Süßer Abschied vom kratzigen Rauch: Universität Hohenheim erforscht Job-Alternativen für Tabak-Bauern Zum Nichtraucherschutz will die EU alle Tabak-Subventionen bis 2013 einstellen, was viele Familienbetriebe existentiell bedroht. Eine der innovativsten Alternativen könnte die Süßpflanze Stevia sein. Es sind vor allem Familienbetriebe, die den Subventions-Stopp spüren werden. Bislang sicherte der Tabakanbau deutschlandweit 359 Kleinbetrieben die Existenz, europaweit sind es rund 70.000. Ab 2013 will die EU endgültig ihre Tabaksubventionen einstellen, ein flankierender Beitrag um Nichtraucher zu schützen und den Tabakkonsum einzuschränken. Um die hochspezialisierten Kleinbetriebe zu retten, erarbeiten Wissenschaftler Einkommensalternativen. Den betroffenen Tabakfarmen empfehlen sie unter anderem den Einstieg in Biolandbau oder Aquakultur und Gemüseanbau durch Hydrokultur– oder den Anbau von Stevia, einer neuartigen Süßpflanze, deren Marktzulassung in naher Zukunft anstehen könnte.
Tabak tötet jährlich 650.000 Menschen in der EU – davon 80.000 Passivraucher. Das Europäische Parlament unterstützt deshalb ein rauchfreies Europa. Jedoch wird in der Europäischen Union noch immer der Tabakanbau aus den Mitteln des Agrarhaushalts gefördert.
Gleichzeitig sind Tabakbauern jedoch etwas Besonderes im landwirtschaftlichen Bereich. Teilweise haben die Betriebe wie in Nord-Griechenland eine 400 jährige Tradition im Tabakanbau. Seit 1972 erzielte die Tabakpflanze – dank Brüsseler Subventionen - einen hohen Marktwertanteil. Dadurch konnten auch kleine Familienbetriebe überleben: in Deutschland offiziell 395 Betriebe – die Hälfte davon in Baden-Württemberg.
Doch für die Tabakpflanzer sieht die Zukunft weniger rosig aus. Im Jahr 2003 unterschrieb die EU die Rahmenkonvention der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Tabakkontrolle, seit 2005 ist sie internationales Gesetz. Ziele sind den rauchenden Bevölkerungsanteil einzudämmen, als Folge tödliche Erkrankungen zu verringern und den Nichtraucher zu schützen. Ab 2013 dreht die EU deshalb endgültig den Subvenventionshahn zu, der Tabak billiger machte und die Zigarettenindustrie davon profitieren ließ. „In der EU war der Tabak weltweit am billigsten“, so Dr. Kienle, vom Institut für Agrartechnik unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Jungbluth.
Hilfe durch EU-weites Forschungsprojekt
Um den Betroffenen eine Hilfe zu geben beteiligt sich Dr. Kienle zusammen mit anderen europäischen Wissenschaftlern am EU-Forschungsprojekt "Diversification for Tobacco Growing Regions in the Southern European Union" (DIVTOB). Darin erarbeiten die Experten Produktalternativen für Betroffene, um ihnen Chancen auf ein Leben ohne die Tabakpflanze zu ermöglichen. In einem ersten Schritt wurden zunächst 30.000 südeuropäische Tabakbetriebe nach eigenen Perspektiven befragt. Die weiteren Schritte waren die Bewertung der Aussagen und in Frage kommende Maßnahmen, sowie eine Sektoranalyse.
Wegen der schwierigen Situation für die Tabakbetriebe hat sich das EU-Parlament am 19. Mai 2008 erneut mit der Tabakreform befasst. Ursprünglich sollten die Zahlungen schon ab 2010 schrittweise abgebaut werden. „Das hätte praktisch alle Betriebe direkt in den Ruin getrieben. Deshalb fordert der EU Agrarausschuss eine Verlängerung bis 2012. "Die vergleichsweise lange Frist bis 2012 deckt sich mit unseren Empfehlungen", erklärt Dr. Udo Kienle vom Institut der Agrartechnik der Universität Hohenheim. „Klar ist jedoch eines: Wer Tabak anbaut, muss sich jetzt definitiv schon nach anderen Einnahmequellen umsehen.“
"Problematisch ist, dass viele Betriebe nur wenig Anbaufläche besitzen. Der Tabakpflanzer muss auf Produkte umsteigen, die einen ähnlich hohen Marktwert wie Tabak bringen", erläutert Dr. Kienle die Schwierigkeit. Eine innovative Alternative könnte der Anbau der Süßpflanze Stevia sein.
Biolandbau, Gewächshäuser, Aquakultur – und Stevia als kostengünstigste Alternative
„Stevia besitzt große Süßkraft, ist gut geeignet für Diabetiker und eine natürliche Alternative zum künstlichen Süßstoff“, so Dr. Kienle. Ihr einziges Manko: auf dem europäischen Markt ist Stevia bislang noch nicht zugelassen – was sich jedoch in Zukunft ändern könnte: „In Japan und den USA gibt es bereits gute Erfahrungen mit Stevia und auch in der EU steht die Zulassung auf der Agenda.“
Weitere Alternativen sieht Dr. Kienle unter anderem im Bioanbau von Gemüse, allerdings mit dem Nachteil einer langjährigen Umstellungszeit. Flächenunabhängige Produktionszweige wie Aquakultur und Gewächshäuser bieten weitere Möglichkeiten für den Bauern. Dem stehen aber hohe Investitionskosten bis zu ca. 400.000 Euro pro Betrieb im Wege. Auch hier hätte die Umstellung auf den Stevia-Anbau große Vorteile, weil es die kostengünstigste Maßnahme darstellt und vom Einzelbetrieb praktisch keine Zusatzinvestitionen erfordert. Bei Forschungs-Projekten in Griechenland, Italien und Spanien, die zum Teil vom EU-Tabakfonds bezahlt wurden, waren gute Erträge erzielt worden.
Weit größere Probleme als für Deutschland erwartet Dr. Kienle in anderen EU-Ländern: "Von dem Subventionsstopp sind insbesondere die südlichen Länder Europas betroffen. Sie sind abhängiger vom Tabakanbau als Landwirte in Deutschland und haben geringere finanzielle Mittel für eine Umstellung auf andere Produkte zur Verfügung. Für manche Regionen in Südeuropa ist die Abkehr vom Tabakanbau ohne wirtschaftliche Alternative ein sehr großes soziales Problem."
Hintergrund und Zahlen:
Europaweit gibt die EU jährlich eine Milliarde Euro für denTabakanbau aus. In der EU-15 gab es 2005 noch 69.510 Tabakbetriebe. Heute existieren davon noch 28.704 Betriebe. Durch die EU-Erweiterung kamen weitere 52.745 Betriebe hinzu, die keine entsprechende Tabakstützung erhalten. In Deutschland sind es 359 Betriebe, die Tabak anbauen, mit 32.272 Hektar Anbaufläche und 37 Millionen Euro Umsatz, wobei sich die Hälfte des Tabakanbaues auf Baden-Württemberg konzentriert. Im Jahr 2006/2007 betrug die Tabakproduktion der EU-27 ca. 295.000 Tonnen Tabak.
Im Jahr 2004 verabschiedete der Europäische Rat die Tabakreform, deren Hauptinhalt die schrittweise Absenkung der Stützungszahlungen für die Tabakanbauer zur Folge hat. Im Jahr 2006 wurde die Zahlungen teilweise von der Tabakproduktion entkoppelt (1. Phase der Reform 2006 bis 2009). Ab dem Jahr 2010 (2. Phase 2010-2013) sollen dann nur noch solche Beihilfen bezahlt werden, die von der Tabakproduktion vollständig entkoppelt sind. Ab dem Jahr 2011 bis 2013 werden dann jährlich 484 Millionen € in den Programmen zur ländlichen Entwicklung bereit gestellt.
Ansprechperson:
Dr. Udo Kienle, Fachgebiet Verfahrenstechnik der Tierhaltungssysteme; Tel.: 0711 459-22845, E
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