Tödliche Messerstiche in Wellsee: Zeugenaussagen belasten 37-jährigen Angeklagten schwer Am zweiten Verhandlungstag im Mordprozess um das blutige Ende eines türkischen Ehedramas schilderte gestern im Kieler Landgericht eine Ex-Frau (36) des Angeklagten Szenen ihrer vor etwa zwölf Jahren gescheiterten Ehe. Auch sie will von dem 37-jährigen Autowäscher und dessen in Gaarden lebender Familie unterdrückt und schwer misshandelt worden sein. Wie berichtet, wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vor, seine dritte Ehefrau (26) am 23. Dezember 2002 auf offener Straße mit 23 Messerstichen getötet zu haben.
Die Mutter dreier Kinder hatte sich von ihm getrennt und zunächst im Frauenhaus, später bei einem deutsch-türkischen Ehepaar in der Segeberger Landstraße Zuflucht gefunden. Unter dem Vorwand, ihr den gemeinsamen Sohn (3) bringen zu wollen, soll er die Frau aus dem Haus gelockt und mit einem Messer niedergestochen haben. Der Angeklagte selbst schweigt zu den Vorwürfen. Seine jüngste Schwester (22), die mit ihm und dem Kind zum Tatort gefahren war, hatte ihren Bruder zum Prozessauftakt nicht nur mit der Aussage entlastet, er sei stets ein liebevoller, zärtlicher und großzügiger Gatte gewesen, den sie nie aggressiv erlebt habe. Sie will auch gesehen haben, dass die Getötete es war, die das Messer zog.
Dagegen stellte die zweite Ehefrau (36) das eheliche Verhalten des mutmaßlichen Messerstechers in ein ganz anderes Licht. Der Angeklagte habe ihr 1989 den Hof gemacht, als sie ihn als Kellnerin im Sophienhof bediente, seine "guten Absichten" beteuert und schon nach wenigen Monaten einen Heiratsantrag gemacht. "Ich wusste damals ja nicht, dass er noch in der Türkei verheiratet war." Wohl deshalb sei die Ehe nicht standesamtlich, sondern "im Namen Gottes" geschlossen worden. In der Wohnung seiner Eltern hätten sie ein Zimmer bezogen, wo es schon in der Hochzeitsnacht Streit gegeben habe: "Ich durfte die Pille nicht nehmen, sollte gleich einen männlichen Stammhalter zur Welt bringen." Sie sei sogleich schwanger geworden und vom Angeklagten und seiner Familie rund um die Uhr beaufsichtigt worden. "Ich sollte den Kontakt zu meiner Familie abbrechen, hatte keinen eigenen Wohnungsschlüssel, das Telefon war abgeschlossen." Ehemann oder Schwiegervater – einer habe sie immer zur Arbeit gefahren und auch wieder abgeholt. "Ein Albtraum." Nachdem sie nach einigen Monaten auszog, sei sie von ihrem Schwiegervater nach der Arbeit vor dem Sophienhof in den Bauch getreten und später von ihrem Ehemann verprügelt worden. Die Abtreibung des Kindes ("weil ich von diesem Menschen nichts wollte"), habe sie später als Fehlgeburt infolge der Misshandlungen dargestellt, räumt sie heute ein.
"Wie im Gefängnis" soll auch die Nachfolgerin der Zeugin, das spätere Opfer, in der Familie des Angeklagten gehalten worden sein, nachdem sie mit 17 Jahren als dessen dritte Ehefrau aus der Türkei nach Kiel vermittelt wurde. Zweieinhalb Wochen vor ihrem Tod konnte sie ihm offenbar nur knapp entrinnen: Eine unbeteiligte Zeugin (37), die am 5. Dezember 2002 gegen 23 Uhr eine abgelegene Straße in Wellsee entlang fuhr, berichtete gestern von einer dramatischen Verfolgungs- und Rettungsszene. Auf der Fahrbahn habe sie eine laut um Hilfe rufende Frau, die in vollem Lauf vor einem Verfolger flüchtete, in ihrem Pkw aufgenommen. Am ganzen Körper zitternd und laut mit den Zähnen klappernd habe sich die junge Türkin auf dem Beifahrersitz zusammengekauert und in gebrochenem Deutsch erzählt, ihr Mann habe sie in einem Baggersee ertränken wollen.
Weil sie bei ihm "in Unterdrückung" lebte, habe sie ihn verlassen und sich zu einem Ehepaar geflüchtet. Er habe ihr eine Pistole in den Mund gesteckt und sie gezwungen, zu ihren Gastgebern zu fahren, weil er ihr ein sexuelles Verhältnis mit dem deutschen Mann unterstellte. Unterwegs habe er sie aufgefordert, mit ihm ins Gebüsch zu gehen. Sie habe sich losreißen können. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. Von Thomas Geyer
Aus den Kieler Nachrichten vom 02.09.2003
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