Zulassungszeremonien: Es gibt vier wesentliche Kriterien bei der Bewertung von Impfstoffen (und auch anderen Medikamenten): 1. Sicherheit 2. Wirksamkeit 3. Schnelligkeit bis zur Marktreife. 4. Ausreichende Verfügbarkeit. Das 4. Kriterium ist ein bei entsprechendem Aufwand theoretisch leicht erreichbares Kriterium und deshalb trotz seiner Wichtigkeit nachrangig: Zuerst müssen die 3 anderen erfüllt sein (was auch immer unter "erfüllt" zu verstehen ist). Curevac ist bei seinem Corona-Impfstoff schon bei Kriterium 3 gescheitert - dazu kam noch (2) - die vergleichsweise geringe Wirksamkeit.
Das Grundproblem liegt in Phase 3 der Zulassungszeremonien: Die prüft mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Wirksamkeit des Mittels an einer im Vergleich zu den Phasen 1 und 2 sehr großen Zahl von Probanden. Bei "normalen" Medikamenten ist diese Zahl bei erfolgreich durchstandenen Phasen 1 und 2 noch verhältnismäßig leicht zu bekommen, insbesondere dann, wenn eine ausreichende Zahl von Infizierten verfügbar ist und keine Alternativ-Medikation zur Verfügung steht.
Bei Impfstoffen hilft eine Impfung nach dem Ausbruch der Krankheit aber nicht mehr. Deshalb muss man symptomfreie Probanden impfen und einen Teil davon mit Placebos. Die Wirksamkeit wird dann aus dem Verhältnis der Ausbruchswahrscheinlichkeit in beiden Gruppen bestimmt. Wegen der generell geringen Ausbruchswahrscheinlichkeit bei Covid-19 braucht man eine hohe Zahl von Probanden, um zu sinnvollen Aussagen über die Wirksamkeit zu kommen.
Die muss man aber erstmal haben. Das ist natürlich schwierig, insbesondere wenn bereits Alternativ-Impfstoffe zur Verfügung stehen. Wie würdet ihr wohl reagieren, wenn euch jemand so anspricht:
"Ich habe hier einen Impfstoff, der möglicherweise gegen Covid-19 hilft. Darf ich Dich damit impfen? Ein paar Wochen später bekommst Du noch eine Spritze. Vielleicht spritze ich Dir aber jedesmal auch nur ein Placebo. Anschließend darfst Du Dich mehrere Wochen lang aber nicht mit einem anderen, schon oder bald auf dem Markt befindlichen Impfstoff impfen lassen!" Deine Reaktion wäre sicherlich ein klares Nein, selbst wenn Du zu dem Zeitpunkt der Frage noch keine Chance hattest, an einen anderen Impfstoff zu kommen. Aber x Wochen warten?
In dieser Situation war Curevac. Andere Impfstoffe waren zwar noch nicht in großen Mengen verfügbar, aber sie existierten schon und damit auch die Hoffnung, irgendwann in naher Zukunft damit geimpft werden zu können. Curevac hat seine Phase-3-Prüfung zu einem erheblichen Teil in Teilen Lateinamerikas durchgeführt. Aber auch da dauerte Phase 3 lange. Und dann kam noch als Ergebnis die schlechte Wirksamkeit dazu, die noch unter den Werten von J&J lag.
Das Problem haben andere Impfstoffhersteller natürlich auch. Aber hier gilt eben: Wer zu Beginn der Phase 3 unter den Letzten ist, hat schlechte Aussichten, den Vorsprung der Anderen aufzuholen.
Hier liegt ein Grundproblem unseres Zulassungsverfahrens: Ganz hart ausgedrückt: Phase 3 ist eigentlich unnötig bei Impfstoffen, insbesondere solchen gegen potentiell tödliche Krankheiten. Zumindest wäre es sinnvoll, sie in diesen Fällen deutlich zu vereinfachen. Selbst eine Wirksamkeit von nur 30% ist besser als nichts. Der jährlich neu auf den Markt kommende Grippe-Impsftoff hat nur eine Wirksamkeit von etwa 60%. Aber auch das hilft eben. (Nebenbei: Die jeweils neuen Mutationen der Grippeviren sind nicht so ansteckend wie die Covid-19-Viren. Deshalb verbreiten sie sich nicht so schnell wie Letztere. Deshalb haben wir Europäer den Vorteil, dass die Grippesaison bei uns später beginnt als in den Ländern, in denen die Mutationen entstehen. Das lässt uns etwas mehr Zeit für die Zulassungszeremonien).
Fazit: Mit einem Ich-Auch-Produkt hat Curevac wenig Chancen gegen die derzeitigen Impfstoffe von Moderna und Biontech. Gute Chancen hätten sie aber mit einem Impfstoff, der gegen neue besonders aggressive Mutationen helfen würde - wenn sie diesmal schnell genug sind.
Gute Chancen hätten sie auf Dauer aber auch mit "maßgeschneiderten Medikamenten" (nicht Impfstoffen). Das war ja auch der ursprüngliche Ansatz bei mRNA. Aber auch das setzt ein Umdenken bei unseren Zulassungszeremonien voraus.
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