HINTERGRUND: Großreinemachen nach US-Bilanzskandalen versinkt vorerst im Chaos Hartes Durchgreifen hatte US-Präsident George W. Bush angekündigt, als die Welle der Buchschwindelskandale im Frühsommer über der US-Wirtschaft zusammenzuschlagen drohte. Keiner sollte der Regierung, die wie kaum eine vor ihr den Schmusekurs mit Unternehmern zelebrierte, den Vorwurf machen können, sie lasse die Millionenschwindler ungeschoren davon kommen. Doch mit dem Rücktritt ihrer beiden designierten Kämpfer an vorderster Front steht die Regierung vor einem Scherbenhaufen. Wall-Street-Firmen frohlocken verstohlen. Sie wollen weit reichende und kostspielige Reformen, die noch vor kurzem unausweichlich schienen, nun erstmal aufschieben.
Zuerst trat vergangene Woche der umstrittene Chef der Wertpapier- und Börsenaufsicht (SEC), Harvey Pitt, zurück. Jetzt warf William Webster, Ex-Chef des Geheimdienstes CIA und des Bundeskriminalamtes FBI, das Handtuch. Als Chef der neuen Aufsichtsbehörde sollte er die nach Bilanzskandalen in Verruf geratenen Wirtschaftsprüfer an die kurze Leine nehmen.
WICHTIGSTE INSTITUTIONEN KOPFLOS
Das angesichts gestürzter Aktienkurse und pessimistischer Wirtschaftsstimmung mit Hochdruck betriebene Projekt "Vertrauen der Anleger wieder herstellen" ist vorerst fehl geschlagen. Die beiden dafür wichtigsten Institutionen sind kopflos und Nachfolger für Pitt und Webster nicht in Sicht. Sollte die Regierung nicht schnellstens Nägel mit Köpfen machen, könnte der Vorwurf kleben bleiben, die Bush-Regierung wolle ihren einstigen Gönnern nicht wirklich an den Kragen.
Mit der neuen Mehrheit in beiden Häusern des US-Kongresses ist den Republikanern von George W. Bush paradoxerweise auch ein Rad vom Wagen gegangen: denn alles, was ab jetzt in Washington bewegt oder eben nicht bewegt wird, geht auf das Konto der Mehrheitspartei. Die Demokraten, die bislang im Senat das Sagen hatten und von den Republikanern oft als Bremsklotz für verschleppte Regierungsgeschäfte vorgeschützt wurden, sind weg vom Fenster.
ROHRKREPIERER ZEICHNET SICH AB
Den Wall-Street-Firmen wittern Morgenluft. "Ich denke, mit dem Wahlergebnis und der Aussicht auf einen neuen, weniger umstrittenen SEC-Chef wollen viele Firmen jetzt erst mal Pause einlegen und neu überlegen, auf was sie sich eigentlich einlassen wollen", sagte der Manager einer großen Brokerfirma der "Washington Post". Die Firmen hatten sich widerwillig auf Verhandlungen über hohe Strafen und strikte neue Geschäftsregeln eingelassen, um angedrohte Untersuchungen in dubiose Machenschaften abzuwenden.
Ein SEC-Vorschlag, der jetzt zum Rohrkrepierer zu verkommen droht, hätte die Wall-Street-Firmen richtig Geld gekostet. Die SEC wollte die Firmen verpflichten, unabhängige Unternehmensanalysen einzukaufen und an ihre Kunden zu verschicken. Damit sollten Einschätzungen von hauseigenen Analysten, die - wie in der Vergangenheit geschehen - geschönt waren, um lukrative Consultingaufträge reinzuholen, konterkariert werden. "Wachsende Skepsis" machte ein Broker dazu an der Wall Street bereits aus./DP/oe/cs
----- Von Christiane Oelrich, dpa -----
|