GROTESKE MASSEN-AUSMUSTERUNGWillkür statt WehrpflichtVon Markus Flohr und Maximilian Popp Raus bist du. Und du. Und du. Von einem Jahrgang junger Männer rückt nicht einmal jeder Sechste in eine Kaserne ein, fast die Hälfte wird ausgemustert. Willkür hat die allgemeine Wehrpflicht ersetzt. Sieben Wehrpflichtige erzählen, wie leicht sie dem Militär entkamen. Deutschlands Jugend wird immer fetter, kränker, labiler. Die Lage ist beängstigend, bald kann das Land nicht mehr verteidigt werden. Wenn man dem Ergebnis der letzten Musterungen glaubt, hat die Bundeswehr kaum noch fitte Wehrpflichtige: Im ersten Halbjahr 2007 haben die Kreiswehrersatzämter fast jeden zweiten aussortiert. Von den 223.000 vorgeladenen Wehrpflichtigen wurden 103.000 endgültig oder vorübergehend ausgemustert - untauglich zum Dienst an der Waffe. DDP Bundeswehr-Rekruten: So tun, als herrsche Wehrgerechtigkeit Tatsächlich kann der Nachschub für den Wehr- und Zivildienst nicht ernsthaft an der körperlichen und geistigen Verfassung der jungen Männer kranken. Denn die Aussiebquote ist binnen weniger Jahre auf absurde Höhen geschnellt: Noch vor fünf Jahren wurden lediglich 16,9 Prozent aller Wehrpflichtigen ausgemustert - inzwischen sind es satte 46,2 Prozent. Das geht aus Statistiken hervor, die auf Angaben des Bundesverteidigungsministeriums beruhen und jetzt von der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer veröffentlicht wurden. Hinter der enormen Untauglichkeitsquote steckt offensichtlich politisches Kalkül. Im politischen Gerangel um die Zukunft der Bundeswehr hat sich der Staat de facto von der allgemeinen Wehrpflicht leise verabschiedet: Die Bundeswehr weiß nicht mehr, was sie mit den jungen Männern anfangen soll. Also sortieren die Kreiswehrersatzämter kräftig aus und senken so künstlich die Zahl der tauglichen Wehrpflichtigen. Verteidigungsministerium und Bundeswehr können weiter so tun, als herrsche Wehrgerechtigkeit in Deutschland. Tauglichkeitstest als Rekrutenlotto Tatsächlich regiert bei der Auswahl der jungen Männer längst Willkür. Die Zahlen sind deutlich: Etwa 440.000 Männer pro Jahr werden in Deutschland in einem Jahr volljährig. Die Bundeswehr ließ im vergangenen Jahr rund 71.000 Rekruten einrücken; weitere 81.000 Männer entschieden sich 2006 für den Zivildienst. Andersherum gerechnet: Um die 300.000 junge Männer eines Altersjahrgangs müssen weder ins Grünzeug springen noch Essen auf Rädern ausfahren. Es sind nicht immer vermeintliche körperliche Gebrechen, die sie der Dienstpflicht entrinnen ließen. Eine Reihe anderer Gründe führt ebenfalls zur Freistellung - etwa weil jemand verheiratet ist, studiert, eine Ausbildung macht, im Ausland ist oder gar nicht erst vorgeladen wird. Es gibt auch Männer, die tauglich und willig sind, den Wehrdienst abzuleisten - aber es fehlt der Platz beim Heer. "Es ist inzwischen überhaupt nicht mehr klar, wer gezogen wird und wer nicht", sagt Herbert Schulz von der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer. Für die rund 130.000 Männer, die im vergangenen Jahr als tauglich gemustert wurden, gibt es kaum Planungssicherheit. Die Einberufung kann sehr kurzfristig kommen - oder eben nicht. Schon 2004 klagte der 21-jährige Bonner Student Christian Pohlmann gegen den Einberufungsbescheid. (mehr...) Seine Begründung: Die Wehrgerechtigkeit sei nicht mehr sichergestellt, wenn nur noch etwa einer von sieben Männern zum Bund muss. Die Einstufung habe nichts mit der Gesundheit oder Vernunft des Einberufenen zu tun, die gesamte Musterung gerate zunehmend zur Farce. Das Kölner Verwaltungsgericht hob seine Einberufung auf, die Bundesregierung wehrte sich dagegen. Seit April 2005 liegt die Sache beim Bundesverfassungsgericht. Eine Entscheidung in letzter Instanz steht bis heute aus. Regierung will weiter mustern Das Grundproblem: Seit Jahren braucht die Truppe immer weniger Soldaten. 1990 zählte sie 490.000, heute sind es gerade noch 250.000. Die Bundeswehr hat sich von einer Verteidigungsarmee zur Interventionstruppe im Ausland gewandelt. Für Einsätze wie in Afghanistan werden gut ausgebildete Profis benötigt, nicht wehrpflichtige Abiturienten. Grüne und FDP haben mehrfach die Aussetzung oder gleich die Abschaffung der Wehrpflicht gefordert. Die Idee des "Staatsbürgers in Uniform" wäre dann jedoch endgültig gestorben - die Bundeswehr würde zu einer Berufsarmee. Die Bundesregierung hat bisher vereinbart, an der Wehrpflicht festzuhalten und weiter jedes Jahr alle jungen Männer eines Jahrgangs zur Musterung zu schicken. Aber der Konsens der Koalition wackelt. Die SPD schlägt inzwischen vor, die Wehrpflicht in eine Art freiwilligen Dienst umzuwandeln (mehr...) - nur wenn sich zu wenige Soldaten melden, würde dann wieder einberufen. http://www.spiegel.de/schulspiegel/leben/0,1518,502752,00.html ----------- gruß Maxp.
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