehr als ein Jahr her, dass die vietnamesische Börse als der Hoffnungsträger in Asien schlechthin galt. Zwischen Ende 2005 und März 2007 hatte sich der VN Index verdreifacht; damit war der vietnamesische Aktienmarkt weltweit Spitze. Geschürt wurde der Hunger nach Rendite mit vietnamesischen Aktien durch den schnellen und umfassenden Privatisierungskurs der Regierung, der inländische und ausländische Investoren gleichermaßen anzog.
Zu den eifrigsten Investoren in Vietnam zählten auch deutsche Finanzhäuser. So sammelten die Landesbank Berlin, die Deutsche Bank und die DWS mit Zertifikaten auf den Boom-Markt im vergangenen Jahr etliche Millionen von deutschen Privatanlegern ein - Geld, das die Rally an der relativ illiquiden Börse in Ho-Chi-Minh-Stadt zusätzlich antrieb. Gewinne dürften allerdings nur die wenigsten Anleger mit den Zertifikaten gemacht haben. Seit Emission hat das LBB-Papier knapp 30 Prozent an Wert verloren, die Zertifikate von Deutscher Bank und DWS liegen noch deutlich tiefer im Minus.
Verglichen mit den Bewegungen einzelner vietnamesischer Aktien sind die Ausschläge noch moderat. So waren die Titel des Elektrogeräteherstellers Refrigeration Electrical Engineering Joint-Stock Co. zwischen 2005 und 2007 um mehr als 500 Prozent gestiegen. Seit Anfang 2008 haben sie jedoch 75 Prozent an Wert verloren.
Trotz der teils dramatischen Kursverluste und entsprechend gesunkener Bewertungen raten Experten noch nicht zum Einstieg in Vietnam. Die 151 Titel im VN Index werden derzeit zum rund Zehnfachen der Gewinnprognosen gehandelt. Zeitweise betrug der Wert mehr als 30, wie aus Daten von Dragon Capital hervor geht. "Ich denke, die Kurse müssen noch etwas weiter fallen", sagt Fondsmanager Mark Mobius von Templeton Asset Management. "Wer jetzt einsteigen will, muss sich klar sein, dass er langfristig denken muss. Sonst kann man auf den recht illiquiden Titeln sitzen bleiben", warnt Mobius. Im Mai waren an der Börse im Durchschnitt nur 52 000 vietnamesische Aktien pro Tag gehandelt worden.
Experten des Internationalen Währungsfonds hatten bereits im November vor den Gefahren der weiter steigenden Inflation in Vietnam gewarnt. Die Preissteigerungen seien hier so stark wie in keinem anderen asiatischen Land. Morgan Stanley sieht deswegen die Gefahr einer Währungskrise. Die Zentralbank habe die Währung Dong angesichts der wachsenden Inflation und des steigenden Außenhandelsdefizits zu stark gehalten, hieß es in einer Einschätzung.
Auch die Experten der Ratingagentur Fitch bemängeln, dass die Regierung zu langsam auf die Inflationsentwicklung reagiere. Das gefährde das Bankensystem in Vietnam. Fitch stuft das Land mit "BB-" ein, was deutlich unter dem Qualitätssiegel "Investment Grade" liegt. "Je länger die Regierung die notwendigen Zinserhöhungen aufschiebt, desto wahrscheinlicher wird eine harte Landung", prognostiziert der zuständige Fitch-Analyst James McCormack.rad/Bloomberg
02.06.2008